Kanadische Kirchenmänner betonen Bemühungen für Aussöhnung

Nach Kinderleichenfund: Kardinal weist Kritik von Trudeau zurück

Veröffentlicht am 08.06.2021 um 13:30 Uhr – Lesedauer: 

Toronto ‐ Der Weg zur Versöhnung sei noch lang, da würden Seitenhiebe unterwegs nicht helfen: Der Erzbischof von Toronto, Thomas Collins, findet die Äußerungen von Kanadas Premierminister Trudeau "unfair". Auch ein weiterer kanadischer Kardinal äußert sich.

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Der Erzbischof von Toronto, Kardinal Thomas Collins, hat Äußerungen des kanadischen Premierministers Justin Trudeau zur kirchlichen Aufarbeitung des Leichenfunds in der Kleinstadt Kamloops als "unfair" bezeichnet. "Ich halte es für hilfreicher, wenn wir alle auf diesem langen Weg zur Versöhnung zusammenarbeiten und auf unfaire Angriffe auf diejenigen verzichten, die ihr Bestes geben, um eine Aussöhnung mit allen indigenen Völkern zu erreichen", sagte Collins dem kanadischen Nachrichtensender "CTV News" am Sonntag. Kanadas Regierungschef hatte am Freitag seine "tiefe Enttäuschung" über die Haltung der Kirche ausgedrückt und eine offizielle Entschuldigung gefordert.

Die Regierung müsse realisieren, dass sie von der Kirche eine verbesserte Reaktion auf die Tragödie fordere, während diese noch daran arbeite. "Wir machen Fortschritte, aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns", so Collins weiter. "Ich denke, der Premierminister sollte auf die Arbeit seiner eigenen Regierung schauen, auch sie hat noch einiges zu tun."

Kirche in Kanada auf "Pfad der Versöhnung" mit Indigenen

Das System der sogenannten "residential schools" sollte nach dem Willen des kanadischen Staates der Umerziehung der indigenen Bevölkerung dienen. In den überwiegend von christlichen Kirchen oder Ordensgemeinschaften geführten Einrichtungen wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts Kinder aus indigenen Familien zumeist zwangsweise untergebracht, um sie an die "christliche Zivilisation" heranzuführen. Zwischen den 1830er Jahren und 1998 landeten schätzungsweise mehr als 150.000 indigene Kinder in solchen Einrichtungen. Dort durften sie oft ihre Muttersprache nicht sprechen, viele von ihnen wurden misshandelt oder missbraucht.

Die Kirche in Kanada sei mit den indigenen Völkern auf einem "Pfad der Versöhnung", sagte Collins. Die in das System der Umerziehungsheime involvierten (Erz-)Bistümer hätten bereits Entschuldigungen geäußert. Erzbischof Collins betonte, dass die Kirche die Aufklärung nicht behindern wolle: "Zu behaupten, die katholische Kirche, die Bischöfe oder der Vatikan versuchten Dokumente geheim zu halten, ist schlicht unredlich." Dass sich der Heilige Vater am Sonntag noch nicht offiziell entschuldigt habe, bedeute nicht, dass eine kirchliche Bitte um Entschuldigung für die Zukunft ausgeschlossen sei.

Kardinal Michael Czerny, Untersekretär des Dikasteriums für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen, am 12. Februar 2020 im Vatikan.
Bild: ©KNA/Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani

Kardinal Michael Czerny, Untersekretär des Dikasteriums für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen.

Auch der kanadische Kurienkardinal Michael Czerny drückte seine Trauer über den Fund der 215 Kinderleichen aus: "Es gibt keine Worte, um zu beschreiben, wie schrecklich das ist", sagte er am Montag in einem Interview mit "CTV News". Die Kirche teile den Schmerz der indigenen Bevölkerung und ganz Kanadas. Er hoffe, die Worte des Papstes hätten die Menschen erreicht, die am stärksten verletzt und verlassen seien.

Czerny äußerte sich auch zur ausgebliebenen Entschuldigung des Papstes im Rahmen des traditionellen Mittagsgebetes am Sonntag: "Es ist nicht an ihm, der von außen an die Sache herantritt, eine Entschuldigung auszusprechen", sagte Czerny. Es wäre zwar spontan möglich gewesen, um Verzeihung zu bitten, doch wäre diese Geste dann mitunter nicht gut genug vorbereitet gewesen. Denn eine Entschuldigung sei nicht einfach ein Wort, das man in ein Redemanuskript schreibe. Stattdessen müsse Versöhnung "gelebt" werden. Wenn die katholische Kirche in Kanada gemeinsam mit der Regierung und der indigenen Bevölkerung zu einer Einigung gekommen sei, werde sich Franziskus offiziell entschuldigen. Er verstehe jedoch, dass es für die Betroffenen schmerzhaft sei, weiter warten zu müssen.

Zwei kanadische Kardinäle zu Gesprächen beim Papst

Czerny war als einer von zwei kanadischstämmigen Kurienkardinälen, die der Papst am Samstag traf. Während der Präfekt der Kongregation für die Bischöfe, Marc Ouellet, im Rahmen seines wöchentlichen Treffens mit dem Pontifex über die Situation in Kanada sprach, wurde Czerny gesondert von Franziskus empfangen.

Am Sonntag hatte Papst Franziskus seinen Schmerz und seine Trauer über den Fund von 215 Kinderleichen in einem früheren katholischen Internat in Kanada bekundet. Zusammen mit der gesamten Kirche sei er dem "kanadischen Volk, das durch diese schockierende Nachricht traumatisiert ist", nahe, sagte das Kirchenoberhaupt beim Mittagsgebet auf dem Petersplatz. Staatliche und kirchliche Stellen arbeiteten eng zusammen, um die Sache aufzuklären, so Franziskus. Eine vom Premierminister geforderte offizielle Entschuldigung blieb jedoch aus.

Auf dem Gelände des früheren Heims nahe der Kleinstadt Kamloops waren Ende Mai die Überreste der Kinder mit Hilfe eines Bodenradars entdeckt worden. Bisher liegen keine Erkenntnisse über die Todesursachen bei den Kindern vor, deren Überreste noch nicht geborgen wurden. Die katholische Kirche hatte das Internat im Westen des Landes 1890 eröffnet. Das Heim war eines von 139 Umerziehungsheimen in Kanada, die überwiegend unter kirchlicher Leitung standen. 1969 übernahmen staatliche Behörden das Internat, 1978 wurde es geschlossen. (cst)