Neue Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik

"Es gibt eigentlich keinen funktionierenden Staat"

Veröffentlicht am 19.05.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Zentralafrikanische Republik

Bonn ‐ Als Papst Franziskus vor zwei Jahren die Zentralafrikanische Republik besuchte, hoffte man auf baldigen Frieden. Nun gab es Massaker mit mehr als 100 Toten. Kindermissionswerk-Referentin Annette Funke berichtet.

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Eigentlich war es relativ ruhig in der Diözese Alindao im Süden der Zentralafrikanischen Republik. Der deutsche Spiritaner Pater Olaf Derenthal ist seit einem halben Jahr in der Stadt Mobaye an der Grenze zum Kongo, wo er als Krankenpfleger und Missionar arbeitet. Nun werden 20 Kilometer von Mobaye entfernt Kämpfe gemeldet; es hat bereits Massaker mit 133 Toten gegeben. Grund ist das Eindringen von Milizen aus dem Norden. Über die aktuelle Lage spricht Annette Funke, Länderreferentin für die Zentralafrikanische Republik des Kindermissionswerkes "Die Sternsinger". Sie steht in engem Kontakt mit dem Pater.

Frage: Frau Funke, der Spiritaner Olaf Derenthal ist seit einem halben Jahr in der Diözese Alindao. Er ist Pfarrer in Mobaye und mit einer mobilen Klinik unterwegs. Sie stehen mit ihm zurzeit täglich in Kontakt. Was berichtet er Ihnen?

Funke: Zurzeit hält Olaf Derenthal sich in Mobaye am Grenzfluss zur Demokratischen Republik Kongo auf. 20 Kilometer von Mobaye entfernt werden aktuell Kämpfe gemeldet; viele Menschen sind geflohen, Frauen und Kinder verbrachten die Nacht in der Kirche. Zum Glück ist es diese Nacht ruhig geblieben. Die Menschen haben aber wahnsinnige Angst und Panik, fliehen aus Vorsicht über den Fluss in den Kongo. Auch die Rebellen in dieser Region werden unruhig.

In der Stadt Alindao und einem naheliegenden Dorf wurden in den letzten 10 Tagen insgesamt 133 Menschen getötet und 364 Häuser niedergebrannt, berichtet der Bischof von Alindao. Über 11.000 Flüchtlinge suchen beim Bischofssitz von Alindao und den umliegenden Schulen Schutz – darunter 9.000 Kinder. Zurzeit sind UN-Blauhelme der MINUSCA- Friedensmission in Alindao, um die Geflüchteten zu schützen. Das Rote Kreuz von Alindao ist vor Ort, hat die Toten gezählt und geborgen und versorgt die Menschen so gut es geht. Aber ansonsten kommt keine Hilfe, es ist eine abgeschlossene Region. Und auch die Meldungen dringen nur sehr langsam nach draußen.

Bild: ©Susanne Dietmann/Kindermissionswerk

Annette Funke ist Länderreferentin für die Zentralafrikanische Republik beim Kindermissionswerk "Die Sternsinger".

Frage: Wie konnte der Konflikt wieder so eskalieren?

Funke: Die Diözese Alindao war in den letzten Jahren immer Gebiet der vorwiegend muslimisch geprägten Séléka-Milizen. Aber die Kirche hatte mit ihnen eigentlich ein gutes Verhältnis und es war vergleichsweise ruhig. Es gibt in der Diözese sogar eine interreligiöse Plattform, die funktionierte und in der Christen und Muslime gemeinsam Dialog führten. Die Situation verschärfte sich mit der Ankunft der "Friedensunion in Zentralafrika" (UPC), einem Zusammenschluss früherer Séléka-Rebellen unter Führung des Generals Ali Darass. Sie wurden nach Ausschreitungen in der Region um Bambari von UN-Truppen vertrieben und zogen in den Süden, in die Diözese Alindao.

Man muss wissen, dass es in der Zentralafrikanischen Republik eigentlich keinen funktionierenden Staat gibt – außer in der Hauptstadt Bangui. Der Rest des Landes ist praktisch sich selbst überlassen. Die Regierung hat selbst kaum Macht und kein funktionierendes Militär. Wenn dann Rebellengruppen die Macht über eine bestimmte Region übernehmen und die Bevölkerung schikanieren, etwa mit Straßenbarrieren und hohen Zöllen oder Übergriffen, formiert sich Gegenwehr und es kommt zu Ausschreitungen. Es ist ja auch niemand da, um die Menschen zu schützen. Die Vereinten Nationen waren bisher nicht in Alindao, erst jetzt, da es die Ausschreitungen gibt.  

Hintergrund: Blog aus der Zentralafrikanischen Republik

Olaf Derenthal, Spiritaner, Missionar und Krankenpfleger, lebt und arbeitet seit Oktober 2016 in der Zentralafrikanischen Republik. Er bloggt regelmäßig auf weltkirche.katholisch.de über seine Erlebnisse.

Frage: Was kann die Kirche zur Beilegung des Konfliktes beitragen?

Funke: Der Bischof von Alindao, Cyr-Nestor Yapaupa, hat mir berichtet, dass er sich mehrfach mit dem UPC-Rebellenführer Ali Darrass getroffen hat, um mit ihm vor allem über die Sicherheitslage zu verhandeln. Nach den neuesten Verhandlungen hat der General offenbar versichert, dass er seine Truppen zurückzieht und die Übergriffe auf die Bevölkerung und die umliegenden Dörfer einstellt. Der Rebellenführer hat sich offenbar auch bereiterklärt, die Straßenbarrieren, die den Güter- und Personenverkehr einschränken, abzubauen. Man wird sehen, ob er sich daran hält und ob Hilfe von Seiten der Vereinten Nationen kommt. Unterdessen haben die Menschen einfach riesige Angst vor der Gewalt und fliehen.

Frage: Nach dem Besuch von Papst Franziskus in Bangui war die Hoffnung ja groß, dass die Zentralafrikanische Republik den Frieden erreiche. Sind Sie da unter dem Eindruck der aktuellen Lage optimistisch?

Funke: Der Besuch von Papst Franziskus hat bei den Christen, Muslimen und Politikern im Land gleichermaßen große Euphorie ausgelöst und es sind im Zuge des Besuchs auch viele Friedensinitiativen, Projekte und Programme zur Stabilisierung des Landes entstanden. Die katholische Kirche ist die einzige Institution, die im ganzen Land organisierte Strukturen hat und an der Basis präsent ist. Auch von Seiten der deutschen Kirche gibt es Unterstützung für die Partner: Sei es vom Kindermissionswerk "Die Sternsinger", Missio Aachen, aber auch die Erzdiözese Köln hat Aufbauarbeit geleistet. Und die AGEH baut dort zurzeit einen Zivilen Friedensdienst (ZFD) auf. Der Frieden lässt sich eben nicht von einem auf den anderen Tag umsetzen – das braucht Zeit. Wohingegen man von einem auf den anderen Tag alles zerstören kann. Damit das nicht geschieht, ist neben dem Schutz der UN-Truppen auch die Entwaffnung der Milizen entscheidend, wie es die nationale Kommission für Gerechtigkeit und Frieden fordert.

Von Claudia Zeisel

Linktipp: Die Waffen nieder!

Bis zum Schluss war nicht klar, ob der Papst die Zentralafrikanische Republik überhaupt würde besuchen können. Denn es gab Sicherheitsbedenken. Doch Franziskus richtete klare Worte an seinen Piloten: "Bring mich nach Bangui, notfalls mit dem Fallschirm."