Wie ein Jesuit Priester in Führungskräfte verwandelt

"Der Kurienflüsterer" macht Theologen zu Leadern

Veröffentlicht am 09.12.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Der Jesuit David McCallum macht mit seinen Mitarbeitern aus Kirchen-Chefs moderne Führungskräfte. Im Interview spricht er über die Schwächen von geistlichen Chefs, Änderungspotenzial in der Kirche und die Führungsqualitäten von Papst Franziskus.

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David McCallum leitet ein schnell wachsendes Start-up. Als Jesuit macht der US-Amerikaner mit seinen Mitarbeitern aus Kirchen-Chefs moderne Führungskräfte. So erfolgreich, dass sie 2023 ihr Programm "Discerning Leadership" auch in Indien und auf den Philippinen anbieten. Im Interview spricht er über die Schwächen von geistlichen Chefs, Änderungspotenzial in der Kirche und die Führungsqualitäten von Papst Franziskus.

Frage: Pater David, kirchliche Leitungskräfte genießen nicht unbedingt den besten Ruf, wenn es um Führungsqualitäten geht. Warum?

McCallum: Oft kommen Menschen in der Kirche in Leitungspositionen, ohne je dafür geschult worden zu sein. Sie waren gut als Theologe oder Philosoph, und plötzlich sollen sie erfolgreich eine Abteilung leiten. Wer macht sowas? Wir als Kirche tun das - und es ist kein Wunder, dass wir damit frustriert sind. Egal ob eine Person zum Bischof, zum Direktor in der vatikanischen Hierarchie oder in einem Orden ernannt wird: Plötzlich sind sie in ihrer neuen Position mit großer Verantwortung und vielen Erwartungen konfrontiert und haben mitunter Schwierigkeiten, ihnen gerecht zu werden. Das kann dann etwa zu Kontrollzwang führen, um eine Art Ordnung herzustellen. Das passiert nicht, weil diese Menschen schlecht sind oder es nicht gut meinen, sondern weil sie über ihre Fähigkeiten hinaus befördert wurden.

Frage: Gibt es da einen Unterschied zwischen Geistlichen und Laien?

McCallum: Es fällt auf, dass Geistliche oft die Einstellung haben, dass sie von anderen nichts zu lernen haben. Manche sehen eine Weiterbildung auch als persönlichen Angriff. Dieser Widerstand gegen ein Lernen von Außenstehenden, die keine Kleriker sind, ist in einigen Fällen ein Nebenprodukt ihrer Ausbildung.

Frage: Und wie möchten Sie das ändern?

McCallum: In unserem Führungskräfteprogramm gibt es kein Einzeltraining. Wir haben gemischte Gruppen aus rund 25 bis 30 internationalen Laien, Ordensleuten und Klerikern. Diese Vielfalt bereichert die Teilnehmer unglaublich in ihrer Weltsicht - und damit in der Art, wie sie ihre Führungspositionen einnehmen. So ist auch die Erfahrung der Geistlichen zu 90 Prozent äußerst positiv. Es gibt eine Art Transformation oder Bekehrung, und sie erkennen, wie viel sie lernen können von Ordensfrauen, die etwa Missionarinnen sind, oder von Laien, die hoch qualifiziert sind; oft weitaus qualifizierter als sie selbst.

„Viele unserer Teilnehmer kommen zu der Einsicht, dass Mut und eine Ausbildung wichtig sind, um eine gute Führungskraft zu sein.“

—  Zitat: David McCallum

Frage: Das heißt konkret?

McCallum: Viele unserer Teilnehmer kommen zu der Einsicht, dass Mut und eine Ausbildung wichtig sind, um eine gute Führungskraft zu sein. Zudem erfordert es auch eine große Bereitschaft zu Verletzlichkeit. Das heißt: zuzugeben, nicht alle Antworten zu haben und andere zu fragen; Schwächen und Fehler zuzugeben; in der Lage zu sein, um Vergebung zu bitten und in der Öffentlichkeit zu lernen; Risiken einzugehen, etwas Neues zu tun und einige Dinge sterben zu lassen, um anderes zum Leben zu erwecken.

Frage: Es gibt offenbar einen sehr großen Bedarf; das Programm wächst ständig. Mittlerweile bieten Sie Kurse in drei Sprachen an und richten sich internationaler aus. Wie läuft so ein Kurs ab?

McCallum: Wir haben gemerkt, dass die Leiter etwas brauchen und wollen, was kein kirchliches Verwaltungsstudium ist. Sie erwarten eine Ausbildung, die in unserer katholischen Tradition verwurzelt ist. Wir integrieren spirituelles Wachstum mit der Entwicklung der eigenen Fähigkeiten in Führung und Management.

Frage: Wie läuft so ein Kurs ab?

McCallum: Insgesamt besteht unser Kurs aus drei Phasen. Zuerst geht es um Selbstreflexion, die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen. Dann gibt es Übungen, die Handwerkszeug und Blickwinkel aus Führungs- und Managementdisziplinen vermitteln. In einem zweiten Schritt gehen wir von der einzelnen Persönlichkeit zum Zwischenmenschlichen über: Bilden von Teams, effektive Kommunikation auch in schwierigen Konfliktsituationen. Dafür erarbeiten sie Lösungen, inspiriert vom Evangelium, das von Versöhnung, Vergebung, Harmonie und Vielfalt spricht.

Frage: Und der dritte Bereich?

McCallum: Das ist die Organisationsebene. Wie lassen sich systemische Probleme diagnostizieren? Wie schafft man innerlich Lösungen, die dann zu Wandel führen. Wie führt man eine Strategie auf eine Weise durch, die auch zielführend ist? Wir bringen die Teilnehmer mit Coaches und spirituellen Leitern zusammen. Zudem haben wir Berater, die für die Organisationen zur Verfügung stehen.

Der Petersdom
Bild: ©katholisch.de/rom

Bei den Teilnehmern der Kurse handelt es sich lauz McCallum um hochrangige Vatikanbeamte mit Management- und Führungsaufgaben sowie um Leiter von Orden und Laien aus katholischen Organisationen.

Frage: Und die Teilnehmer kommen aus hohen Führungspositionen im Vatikan?

McCallum: Es handelt sich um hochrangige Vatikanbeamte mit Management- und Führungsaufgaben sowie etwa um Leiter von Orden und Laien aus katholischen Organisationen. So hatten wir etwa Pater Juan Antonio Guerrero Alves in unserem Programm, bevor er zum Chef des vatikanischen Wirtschaftssekretariates ernannt wurde. Grundsätzlich kommen die vatikanischen Teilnehmer eher aus der mittleren oder hohen Führungsebene. Sie haben mehr Zukunft als beispielsweise die leitenden Kardinäle, die ihre Position meist nur zeitlich begrenzt innehaben.

Frage: Wenn wir von diesen Positionen sprechen, nehmen wir doch mal die höchste: das Papstamt. Was halten Sie von den Führungsqualitäten von Franziskus?

McCallum: (schmunzelt) Das ist sehr schwierig als Jesuiten-Kollege. Aber Franziskus ist meines Erachtens eine außergewöhnliche Führungspersönlichkeit. Er selbst hat im Laufe seines Lebens einige Stationen durchlaufen und auch darüber gesprochen, dass er früher sehr autoritär war. Als er nach Rom kam, war sein Mandat klar: Er sollte die Kurie reformieren. Franziskus hat dabei dieses Gottvertrauen und keine Angst vor Kritik. Er möchte nicht polarisieren - obwohl er als polarisierende Figur wahrgenommen wird -, sondern dem Evangelium, der Mission der Kirche dienen. Ich glaube, dass er in der Lage ist, die Komplexität der Welt zu erfassen, ebenso wie die realen Schwierigkeiten der Katholiken.

Frage: Er macht also alles richtig?

McCallum: Ist er perfekt? Nein, ich glaube nicht, dass Papst Franziskus perfekt ist. Aber ich glaube auch nicht, dass er denkt, er sei perfekt. Manchmal kommt mir die Art und Weise, wie er etwa Klerikalismus angreift, ein wenig hart vor. Ich frage mich, ob er Menschen damit nicht in die Enge treibt und mehr gegen sich aufbringt. Ich frage mich, ob es da nicht einen anderen Ansatz gibt. Aber ich vertraue darauf, dass Franziskus weiß, was er tut. Grundsätzlich hat er immer wieder gezeigt, dass er Integrität besitzt. Wenn er Fehler macht, entschuldigt er sich und bemüht sich, das Geschehene aufzuarbeiten.

Von Severina Bartonitschek (KNA)