DBK-Studie dokumentiert sexuelle Vergehen seit 1946

Deutschland: 3.677 Opfer von Geistlichen missbraucht

Veröffentlicht am 12.09.2018 um 11:55 Uhr – Lesedauer: 
Missbrauch

Hamburg ‐ In zwei Wochen wollen die deutschen Bischöfe die Ergebnisse einer neuen Missbrauchsstudie vorstellen. Doch schon jetzt wurden erste Zahlen bekannt. Dabei handelt es sich laut Autoren um eine "konservative Annahme".

  • Teilen:

Laut einem Vorabbericht des "Spiegel" dokumentiert eine neue Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz insgesamt 3.677 Opfer, die von mindestens 1.670 Priestern und Ordensleuten in den Jahren von 1946 bis 2014 missbraucht wurden. Die Bischöfe wollen die umfangreiche Untersuchung am 25. September bei ihrer Herbstvollversammlung in Fulda vorstellen. Der "Spiegel" beruft sich auf eine dem Magazin vorliegende Zusammenfassung der Ergebnisse. Laut offizieller Kriminalstatistik werden in Deutschland jedes Jahr rund 12.500 Fälle von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen bekannt.

Für die Langzeit-Studie der kirchlichen Fälle sind laut "Spiegel" mehr als 38.000 Personal- und Handakten aus allen 27 deutschen Bistümern ausgewertet worden. Die Opfer seien überwiegend männliche Minderjährige gewesen, mehr als die Hälfte von ihnen seien zum Tatzeitpunkt jünger als 14 Jahre gewesen. In etwa jedem sechsten Fall sei es zu einer Form von Vergewaltigung gekommen. Drei Viertel aller Betroffenen hätten mit den Beschuldigten in einer kirchlichen oder seelsorgerischen Beziehung gestanden.

Keine klaren Erkenntnisse über die Dunkelziffer

Die vorliegenden Zahlen, so das Magazin weiter, würden von den Autoren als konservative Annahme bezeichnet. Es gebe keine klaren Erkenntnisse über die Dunkelziffer. Wie der "Spiegel" weiter berichtet, wäre etwa die Hälfte aller Fälle ohne Antrag auf Entschädigung durch die Betroffenen nicht entdeckt worden, da die Personalakten der Beschuldigten keine Hinweise enthalten hätten. In vielen Fällen seien auch Akten vernichtet oder manipuliert worden.

Treffen sich regelmäßig im Frühjahr und Herbst zu ihrer Vollversammlung: Die deutschen Bischöfe.
Bild: ©KNA

Die deutschen Bischöfe wollen die umfangreiche Untersuchung am 25. September bei ihrer Herbstvollversammlung in Fulda vorstellen.

Immer wieder seien beschuldigte Kleriker an einen anderen Ort versetzt worden, ohne dass die neue Gemeinde "mit der entsprechenden Information" über den Missbrauchstäter versorgt worden wäre. Nur ein Drittel der Täter habe sich einem kirchenrechtlichen Verfahren stellen müssen.

Laut der "Zeit" wurde nur gegen knapp 38 Prozent der Beschuldigten Strafanzeige gestellt, die meisten Anzeigen kamen von den Betroffenen selbst oder ihrer Familie. "Repräsentanten der Kirche haben, soweit man weiß, nur in 122 Fällen die weltliche Justiz eingeschaltet, das betrifft 7,3 Prozent aller Beschuldigten", heißt es in dem Bericht über die Studie. Ein kirchenrechtliches Verfahren wurde gegen 566 der 1670 Beschuldigten (etwa ein Drittel) eingeleitet. Davon wiederum endeten 154 Verfahren ohne Strafe oder Sanktion, in 103 Fällen gab es lediglich eine Ermahnung. Aus dem Klerikerstand entlassen wurden 41 Beschuldigte, Exkommunikationen gab es bei 88 von ihnen.

Bei der Frage nach den Gründen für den Missbrauch zeigen sich die Autoren laut "Spiegel" zurückhaltend. Allerdings heiße es unter anderem: "Die grundsätzliche Ablehnung der katholischen Kirche zur Weihung homosexueller Männer ist dringend zu überdenken." Außerdem müsse die Frage erlaubt sein, ob die Verpflichtung zum Zölibat "ein möglicher Risikofaktor" sei. Laut der "Zeit" betrug der Anteil der Beschuldigten bei Diözesanpriestern 5,1 Prozent (1429 Personen), bei Ordenspriestern 2,1 Prozent (159 Personen) und bei hauptamtlichen Diakonen "nur" 1,0 Prozent (24 Personen).

Missbrauch durch Kleriker keine "überwundene Thematik"

Laut "Spiegel" gehen die Wissenschaftler nicht davon aus, "dass es sich beim sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker der katholischen Kirche um eine in der Vergangenheit abgeschlossene und mittlerweile überwundene Thematik handelt". Laut "Zeit" gibt es heute zwar vermehrt Anzeigen, jedoch auch Diözesen, die die Verantwortung allzu schnell an die Staatsanwaltschaft abgeben und selbst gar nichts tun würden.

Erstellt wurde die Studie von einem Forschungskonsortium unter Leitung des Mannheimer Psychiaters Harald Dreßing. Außerdem sind das Kriminologische Institut der Universität Heidelberg, das dortige Institut für Gerontologie sowie der Lehrstuhl für Kriminologie der Universität Gießen beteiligt. (bod/KNA)

12.09.2018, 12.30 Uhr: ergänzt um weitere Studienergebnisse auf einem Bericht der "Zeit"
12.09.2018, 12.52 Uhr: Korrektur - nicht 3677 Übergriffe/Fälle, sondern Missbrauchsopfer