Standpunkt

Das schlechte Timing unserer Kirche

Veröffentlicht am 29.11.2018 um 00:01 Uhr – Von Tobias Glenz – Lesedauer: 

Bonn ‐ So mancher Weihnachtsmarkt war schon weit vor Christkönig geöffnet – und die Kritik der Kirchen ließ nicht lange auf sich warten. Doch in Sachen schlechtes Timing rund ums Weihnachtsfest sollte sich die Kirche auch an die eigene Nase fassen, kommentiert Tobias Glenz.

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Alle Jahre kehrt sie wieder: die kirchliche Kritik an vorzeitig beginnenden Weihnachtsmärkten und einer Kommerzialisierung des Geburtsfestes Jesu. Unberechtigt ist dieses Monieren sicher nicht. Natürlich sollte der Monat November in erster Linie dem Totengedenken gewidmet sein, und natürlich sollten weder der Advent noch das Weihnachtsfest "vorgezogen" werden. Doch muss sich die Kirche selbst fragen lassen, ob denn ihr Timing immer stimmt.

Kürzlich ging bei katholisch.de ein Leserbrief ein, der einige wichtige Gedanken enthielt, die auch mich seit längerer Zeit umtreiben: Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch in unserer Kirche Weihnachten viel zu früh Einzug hält. Da wären etwa die "Adventskonzerte", die in den kommenden Wochen wieder in zahlreichen Gotteshäusern stattfinden. Deren Repertoire an sakraler Musik besteht nicht selten mindestens zur Hälfte aus Weihnachts- und eben nicht aus Adventsliedern. Oder aber man lässt direkt – ganz ungeniert – am zweiten Adventssonntag das Weihnachtsoratorium von Bach aufführen.

Rom macht es kaum besser: Der Weihnachtsbaum auf dem Petersplatz – in diesem Jahr übrigens eine 23 Meter lange Fichte aus dem norditalienischen Pordenone – steht schon seit dem 22. November. Und auch die vatikanische Weihnachtskrippe wird bereits Anfang Dezember eingesegnet – mitten im Advent. Ein gutes Timing?

Dann ist das eigentliche Weihnachtsfest tatsächlich gekommen – doch in unserer Liturgie scheint es sehr schnell wieder aus dem Blickfeld zu geraten. Kostproben? Bereits am 26. Dezember feiern wir das Fest des Erzmärtyrers Stephanus, am 27. den heiligen Johannes, am 28. das Fest der Unschuldigen Kinder, am 31. den heiligen Papst Silvester und am 1. Januar das Hochfest der Gottesmutter Maria. Der liturgische Kalender ist gerade an dieser Stelle stark überfrachtet und führt von der weihnachtlichen Botschaft weg. Es wäre daher so wünschenswert wie mutig, über ein "Entschlacken" der Weihnachtsoktav nachzudenken – die Tage nach Ostern sind immerhin auch frei von Gedenktagen und Heiligenfesten.

Lassen wir den Advent Advent sein, und Weihnachten Weihnachten. Und geben wir beidem ausreichend Raum. Ansonsten lässt sich ein schlechtes Timing eben nicht nur den Weihnachtsmärkten vorwerfen, sondern auch uns.

Von Tobias Glenz

Der Autor

Tobias Glenz ist Redakteur bei katholisch.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.