Warum im Kongo im Gottesdienst getanzt wird – und in Deutschland nicht
Während es im Kongo eine eigene Adaption des römisch-katholischen Ritus' gibt und die Kirchen gut besucht sind, macht der Kirche in Chile des Missbrauchskandal zu schaffen. In den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es Messen mit mehreren tausend Gläubigen - und ein Seelsorger auf den Phillippinen fühlt sich an Deutschland im 19. Jahrhundert erinnert. Vier Geistliche berichten.
Kongo: ein anderer Ritus
Es war einer der ersten Karfreitage, die Pater Alfons Müller (SVD) in den 1960er Jahren im Kongo verbrachte. Nach der Liturgie zur Todesstunde Jesu hatte er sich in seinen Sessel gesetzt und – ganz in europäischer Tradition — die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach angehört. Plötzlich seien da Kinder an den Fenstern gewesen, voller Neugier auf die fremde Musik. "Pater, wie tanzt man das?", hätten sie gefragt. Die Begebenheit illustriert für Pater Müller die Art, wie die Menschen im Kongo glauben. Dort, sagt er, zähle bei der Musik der Rhythmus mehr als die Melodie: "Eine Musik ohne Tanz ist keine Musik. Ganz generell sind die Menschen einfach viel emotionaler als wir Europäer, die doch sehr verkopft aufwachsen".
Das schlägt sich auch in der Liturgie nieder. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) hatte es möglich gemacht, den römischen Ritus an die Gegebenheiten und die Kultur des jeweiligen Landes anzupassen. 1988 wurde der "Der Zairische Messritus" dann schließlich offiziell approbiert. Laut Müller sind darin viele Elemente deutlich ausgeschmückter als im römischen Ritus. Am Beginn steht eine Litanei, bei der nicht nur die Heiligen angerufen werden, sondern auch die Vorfahren der Gläubigen. Und im weiteren Verlauf ist nicht nur vom "Schöpfer des Himmels und der Erde" die Rede, sondern vom Schöpfer des Himmels und der Engel, der Erde, der Bäume, der Tiere, des Wassers und der Menschen. Außerdem sei der Gottesdienst sehr dialogisch angelegt, sagt Müller. So versucht er auch in seinen Predigten die Gläubigen aktiv einzubinden – etwa durch Fragen, auf die sie antworten können. "Dann gehen die Menschen ganz anders mit", berichtet er. Die Gabenbereitung wird in Gestalt einer gesungenen und getanzten Prozession durchgeführt. Und auch sonst wird in der Kirche viel getanzt und geklatscht – gern auch, nachdem der eigentliche Gottesdienst schon vorbei ist. In aller Regel seien die Gottesdienste gut besucht, so die Erfahrung von Pater Müller. Die Pfarreien sind im Kongo übrigens nochmal anders organisiert als hierzulande: Pro Pfarrei gibt es mehrere Basisgemeinden, die vor allem von engagierten Familien getragen werden. Diese treffen sich unter anderem regelmäßig zu Bibelkreisen und zum gemeinsamen Gebet.
Philippinen: "So wie Deutschland im 19. Jahrhundert"
"Hier geht es so zu wie in der deutschen Kirche des 19. Jahrhunderts" — diesen Vergleich zieht Pater Franz-Josef Eilers (SVD) gern, wenn es um den Zustand der Kirche auf den Philippinen geht. In der Kirche zu sein, gehöre auf dem Inselstaat noch zum "guten gesellschaftlichen Ton". Zwar sinke der Anteil der Katholiken, die ihren Glauben wirklich aktiv praktizierten. Das Christentum sei aber weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Kultur des Landes. Anders als im Kongo hat der christliche Glaube auf den Philippinen eine mehrere Jahrhunderte alte Tradition. "Er kam schon mit den spanischen Kolonialisten, vor vierhundert oder fünfhundert Jahren hierher", sagt Pater Franz-Josef Eilers. Auch wegen dieser langen Geschichte würden die Gottesdienste ähnlich gefeiert wie in Europa. Noch heute sind rund 80 Prozent der Einwohner Katholiken, es gibt katholische Schulen, auch in den Priesterseminaren finden sich nach Angaben von Eilers noch ausreichend Kandidaten. Eigentlich eine komfortable Situation, doch nach der Zukunft gefragt, klingt der 88-jährige Ordensmann besorgt. Es gebe für die Jugendlichen zu wenig gute seelsorgliche Angebote: "Die jungen Leute laufen uns weg". Charismatische oder freikirchliche Bewegungen wie etwa die sogenannte "Victory Church", seien auf den Philippinen deutlich erfolgreicher als in Deutschland. "Auch in der katholischen Kirche müsste es mehr Angebote geben, die Gottesdienste mit Musik und Tanz verbinden", wünscht sich Eilers.
Vereinigte Arabische Emirate: Massengottesdienste
Ganz anders als im afrikanischen Kongo oder in Chile in Südamerika ist die Situation in den Vereinigten Arabischen Emiraten. In dem muslimischen geprägten Wüstenstaat gilt zwar offiziell Religionsfreiheit. Tatsächlich darf der christliche Glaube aber nur in sehr engen Grenzen gelebt werden, berichtet Reinhold Sahner, Pfarrer der Pfarrei St. Francis in der Hafenstadt Jebel Ali im Südwesten Dubais. Liturgiefeiern und Katechese seien vor allem unter dem Schutz der Pfarreien und auf deren Gelände möglich. Zwar konnte Papst Franziskus bei seinem Besuch im vergangenen Jahr einen Gottesdienst in einem Fußballstadion in Abu Dhabi feiern – jenseits solch außergewöhnlicher Anlässe sind öffentliche Bekundungen des christlichen Glaubens jedoch unerwünscht. "Eine Hochzeitsmesse am Strand beispielsweise wäre undenkbar", sagt Sahner. Genauso streng ist es verboten, christliche Literatur an andere weiterzugeben.
Doch trotz dieser Restriktionen sei das Glaubensleben lebendig und bunt, so Sahner: "Zum Gottesdienst trifft sich hier die Welt". Fast alle Christen im Land sind Ausländer. Viele kommen als Gastarbeiter aus Indien, Südkorea und den Philippinen, aber auch Geschäftsleute aus aller Welt leben in Dubai. Deshalb gehören zu der Gemeinde St. Francis Christen aus über 150 Nationen gehören. Die Gottesdienste werden in 12 (?) Sprachen und 5 (?) Riten gefeiert – von Englisch über Deutsch bis Tamilisch, vom römisch-katholischen Ritus bis zur maronitischen und byzantinischen Liturgie. Und das Wort "Großpfarrei" bekommt in Dubai eine ganz andere Bedeutung. Wegen der beschränkten Religionsfreiheit gibt es in den Emiraten bisher nur sehr wenige Pfarreien — mit umso mehr Gläubigen. Zur Pfarrei St. Francis gehören rund 65.000 Katholiken. Jedes Wochenende gibt es zehn bis elf Gottesdienste, die knapp 2.000 Sitzplätze der Kirche sind dann gut gefüllt. Diese Vielfalt auch organisatorisch unter einen Hut zu bringen, ist gar nicht so einfach, sagt Reinhold Sahner: "Für mich bedeutet das vor allem eins: Meetings, Meetings und nochmal Meetings". Und er braucht viel Unterstützung: Allein 150 Kommunionhelfer gibt es in seiner Pfarrei, rund 350 Katholiken wurden zu Katecheten ausgebildet – auch um Religionsunterricht zu geben, der in den staatlichen Schulen nicht möglich ist. Für Pfarrer Sahner selbst bleibt wenig Zeit, sich wirklich um die Seelsorge zu kümmern. Trotzdem liebt er seinen Job: "So viele Menschen unterschiedlicher Nationen und Konfessionen zu treffen, finde ich unheimlich begeisternd und inspirierend". Alle brächten unterschiedliche Glaubenstraditionen ein. Zum tamilischen Erntedankfest etwa gehöre es, gemeinsam ein Gericht zu kochen. Er als Pfarrer müsse dann jede einzelne Zutat segnen: "Diese Zeremonie verdeutlicht den Sinn von Erntedank nochmal auf eine ganz besondere Weise. Das ist schon ergreifend", so Sahner.
Chile: Gezeichnet durch den Missbrauchsskandal
Große Kirchgänger seien die Chilenen nicht gerade, sagt Pater Peter Kliegel. In dem katholisch geprägten Land bedeute der Glaube zwar vielen Menschen etwas, aber sie lebten ihn sehr individuell. Beliebter als die sonntäglichen Gottesdienste seien Messen oder Prozessionen zu besonderen Anlässen, etwa am Palmsonntag. "Jedes Jahr pilgern viele Tausende Gläubige zum Bildnis der Muttergottes auf den Berg Karmel in Maipu nahe Santiago de Chile", erklärt Kliegel. Ausgiebig zelebriert würden auch der Gedenktag des heiligen Sebastian am 20. Januar und die verschiedenen Marienfeste, wie die Unbefleckte Empfängnis am 8. Dezember oder Maria Lichtmess am 2. Februar. Im Glaubensleben spielten zudem Tanz und Musik eine viel größere Rolle als in Deutschland. "Oft werden moderne Lieder gesungen, stets begleitet von Trommeln, Ziehharmonika und der Charango, einer Art Miniaturgitarre". Wie Alfons Müller im Kongo hat auch Peter Kliegel in Chile die Erfahrung gemacht, dass die Menschen im Vergleich zu den Deutschen deutlich emotionaler sind — und das eben auch in ihrem Glaubensleben zeigen. Dazu passt, dass charismatische Bewegungen nach der Wahrnehmung von Pater Kliegel in Chile viel erfolgreicher sind als in seiner Heimat: Die Fokolarbewegung zum Beispiel habe viele Anhänger genauso wie die Schönstatt-Bewegung. "Diese Gruppen halten viele junge Leute in der Kirche". Und das sei wichtig in einer Zeit, in der die Kirche des Landes durch eine große Krise gehe. Im vergangenen Jahr hatten in Chile angesichts des Ausmaßes des Missbrauchsskandals fast alle Bischöfe dem Papst ihren Rücktritt angeboten. "Der Missbrauch war sozusagen der 'Skandal der Skandale', der viel Vertrauen gekostet hat", sagt Pater Kliegel. "Das habe ich sogar am noch geringeren Gottesdienstbesuch gemerkt". Jetzt müsse das verlorenen gegangene Vertrauen langsam wieder zurückgewonnen werden.