Standpunkt

Wer Kirche nur als Opfer der Medien sieht, vertut eine Chance

Veröffentlicht am 04.11.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Manchmal wird beklagt, die Kirche würde etwa beim Missbrauch in der Öffentlichkeit zu sehr an den Pranger gestellt. Doch es sei problematisch, wenn die Kirche nur als Opfer des medialen Diskurses dargestellt werde, kommentiert Max Cappabianca.

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Wenn der Kirche ihre Skandale vorgehalten werden, dann wird innerkirchlich zuweilen beklagt, dass mit zweierlei Maß gemessen würde. Missbrauch sei keineswegs ein "katholisches" Problem. In absoluten Zahlen gäbe es in Familien und anderswo viel mehr Fälle von Missbrauch als in der Kirche. Aber darüber schwiegen die Medien.

Oder das Problem der "Residential schools" in Kanada: Das sind Umerziehungseinrichtungen, in denen Kinder von Indigenen von ihren Müttern brutal getrennt wurden, um sie kulturell zu assimilieren. Seitdem bekannt wurde, dass auch in Einrichtungen der katholischen Kirche zahlreiche Kinder zu Tode kamen und in Massengräbern verscharrt wurden, ist das Entsetzen groß. Allerdings habe die katholische Kirche ja nicht allein bei diesem System mitgemacht. Auch Kinderheime anderer Konfessionen und staatliche Einrichtungen hätten systematisch Kindesraub begangen. Wenn der kanadische Premier nun eine Entschuldigung von der katholischen Kirche fordere, sei das verlogen, denn schließlich hätte die Kirche im Auftrag des Staates so gehandelt. Noch unglaubwürdiger werde diese Haltung, wenn der kanadische Staat Entschädigungsleistungen verweigere.

Ja es gibt den Reflex, bevorzugt die katholische Kirche für alle möglichen Skandale haftbar zu machen und es mag auch stimmen, dass ideologische Interessen den Blick für die Fakten zuweilen trüben. Die katholische Kirche mit ihrem moralischen Anspruch und ihrer institutionellen Kontinuität eignet sich ja auch besonders dafür, an den Pranger gestellt zu werden. Problematisch wird es, wenn die Kirche, die ja zweifelsohne Täterinstitution ist, ausschließlich als Sündenbock, als Opfer des medialen Diskurses dargestellt wird.

Nicht nur, dass den wahren Opfern ein zweites Mal Unrecht angetan wird! Es wird darüber hinaus eine Chance vergeben, es endlich anders zu machen. Der Umgang mit individueller und struktureller Sünde innerhalb der Kirche sollte der Lackmustest für die Umsetzung des Evangeliums im Hier und Heute sein, oder die Botschaft des Evangeliums ist irrelevant. Deswegen kann neue Glaubwürdigkeit auch nicht an den Opfern vorbei erlangt werden, sondern nur durch sie. Und da Vergebung nicht erzwungen, sondern nur erbeten werden kann, zeigt sich gerade in dieser Abhängigkeit, dass eben nicht alles in unserer Macht liegt.

Wenn die Kirche und ihre Amtsträger bevorzugt an den Pranger gestellt werden, dann sollte uns das nicht schrecken. In der Demut des Aushaltens und des Übernehmens von Verantwortung liegt der Schlüssel für eine Läuterung, die nicht erzwungen, sondern nur erhofft werden kann. Wenn diese gelingt, wäre das sogar ein echtes Glaubenszeugnis.

Von Pater Max Cappabianca

Der Autor

Der Dominikaner Max Cappabianca ist Leiter der Katholischen Studierendengemeinde Hl. Edith Stein in Berlin.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.