Franziskus' Worte zum Ukraine-Krieg gefallen nicht jedem

Der Papst als Putin-Versteher?

Veröffentlicht am 06.05.2022 um 17:12 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ An der Haltung des Pazifisten Franziskus zum Ukraine-Krieg hat sich nichts geändert, seit russische Truppen das Land überfallen haben. In seinen Äußerungen hat sich der Papst allerdings schon gewandelt – und kommt damit nicht überall gut an.

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Erst brachte er wochenlang nicht den Namen des Aggressors (Putin) über die Lippen. Dann rätselte die halbe Welt, wann er nach Kiew reisen würde, wohin er schon lange eingeladen war. In einer Friedensandacht empfahl der Papst dann die Ukraine und (!) Russland der Fürsprache der Gottesmutter und ließ am Karfreitag eine junge Russin und eine junge Ukrainerin gemeinsam das Kreuz tragen.

Dass Franziskus den Überfall auf die Ukraine seit Beginn des Krieges scharf und klar verurteilte, die Ukrainer ständig seiner Solidarität versicherte, reichte vielen nicht. Sie wollten, dass er den Aggressor beim Namen nennt, wollten noch deutlichere Solidaritätsgesten an die Ukraine. Also küsste er bei einer Generalaudienz eine verschmutzte ukrainische Fahne, die man in Butscha gefunden hatte, wo russische Soldaten Berichten zufolge Hunderte Zivilisten ermordet hatten.

Aber dann kritisierte der Papst angekündigte Erhöhungen von Rüstungsetats und weitere Waffenlieferungen. Sofort empörten sich etliche, Franziskus falle westlichen Staaten und der Nato in den Rücken. Dabei hatte das Kirchenoberhaupt die Worte "Nato" und "Westen" gar nicht in den Mund genommen. Offenbar war aber deutlich genug, wen er meinte.

Bild: ©Vatican Media/Romano Siciliani/KNA

Papst Franziskus, ein Putin-Versteher? 2019 empfing das Kirchenoberhaupt den russischen Staatspräsidenten im Vatikan.

Schließlich, am vergangenen Dienstag, nahm Franziskus das "P-" und das "R-Wort" doch in den Mund. In einem Interview mit dem "Corriere della Sera" nannte er erstmals seit Beginn des Kriegs Russland und Präsident Wladimir Putin beim Namen. Und gab zu Protokoll, anstatt nach Kiew wolle er lieber nach Moskau reisen. Der Papst als Putin-Vesteher?

Während in den vergangenen Wochen die halbe politische Führung des Westens nach Kiew reiste, nimmt der Papst zunehmend Abstand davon. Stattdessen schickte er zwei Kardinäle, in Kürze wird wohl sein Außenminister folgen. "Zuerst muss ich nach Moskau gehen, zuerst muss ich Putin treffen", sagte er dem "Corriere". Er sei allerdings nur ein Priester und könne nur tun, was ein Priester tun könne - das Gespräch suchen.

Experten kritisieren Franziskus' Sicht auf Ukraine-Krieg

Dabei sucht das Oberhaupt der katholischen Kirche nicht nach Rechtfertigungsgründen, aber doch nach Faktoren, die Putins Entscheidungen beeinflusst haben könnten. Vielleicht habe das "Bellen der Nato an Russlands Tür" den Kremlchef zu einer schlechten Reaktion und zum Auslösen des Konflikts veranlasst, mutmaßte der Papst. "Ein Zorn, von dem ich nicht sagen kann, ob er provoziert wurde, aber vielleicht begünstigt."

Eine solche Sicht auf den Krieg als geopolitischen Interessenkonflikt zwischen Russland und den USA habe "wichtige Defizite", kritisierten dieser Tage der Münsteraner Osteuropa-Experte Thomas Bremer, die Berliner Theologin Regina Elsner, der in den USA lehrende Theologe Massimo Faggioli und die Innsbrucker Soziologin Kristina Stoeckl. Doch Franziskus geht seinen eigenen Weg und bleibt dabei der Tradition päpstlicher Diplomatie treu, sich nicht zu sehr auf eine Seite ziehen zu lassen.

Bild: ©KNA

Der Papst will den Gesprächsfaden nach Moskau nicht abreißen lassen. 2016 trafen sich mit Kyrill I. und Franziskus erstmals in der Geschichte ein Moskauer Patriarch und ein römischer Pontifex.

"Man muss mit allen reden, nur nicht mit dem Teufel", hat er wiederholt gesagt. Daher will er selbst noch so dünne Gesprächsfäden nach Moskau nicht abreißen lassen, einen Türspalt offen halten. Besonders wichtig ist ihm dies bei einem Konfliktbeteiligten, der auf einem riesigen Arsenal von Atomwaffen sitzt. Franziskus möchte Putin aus der Ecke holen - in der Russlands Präsident noch heftiger um sich schlagen könnte.

"Jede Bemühung, um einen Waffenstillstand zu erreichen, ist gut", resümierte am Freitag der Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis. Wie das im Einzelnen funktionieren könne, müsse jeder Akteur für sich selbst entscheiden. Cassis hatte zuvor mit dem Papst wie mit dessen Außenminister Paul Gallagher über die Ukraine gesprochen.

"Patriarch kann sich nicht zum Messdiener Putins machen"

Inzwischen setzt Franziskus bei seinem Bemühen um Vermittlung weniger auf den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. Der hatte ihm bei einem Videogespräch Mitte März wie ein General geografische Karten vorgelegt und Moskaus Gründe für die spezielle Militäroperation erklärt. Doch Franziskus wischte dies beiseite: "Bruder, wir sind keine Staatskleriker und dürfen nicht die Sprache der Politik, sondern müssen die Sprache Jesu sprechen", wies er Kyrill zurecht.

Gegenüber dem "Corriere"-Chefredakteur schob Franziskus nach: "Der Patriarch kann sich nicht zum Messdiener Putins machen." Er sagte nicht, dass Kyrill bereits Putins Oberministrant sei. Trotzdem ist dies nicht mehr vornehm zurückhaltende vatikanische Diplomatensprache. Moskaus Replik ließ nicht auf sich warten: Der Papst habe sich im Ton vergriffen. Ein für Mitte Juni geplantes Treffen der beiden Kirchenoberhäupter ist inzwischen abgeblasen.

Kardinal Czerny
Bild: ©KNA/Cristian Gennari/Romano Siciliani

Kardinal Michael Czerny ist einer der beiden Kardinäle, die Franziskus in die Ukraine entsandt hat.

Von einer Abhängigkeit des Papstes vom Moskauer Patriarchen, wie es ihm unlängst Kritiker vorwarfen, kann kaum die Rede sein. Bei aller Solidarität mit Schwachen will Franziskus sich von niemandem vereinnahmen lassen. Und so legte der Pazifist auf dem Stuhl Petri nach. Ohne ein Recht auf Selbstverteidigung grundsätzlich in Frage zu stellen, wiederholt er Zweifel am Nutzen von Waffenlieferungen an die Ukraine.

"Ich bin zu weit entfernt von der Frage, ob es gerechtfertigt ist, die Ukrainer zu beliefern", sagte er dem "Corriere". Aber die Russen wüssten nun, dass ihre gepanzerten Fahrzeuge wenig nützten - "und denken schon an andere Dinge". Kriege würden geführt, um Waffen zu testen, die man bereits produziert habe. "Das war schon immer so", so der Papst.

An anderer Stelle hatte Franziskus eingeräumt, er verstehe jene, die aufrüsten und Waffen liefern wollten. Aber er teile ihre Sicht nicht. Damit bleibe man in der Logik der Gewalt gefangen. Der Pontifex denkt in der Logik Jesu und dessen Bergpredigt. Wer, wenn nicht der Papst, sollte das tun? Das legt er nicht nur seinem orthodoxen Bruder Kyrill eindringlich ans Herz - sondern allen Menschen.

Von Roland Juchem (KNA)