Von der Schwierigkeit, die richtigen Worte zu finden

Halt, laufen Sie nicht weg!

Veröffentlicht am 17.06.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bild: © KNA
Wort zum Sonntag

Bonn ‐ Das "Wort zum Sonntag" in der Halbzeitpause eines WM-Spiels. Passt das? Verena Maria Kitz hat sich daran gewagt, und Medien und Zuschauer sind sich einig: Es passt nicht. Das war kein Ausrutscher und kein Zufall, meint katholisch.de-Redakteur Felix Neumann: Der Kirche fehlt die Sprache, um ohne Anbiederung von Gott zu sprechen.

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Wann haben wir in der Kirche das Sprechen verlernt? Viel Spott wurde in den sozialen Medien und in der Presse über Verena Maria Kitz ausgegossen, die in ihrem "Wort zum Sonntag" in der Halbzeitpause des Spiels England gegen Italien die Metapher "Seitenwechsel" theologisch durchdekliniert hat. Was sie gesagt hat, ist aller Ehren wert: Denkt an die Armen, denkt an die Ausgebeuteten, und am Schluss der Dreh zum Evangelium: "Was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen."

Sie spricht, wie wir heute in der Kirche sprechen: In einem seltsamen Jargon, geprägt von religionspädagogischen Seminaren und Bildern und Sprachspielen aus dem Kindergottesdienst, der nichts damit zu tun hat, wie die Leute reden. Und trotzdem versucht dieser Jargon, einen zeitgemäßen Klang anzunehmen. Was dabei entsteht, ist Anbiederung, nicht Volksnähe.

Der Kirche fehlt die Sprache

Das prominent platzierte "Wort zum Sonntag" ist kein Ausreißer, sondern zeigt, wie es um die Verkündigung in der Kirche bestellt ist: Es fehlt der Kirche die Sprache, um vom Glauben zu sprechen. Eine Sprache, die verstanden wird, eine Sprache, die nicht peinlich ist. "Halt, laufen Sie nicht weg!" So hat Kitz ihr "Wort zum Sonntag" begonnen. Das charakterisiert die Außendarstellung und die Außenwirkung der Kirche gut: Eigentlich ist es uns ja selber peinlich, was wir sagen.

Die Entschuldigung kommt gleich vorweg, und wenn sie auch noch so ironisch formuliert ist: Darin steckt die resignierte Einsicht, dass die Kirche fehl am Platz ist zu dieser prominenten Sendezeit. Darin steckt die Einsicht, dass in der Kirche eine Sprache von Gott fehlt, die auch nach dem Ende der Volkskirche noch verstanden wird.

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Video: © Verena Maria Kitz

"Seitenwechsel" gesprochen von Verena Maria Kitz (kath.)

Ein guter Sendeplatz reicht nicht

Rundfunkstaatsverträge sichern die Sendeplätze der Kirchen. Ein guter Sendeplatz und guter Wille reichen aber nicht aus. Es fehlen die Idee und die Sprache, was mit diesen Sendeplätzen zu tun ist, es fehlt jeden Sonntag in viel zu vielen Gottesdiensten die Idee, wie die fünf bis zehn Minuten Predigt sinnvoll und mit Gewinn für den Glauben gefüllt werden können.

An vielen Orten hat sich die Kirche von der Gesellschaft entfernt, und das nicht im guten Sinn von "Entweltlichung" (ein Wort, das mittlerweile selbst unter Floskelverdacht steht), sondern in der Ausbildung einer nur in der Kirche verständlichen und geschätzten Ästhetik, die in den 70ern stehengeblieben ist: Die einen in den 70ern des zwanzigsten, die anderen in den 70ern des neunzehnten Jahrhunderts, hier der Sakropop und das Neue Geistliche Liedgut, dort der süßliche Schwulst romantischer Marienlieder und zum Klischee verkommener Nazarener-Malerei. (Und dasselbe wäre über die politische Ästhetik beider Lager zu sagen.)

Verena Maria Kitz ist das alles gar nicht zu sehr anzulasten: Zum Format "Wort zum Sonntag" hat sie eine handwerklich ganz akzeptable Kurzpredigt geliefert. Aus dem seit 60 Jahren bis auf die Kulissen fast unveränderten Format eines "religiösen Frontalunterrichts" hat sie noch das Beste herausgeholt. Aber handwerklich in Ordnung und gut gemeint ist nicht genug. Christliche Verkündigung muss mehr sein als "Halt, laufen Sie nicht weg!" – und so zu sprechen, das haben wir in der Kirche verlernt.

Von Felix Neumann

Statement

Verena Maria Kitz äußert sich zu ihrem Wort zum Sonntag vom 15. Juni: "Ich freu mich drüber, dass über 6 Millionen Menschen dieses Wort gesehen und die Botschaft vom Seitenwechsel gehört haben. Schade, dass der Einstieg bei vielen nicht ankam. Wichtig ist mir: Auch wenn wir feiern und Fußball schauen, dürfen wir die Menschen in Brasilien nicht vergessen, in den Favelas und auf den Kaffeeplantagen! Ich will auf sie aufmerksam machen, anregen, dass wir uns in sie hinversetzen, so sehr das auch erschrecken kann. Mir ist wichtig als Christin, dass wir die Perspektive einnehmen von denen, die an den Rand gedrängt werden, die den Preis zahlen – jetzt bei der WM, oder auch sonst von unserem Wohlstand. Damit wir etwas tun für mehr Ausgleich in der Welt."