95-jähriger Priester: "Für meinen Tod ist alles vorbereitet"

Alfred Josef Latka klingt am Telefon fröhlich, sehr freundlich und lebensfroh. Er lebt in Rhumspringe im Landkreis Göttingen. Der 95-Jährige feiert in diesem Jahr sein 70. Priesterjubiläum. Obwohl er auch den Zweifel kennt, fühlt der Priesterpensionär bis heute eine innige Liebe zu Gott. Wie er sich den Himmel vorstellt und welchen Spruch er auf seiner Grabplatte haben möchte, erzählt er im Gespräch mit katholisch.de.
Frage: Herr Pfarrer Latka, herzlichen Glückwunsch zum Weihejubiläum. Hatten Sie eine schöne Feier?
Latka: Danke. Ja, es war ein schönes Fest mit der Gemeinde, mit Angehörigen und Freunden in Rhumspringe. Ein Mitbruder, der auch mein Testamentsvollstrecker ist, hat die Predigt im Gottesdienst gehalten. Es war alles sehr feierlich.
Frage: Wofür brauchen Sie den Testamentsvollstrecker?
Latka: In der Diözese Hildesheim wurden wir Priesterpensionäre dazu aufgefordert, einen Mitbruder zu benennen, der uns dabei hilft, ein Testament aufsetzen und mit uns all das vorbereitet, was nach unserem Tod passieren soll. Es ist alles geregelt. Auch meinen Grabstein habe ich schon.
Frage: Sie haben Ihren Grabstein schon?
Latka: Ja, es gibt schon einen Entwurf für meine Grabplatte. Also der Steinmetz weiß, wie er sie für mich machen soll und was draufstehen soll.
Frage: Was soll denn auf Ihrer Grabplatte stehen?
Latka: Zunächst meine Daten von Leben und Tod. Und dann habe ich einen besondern Spruch ausgewählt. Ich war einmal bei einer Kur in Bad Wörishofen. Bei einem Spaziergang im Nachbarort Schlingen habe ich eine Gedenkstätte für verstorbene Priester entdeckt. Dort auf einem Grabstein habe ich den Spruch gelesen: "Wenn ich gelebt, wie Gott begehrt, dann ist der Himmel mein. Wenn ihr getan, wie ich gelehrt, dann kommt ihr auch mit rein!" Den finde ich schön und möchte ihn auch auf meinem Grabstein haben.

Pfarrer i.R. Alfred Josef Latka feierte am 27 Juli 2022 den 70. Jahrestag seiner Priesterweihe, ein Gnadenjubiläum in der Kirchengemeinde St. Sebastian Rhumspringe, die zum Bistum Hildesheim gehört.
Frage: Haben Sie immer getan, was der Herrgott wollte?
Latka: Wissen Sie, als ich Kind war, habe ich bei der Erstkommunionvorbereitung ja das Beichten erlernt. Da kam immer auch die Frage, ob der liebe Gott immer zufrieden mit mir war. Ich habe immer versucht, im Lauf meines Lebens in den Willen Gottes hineinzuwachsen. MIt den Jahren ist daraus eine eine innige Verbindung zu Jesus Christus geworden, die ich bis heute habe. Ich bete jeden Tag das Stundengebet und fühle mich da dem Herrn ganz nahe. Es hilft mir, meinen Tag einzuteilen und ich fühle mich verbunden mit vielen anderen Betenden weltweit.
Frage: Hilft das auch dabei, mit der Einsamkeit umzugehen?
Latka: Einsam bin ich überhaupt nicht. Ich habe immer auch viele Jahre eine Haushälterin bei mir gehabt. Leider ist sie vor ein paar Jahren gestorben. Meine letzte Haushaltshilfe hat mir auch das Kochen beigebracht. Das mache ich bis heute gern. Momentan hilft mir auch meine Nichte. Sie war heute schon für mich einkaufen, weil ich nicht mehr so mobil bin. Ich werde versorgt, mir geht es gut. Auch in meinem Urlaub habe ich nach Möglichkeiten gesucht, mich innerhalb einer Gruppe aufzuhalten. Im Sommer war ich in Segelschulen an der Nordsee und im Winter in Schischulen in Österreich. So war ich nie alleine.
Frage: Wie halten Sie sich heute körperlich fit?
Latka: Ich versuche jeden Tag mit dem Rollator einige Runden um mein Haus zu gehen, das sind genau 1000 Schritte. Ich habe kein Auto mehr, denn in meinem Alter sollte man nicht mehr selbst Auto fahren. Aber ich habe einen elektrischen Scooter, also einen elektrischen Krankenfahrstuhl mit dem ich in den Ort fahre und in die Umgebung fahren kann. So habe ich Bewegung an der frischen Luft.
Frage: Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken, woran erinnern Sie sich jetzt vor allem?
Latka: Ich denke manchmal an meine Zeit im Krieg. Ich war damals erst 15 Jahre alt und schon Luftwaffenhelfer. Später wurde ich in einer Panzerpionierkaserne in der Nähe von Breslau ausgebildet. Als die Ausbildung fertig war, standen die Russen vor Breslau. So kam ich sofort in den Einsatz. Bei diesem Einsatz bin ich bei einem Meldegang verwundet worden. Es war eine gefährliche Zeit. Damals bin ich auch verwundet worden. Ich erinnere mich noch, wie mir die Kugeln um die Ohren geflogen sind. Ich hatte Glück und hab diesen schrecklichen Krieg überstanden.
„Ich lebe in einer sehr engen Verbindung mit unserem Herrn und Heiland. Denn, wenn ich die heilige Messe in der Person Jesu Christi feiere, dann bin ich ihm ganz nah. Auch dann, wenn ich mein Stundengebet bete.“
Frage: Wie haben Sie diese Erlebnisse im Krieg verarbeitet?
Latka: Ich bin mir heute sicher, dass ich damals Schutzengel hatte, die mich beschützt haben. Einer davon war meine Mutter. Sie ist 1944 gestorben, ich war noch an ihrem Grab. Sie war mein großer Schutzengel. Das habe ich immer gespürt. Nach dem Krieg wurde ich dann aus dem Lazarett entlassen und kam über viele Stationen nach Fulda. Dort im Priesterseminar habe ich das Abitur nachgemacht und begonnen, Theologie zu studieren. In den Semesterferien konnte ich nicht im Seminar bleiben, weil dort die einmal im Jahr die Deutsche Bischofskonferenz tagte. Wir haben unsere Zimmer geräumt und haben Platz für die Bischöfe gemacht. Ich kam damals immer zu einer Bauernfamilie mit sechs Kindern nach Oberhessen. Ich war wie das siebte Kind für diese Familie. Bis heute sind wir freundschaftlich miteinander verbunden.
Frage: Hätten Sie auch gerne Bischof werden wollen?
Latka: Nein, niemals. Ich wollte nur Pfarrer sein, nichts anderes.
Frage: Haben Sie jemals an Ihrer Berufung gezweifelt?
Latka: Vor der Weihe zum Subdiakon, die gab es damals noch, bekam ich auf einmal große Bedenken. Ich habe mich ernsthaft gefragt: Bin ich wirklich zum Priester berufen? War das nur ein Kindheitstraum? Mache ich das nur wegen meiner Familie oder meiner religiösen Tante, die auch eine Ordensfrau war? Dann habe ich mich ein Semester freistellen lassen, weil ich gesagt habe, mit all diesen Zweifeln kann ich nicht geweiht werden. Dann bekam ich ein Freisemester, in dem ich meine Berufung prüfen konnte. Damals gab es noch die Kapellenwägen. Das waren Busse, die auf der eine Seite ausgeklappt werden konnte und dahinter stand ein Altar. Darauf konnte man dann Gottesdienste feiern. Da gab es auch Bänke zum Aufstellen und ein Zelt. Mit so einem Bus war ich dann in der Zeit unterwegs. Wir haben auch im Bus geschlafen, der Busfahrer, ein Pater und ich. Denn es gab damals nach dem Krieg so viele Katholiken, die ganz verstreut in den Ortschaften lebten und keine Seelsorge hatten. Ich zum Beispiel machte Angebote für Familien und Kinder. Das war eine schöne Erfahrung für mich, quasi mein Seelsorgepraktikum. Danach habe ich Exerzitien gemacht und habe dann mein Berufungserlebnis gehabt.
Frage: Was ist geschehen?
Latka: Ich war in einer Kapelle zum Gebet. Und plötzlich fand ich mich mit ausgestreckten Armen auf den Boden liegend. Es hat mich beim Beten regelrecht umgeschmissen. Ich konnte nur noch stammeln: "Ja, Herr, ich bin da. Ich bin bereit". Das war wie eine Offenbarung für mich. Damals habe ich gespürt, Gott wollte mich von Anfang an für sich haben, daher hat er mich diesen schrecklichen Krieg auch überleben lassen und mich vor dem Tod bewahrt. Dann konnte es für mich nicht schnell genug gehen. Es folgte meine Priesterweihe im Dom zu Fulda mit Bischof Johannes Dietz. 1952 trat ich dann in den Dienst des Bischofs von Hildesheim und wirkte dann als Kaplan in Bremen und später als Priester in Eldagsen, Offleben und Buxtehude. Bis ich hierher in die St. Sebastiangemeinde in Rhumspringe kam.

Pfarrer i.R. Alfred Josef Latka lebt in Rhumspringe, einer Gemeinde in Göttingen. Täglich dreht er mit Hilfe von Stock oder Rollator ein paar Runden um sein Haus.
Frage: Was wäre, wenn Ihre Zweifel damals geblieben wären?
Latka: Dann wäre ich weggegangen. Aber es war nicht so. Ich blieb und bin jetzt 70 Jahre Priester im Bistum Hildesheim. Ich bin kein geknickter Mann, sondern eine frohe Natur bis zum heutigen Tag.
Frage: Kamen Ihre Zweifel nochmals?
Latka: Nein, kein einziges Mal mehr. Ich habe allerdings vor allem im Urlaub gemerkt, dass ich allein lebe. Wenn ich die evangelischen Pastoren erlebt habe, die mit ihrer Familie unterwegs waren, habe ich gespürt, dass ich nicht verheiratet war. Aber ich konnte damit umgehen, denn ich hing mit Leib und Seele an meinen Beruf.
Frage: Finden Sie, dass Priester heute heiraten sollten?
Latka: Ich halte das in der heutigen Zeit vertretbar, wenn die Priester heute heiraten würden und eine Familie haben. Ich finde es gut, wenn sich ein Priester etwa vor der Diakonenweihe entscheiden könnte, wechen Weg er gehen möchte. Ähnlich wie ein Ständiger Diakon. Aber jeder sollte das für sich entschieden, was gut für ihn ist. Ich zumindest habe mich mit dem Zölibat immer wohl gefühlt. Für mich hat es gepasst. Ich war aus ehrlicher Überzeugung Priester, dadurch, dass ich innig mit Jesu Christus verbunden und ständig in seinem Auftrag tätig war. Das hat mich ausgefüllt.
Frage: Gott hat es gut gemeint mit Ihnen …
Latka: Ja, ich hatte ein erfülltes Leben. Ich bin froh, wenn Gott mir diesen Sommer noch schenkt, vielleicht noch den nächsten Herbst. Ich weiß aber nicht, ob ich gesundheitlich auch noch den Winter überstehen werde. Aber es ist alles schon für meinen Tod vorbereitet. Ich werde auf dem Friedhof meiner letzten Pfarrgemeinde beerdigt werden. Diese Kirche war dem heiligen Josef geweiht. Mein zweiter Vorname ist auch Josef, das passt einfach. Dort am Friedhof habe ich auch eine Gedenkstelle anfertigen lassen für die im Krieg verstorbenen Soldaten und alle, die im Krieg umgekommen sind. In der Nähe steht eine Statue vom heiligen Josef. Dort an dieser Stelle wird mein Grab einmal sein. Ich werde dort ewig liegen, denn Priester und Ordensleute haben am katholischen Friedhof in Herzberg ein ewiges Ruherecht.
Frage: Wie stellen Sie sich die Ewigkeit vor?
Latka: Das weiß ich auch nicht. Aber in der Schrift steht ja, dass ich unseren Herrn Jesus Christus sehen werde. Daran glaube ich fest, denn ich war mein ganzes Leben lang mit ihm zusammen, hab mit ihm zusammengearbeitet und er hat mich durch seine Helfer beschützt und mir über die Jahre geholfen. Aber ich wäre natürlich schon sehr glücklich, wenn ich dort im Himmel meine Eltern und Freunde wiedersehen würde. Ansonsten danke ich jeden Morgen dem Herrn, wenn ich aufwache. Ich rekele mich und sage: "Lieber Gott, hast mir noch einen Tag geschenkt".