Heiliger und nationale Ikone
Die schweren Zeiten, von denen nun alle Italiener betroffen seien, verlangten besondere Fürsprache, so Pius XII. damals - ein Seitenhieb gegen die herrschenden Faschisten. Und ein katholischer Gegenentwurf zu Mussolinis Heroenkult. Zur Vergötzung menschlicher Macht passte kein Gottsucher, der die Liebe zu allen Geschöpfen predigt und fastet, bis er ausgemergelt in einer Kirche stirbt.
Mit Franziskus aber konnte und wollte sich auch ein Mussolini nicht anlegen. Von Anfang an hatte die Erscheinung des "kleinen Armen" (1182/83-1226) die Menschen auf der Halbinsel in ihren Bann gezogen. Bald folgten Zehntausende seinem Beispiel frommer Armut. Wie groß die Wirkung war, belegt die Heiligsprechung keine zwei Jahre nach seine Tod.
Italien fand seine Seele im jesusähnlichen Franziskus
Italien, über Jahrhunderte weit davon entfernt, ein Nationalstaat zu werden, suchte seine Seele und fand sie neben seinen großen Künstlern in Franziskus' Charisma und seiner Jesusähnlichkeit. Zugleich war der Ordensgründer weit über die italienischen Grenzen hinaus einer der bekanntesten Heiligen und eignete sich schon deshalb als Identifikationsfigur. Auch durch seine zahlreichen Schriften, viele davon in Altitalienisch, blieb Franziskus in der Erinnerung seines Volkes präsent.
Vor allem aber steht der Mann aus Umbrien trotz zahlreicher Reisen bis in den Orient für die enge Liebe zu seiner Heimat und ihrer Natur. Es gebe nichts Schöneres als das Spoleto-Tal, soll er gesagt haben. In seine Geburtsstadt Assisi kehrte er immer wieder zurück.
Wer Italien für ein gottgesegnetes, zweites "gelobtes Land" halten wollte, fand in Franziskus' Texten die passenden Zitate dafür. Und doch ging das säkulare Königreich nach seiner Gründung 1861 erst einmal auf Konfrontationskurs zu den Franziskanern. Ihre Konvente wurden verstaatlicht, als Kinderheime und Krankenhäuser genutzt.
Ausgerechnet die Faschisten übertrugen die Nutzungsrechte im Zuge ihrer Einigung mit dem Vatikan in den Lateranverträgen wieder dem Orden. Bei den Feiern zum 700. Todestag des "Poverello" in Assisi waren 1926 erstmals Führer der seit vier Jahren regierenden Faschisten mit hohen Vatikanvertretern zusammengetroffen.
Pilgertreffen hat Charakter einer Nationalfeier
Seither nahm das jährliche Pilgertreffen am 4. Oktober den Charakter einer Nationalfeier an. Es geht um ein Symbol politischer Einheit, die wegen des italienischen Nord-Süd-Gegensatzes schließlich alles andere als unbestritten ist. So spendet am Franziskus-Fest jedes Jahr eine andere italienische Region das Öl für die Grablampe in der Krypta des Heiligen, überbracht von politischen Repräsentanten und Pilgergruppen.
Die Beteiligung aus dem Süden sei wegen der tiefen Volksfrömmigkeit indes deutlich stärker als aus nördlichen Regionen, heißt es aus dem Mutterkloster der Franziskaner. Gründlich verfehlt wurde die patriotische Intention, als vor einigen Jahren Südtirol an der Reihe war. Nur die zweite Politikergarnitur und wenige Gläubige hätten den Weg aus ihrer meist deutschsprachigen Heimat angetreten.
Unterdessen ist die Franziskus-Verehrung der Italiener seit der vergangenen Papstwahl weiter gewachsen. Das Kloster verzeichnete seither zehn Prozent mehr Besucher in Assisi. Doch ohnehin kämen die meisten Italiener wenigstens einmal im Leben mit der Schulklasse oder der Pfadfindergruppe zum Grab des heiligen Franziskus.
Und noch etwas spricht für Italiens Nationalikone: Nach der jüngsten Statistik der beliebtesten italienischen Vornamen belegte Francesco im Jahr 2011 Rang 1. Die mindestens ebenso klangvolle Francesca bringt es dagegen nur auf den 13. Platz.
Von Christoph Schmidt (KNA)