Bischöfe müssten Fälle sofort dem Vatikan melden

Kirchenrechtler: Bei Missbrauchsverdacht keine Voruntersuchung abwarten

Veröffentlicht am 25.01.2021 um 14:35 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Den Vatikan erst benachrichtigen, wenn sich ein Missbrauchsverdacht bestätigt hat? Der Kirchenrechtler Georg Bier hält dieses Prozedere nicht für rechtskonform. Denn die Meldepflicht bestehe unabhängig vom Ergebnis einer Voruntersuchung.

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Laut dem Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier entspricht das von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) vorgesehene Prozedere zum Umgang mit sexuellem Missbrauch nicht in allen Punkten dem Kirchenrecht. So sei etwa die Meldung eines Falls an den Vatikan erst nach Bestätigung des Anfangsverdachts durch eine kirchenrechtliche Voruntersuchung "ein eklatanter Verstoß gegen universalkirchliches Recht", schreibt Bier in der "Herder Korrespondenz" (Februar-Ausgabe). Dabei bezieht er sich auf die 2019 durch den Ständigen Rat der DBK beschlossene "Ordnung für den Umgang mit sexuellem Missbrauch".

Nach der aktuellen gesamtkirchlichen Rechtslage seien Diözesanbischöfe aufgefordert, Sexualdelikte bereits als Verdachtsfall nach Rom zu melden und parallel dazu eine kirchenrechtliche Voruntersuchung einzuleiten, schreibt Bier weiter. Die Meldepflicht bestehe allerdings unabhängig vom Ergebnis dieser Untersuchung. Mit dem Motu proprio "Vos estis lux mundi" von Papst Franziskus aus dem Jahr 2019 sei die Meldepflicht zudem auf Vertuschungsversuche erweitert worden. Jeder Bischof müsse umgehend den zuständigen Metropoliten sowie den Apostolischen Stuhl über einen Fall informieren. Wenn der Metropolit selbst betroffen ist, müsse die Meldung an den dienstältesten Suffraganbischof erfolgen. Aktuell lässt der Münsteraner Bischof Felix Genn als dienstältester Bischof der Kirchenprovinz Köln prüfen, ob er das Vorgehen des Kölner Erzbischofs und Metropoliten, Kardinal Rainer Maria Woelki, untersuchen soll. Diesem wird vorgeworfen, die Meldung eines Missbrauchsfalls in seinem Erzbistum an den Vatikan versäumt zu haben. Aktuell wartet Genn auf eine entsprechende Antwort aus dem Vatikan.

Absetzung bei vorsätzlichem Fehlverhalten

Der Kirchenrechtler Bier beschreibt in seinem Beitrag die Normen, die Rücktritte oder Amtsenthebungen von Bischöfen regeln. Je nachdem, ob ein Diözesanbischof vorsätzlich oder fahrlässig Schaden verursacht habe, komme entweder eine Absetzung oder eine Amtsenthebung in Betracht. Während es sich bei der Absetzung um eine Strafe handele, sei die Amtsenthebung eine Disziplinarmaßnahme, so Bier. Darüber hinaus könne der Papst einen Diözesanbischof auch durch einen sogenannten primatialen Akt aus dem Amt entfernen. Ein Beispiel für eine Amtsenthebung ist der Fall von Bischof Martin Holley. Dieser wurde 2018 von seinem Amt als Bischof der US-Diözese Memphis entfernt. Gründe für den Schritt gab der Vatikan damals nicht bekannt. Vorausgegangen war eine von Rom veranlasste Untersuchung, deren Hintergrund eine bistumsinterne Kontroverse um die Amtsführung Holleys gewesen sein soll.

Gerade beim Amtsenthebungsverfahren werde Bischöfen bis zum Schluss die Möglichkeit eines "gesichtswahrenden" Amtsverzichts eigeräumt. In bestimmten Fällen hält Bier das für problematisch. "Wo Bischöfe für ihr eigenes Versagen im Umgang mit Sexualstraftaten oft nur dürre Pauschalentschuldigungen vorbringen und jede Empathie mit den Opfern vermissen lassen, könnte solche Rücksichtnahme aus Sicht Betroffener ein nur schwer erträgliches Zeichen sein", so der Kirchenrechtler. Missbrauchs- oder Vertuschungstätern die Übernahme von Verantwortung samt sanktionierender Konsequenzen zu ersparen, sei "verweigerte Gerechtigkeit". (mal)