Handfest und mit Herzblut: Die erste MAV-Seelsorgerin Deutschlands

Bisher war die Arbeit der Diözesanen Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen im Bistum Münster so trocken und von Arbeitsrecht geprägt, wie der Name vermuten lässt: Vor allem die Unterstützung der gut 600 Mitarbeitervertretungen im Bistum in rechtlichen Fragen prägte die Arbeit der "DiAG". Aber liegt die Besonderheit des kirchlichen Dienstes nur darin, dass ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht angewandt wird? Das fragte sich auch der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft. Schließlich heißt es im kirchlichen Arbeitsrecht, dass die Grundlage des kirchlichen Dienstes die Sendung der Kirche ist: "Diese Sendung umfasst die Verkündigung des Evangeliums, den Gottesdienst und die sakramentale Verbindung der Menschen mit Jesus Christus sowie den aus dem Glauben erwachsenden Dienst am Nächsten", steht in der Mitarbeitervertretungsordnung. Nur: Was heißt das in der Praxis der betrieblichen Mitbestimmung, im oft von Konflikten um Dienstplan und Arbeitsschutz, von Tarifverträgen und Verhandlungen geprägten Alltag der Mitarbeitervertreter?
Im Bistum Münster wurde daher eine Idee entwickelt, die eine organisatorische Besonderheit aufgreift, die es in kirchlichen Vereinen und Verbänden schon lange gibt: Neben den Vorstandsmitgliedern, die es auch in weltlichen Organisationen gibt, soll es eine Person im Vorstand geben, die für die geistliche Leitung zuständig ist. "Unser Ziel ist, so über die Mitarbeitervertretungen Angebote zur geistlichen Beheimatung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu machen", erläutert der Geschäftsführer der DiAG, Ulrich Richartz.
Über die erste Geistliche Leitung einer Diözesanen Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen freuen sich (von links) Generalvikar Klaus Winterkamp, Stephanie Heckenkamp-Grohs und Ulrich Richartz, der Geschäftsführer der DiAG MAV Münster.
Im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung in der Kirche ist das ein Novum – deutschlandweit. Zwar gibt es schon lange Betriebsseelsorge und Arbeitnehmerpastoral. Die Mitarbeitervertretungen selbst hatten bisher aber keine eigenen Seelsorger. Im Bistum Münster wurde nun aus der Idee Wirklichkeit – die erste Stelle für eine Geistliche Leitung im DiAG-MAV-Vorstand wurde zum Anfang des Jahres eingerichtet. Zusammen mit ihren ehrenamtlichen Kollegen gestaltet die Pastoralreferentin Stephanie Heckenkamp-Grohs künftig die Arbeit des Gremiums mit und begleitet die Mitarbeitervertreter im Bistum geistlich. Sie selbst war nie Mitarbeitervertreterin. Mit einer Zusatzausbildung als Ehe- und Familienberaterin ist sie aber eine erfahrene Seelsorgerin, seit 1996 ist sie im Beruf. Diese Erfahrungen will sie jetzt in ihre Arbeit einbringen – auch wenn wegen der Corona-Pandemie persönliche Kontakte momentan schwierig sind. Zunächst will sie vor allem erfahren, was die Engagierten in den MAVen brauchen.
Offenes Ohr für die Sorgen der Kollegen
"Ich möchte mich erst einmal vorstellen und zuhören, ansprechbar sein", erzählt sie. Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit wird es sein, bei Schulungen und Tagungen spirituelle Angebote zu gestalten – aber auch als Seelsorgerin ansprechbar zu sein. "Gerade im Bereich der Pflege und in den Kindertagesstätten sind die Leute momentan am Anschlag", berichtet Heckenkamp-Grohs. Hier setzen sich die MAVen schon lange für gute Arbeitsbedingungen ein, oft sind die Mitarbeitervertreter aber selbst durch die Kombination aus MAV-Arbeit und ihrer eigentlichen Tätigkeit besonders belastet. Andere leiden an der Isolation im Homeoffice: "Darf ich wirklich nicht ins Büro und wenigstens dort Menschen treffen?" Für solche Probleme hat sie als MAV-Seelsorgerin künftig ein offenes Ohr.
Die Kirche hat den Anspruch, dass ihre Dienstverhältnisse anders sind als in staatlichen Behörden oder in der freien Wirtschaft. "Dienstgemeinschaft" heißt das viel strapazierte Stichwort aus dem kirchlichen Arbeitsrecht. Dass dieser Begriff mit Leben gefüllt wird, ist ein Anliegen von Heckenkamp-Grohs – gerade auch mit Blick auf die vielen Menschen vor allem im sozialen Bereich, die keinen großen Bezug zur Kirche haben oder nicht einmal der Kirche angehören. "Ich will das wachhalten und stark machen: Dass wir in der Kirche anders miteinander umgehen, und zwar mit allen Menschen, die bei uns arbeiten", sagt sie. Dazu gehört auch, das gegenüber der Dienstgeberseite deutlich zu machen: "Denen sage ich: Hier geht es um Menschen, hier müssen wir dafür sorgen, dass alle gut arbeiten können."
Soziale und ökologische Themen zusammen denken
Auch wenn sie sich als Familienseelsorgerin mit Konflikten auskennt: Für die Vermittlung sind weiterhin andere Instanzen zuständig – kirchliche Schlichtungsstellen und Arbeitsgerichte etwa. Da will und darf sie sich nicht einmischen, auch direkt in den Einrichtungen ist sie nicht für Verhandlungen zwischen Dienstnehmern und Dienstgebern zuständig. "Aber vielleicht hat es doch einen Einfluss auf die Schlichtung von Konflikten, wenn Mitarbeitervertreter jemanden haben, der ihnen zuhört, und bei dem sie auch einfach mal Frust abladen können", hofft Heckenkamp-Grohs.
Zur Vorbereitung auf ihre Arbeit liest sie gerade Sozialenzykliken. Besonders hat sie die Umweltenzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus beeindruckt, wie er schon lange vor der Corona-Pandemie soziale und ökologische Themen zusammen gedacht hat. Als Geistliche Leitung will sie eine bodenständige Spiritualität einbringen: "Mir ist sozusagen das katholische Leben ins Blut eingeschrieben, es ist mir Heimat geworden", beschreibt sie, wie sie in der Kirche groß geworden ist: Aus dem Leben gewachsen sei ihr Glaube. So will sie sich jetzt auch als MAV-Seelsorgerin einbringen: Kritisch, aber loyal zur Kirche, handfest und mit Herzblut.