Das fremdbestimmte Leben eines einstmals in ganz Europa berühmten Konvertiten

Sultanssohn oder Hochstapler? Der rätselhafte Padre Ottomano

Veröffentlicht am 19.03.2023 um 11:30 Uhr – Von Roland Müller – Lesedauer: 

Bonn ‐ Er ist eine der schillerndsten Personen der Kirchengeschichte des 17. Jahrhunderts: der als Padre Ottomano bekannt gewordene Konvertit Osman. Ordensritter, Päpste und Politiker bestimmten über sein Leben – und setzten den mysteriösen Pater wie eine Schachfigur für ihre Machtinteressen ein.

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Wer war er wirklich? Wie eine dichte Wolke umgibt diese Frage den sogenannten Padre Ottomano – eine der rätselhaftesten und schillerndsten Gestalten der Kirchengeschichte des 17. Jahrhunderts: War er der Sohn des osmanischen Sultans oder doch ein geschickter Hochstapler? War er ein Muslim, der aus freien Stücken zum Katholizismus konvertierte, oder ein Gefangener, dem der christliche Glaube aufgezwungen wurde? Handelte der Ordensmann selbstbestimmt aus politischem Kalkül oder wurde er von katholischen Machthabern für ihre Zwecke instrumentalisiert? Diese Fragen können nach mehreren Jahrhunderten nicht mehr mit letzter Gewissheit beantwortet werden. Doch ein Blick auf das bewegte Leben des Padre Ottomano vermag seine Persönlichkeit auszuloten und die Zwänge aufzuzeigen, denen der Dominikaner in seinem kurzen Leben ausgesetzt war.

Die Bühne der Weltgeschichte betrat der spätere Padre als kleiner Junge und – wie so oft in seinem Leben – war sein dramatisches Debut fremdbestimmt. Am 28. September 1644 attackierten sechs Schiffe des Malteserordens einen osmanischen Schiffskonvoi etwas mehr als 100 Kilometer vor der Küste der Insel Rhodos. Die Malteserritter befanden sich auf einem sogenannten "Corso", ihrer regelmäßigen Jagd auf muslimische Schiffe im Mittelmeer. Die Tätigkeit als Korsaren hatte für den Orden zur damaligen Zeit eine hohe ökonomische Bedeutung erlangt, denn nach dem Verlust seiner Besitzungen in England und Skandinavien infolge der Reformation und während der Religionskriege in Zentraleuropa stellte der "Corso" eine überlebenswichtige Einnahmequelle für die Ritter dar.

Ist Osman der Sohn von Sultan Ibrahim?

Beim Kapern der Schiffe, die von Konstantinopel nach Alexandria unterwegs waren und auch zahlreiche Pilger mit dem Ziel Mekka an Bord hatten, machten die Malteser historischen Angaben zufolge rund 380 Gefangene, unter ihnen eine Frau mit dem Namen Zafira und ihr etwa zweieinhalb Jahre alter Sohn Osman. Die Beute und die Gefangenen wurden nach Malta gebracht, wo sich rasch das Gerücht verbreitete, Zafira gehöre dem Harem des osmanischen Sultans Ibrahim an – und der kleine Osman sei der erstgeborene Sohn des Herrschers und damit dessen legitimer Nachfolger.

Malteser greifen türkische Schiffe an
Bild: ©Wikipedia / Gemeinfrei

Am 28. September 1644 griffen die Malteserritter bei einem "Corso" türkische Schiffe vor Rhodos an. Bei dem Gefecht wurde auch der kleine Junge Osman mit seiner Mutter gefangengenommen.

Ob Zafira wirklich so hieß und eine Haremsdame des Sultans sowie Osman ein Kind des "Großtürken" waren, wie der osmanische Herrscher damals auch genannt wurde, lässt sich aus der Rückschau nicht mit Sicherheit sagen. Einige Historiker waren von der adligen Abstammung Osmans überzeugt und schmückten ihre Beschreibungen mit Geschichten aus, die behaupteten, der Junge sei es gewohnt, von goldenen Tellern zu essen. Andere verwiesen darauf, dass Zafira anscheinend keine Auskünfte zu ihrer Beziehung zu Ibrahim gab und zeichneten mit Blick auf Osman das Bild eines Hochstaplers.

Sicher ist nur, dass der Junge eine große Popularität im christlichen Europa erlangte – selbst der damalige Papst Innozenz X. (1644-55) interessierte sich für dessen Herkunft. Die Mehrheit der Bevölkerung in den damaligen Staaten Italiens, Spaniens, Frankreichs und Deutschlands sah im späteren Padre Ottomano schließlich einen Sohn des Sultans mit einem Anrecht auf den osmanischen Thron. Dazu trugen auch die zahlreichen Pamphlete jener Zeit bei, die sich mit Osman beschäftigten.

Der Muslim Osman wurde zum Padre Ottomano

Nach dem frühen Tod Zafiras im Winter 1644/45 blieb der kleine Osman auf Malta und wurde auf Geheiß des Großmeisters der Malteser zum Mündel eines Ordensritters. Der verschleppte muslimische Junge bekam eine christliche Erziehung. Mehrere Auslöseversuche der osmanischen Regierung lehnten die Malteser ab, weshalb sich die Frage nach Osmans Zukunft stellte. Der Orden entschied sich dafür, ihn 1656 in einer glanzvollen Zeremonie christlich taufen zu lassen. Das Christ-Werden des vermeintlichen Sohns des Sultans, der den Namen Domenico di San Tomaso annahm, wurde als Triumph des katholischen Glaubens und der Gegenreformation inszeniert. 

Historischen Quellen zufolge stimmte Domenico seiner Taufe zu, weil er vom Christentum überzeugt gewesen sei. Doch auch Hoffnungen auf eine kirchliche Karriere dürften ihn zu seiner Konversion bewogen haben. Eine Aufnahme in den elitären Malteserorden kam wegen seiner nicht-christlichen und ungewissen Herkunft nicht infrage. Da Domenico bei den Predigerbrüdern in die Schule gegangen war, trat er zunächst als Novize in den Orden ein und legte 1658 die Profess ab. Ein Jahr später wurde er endgültig in die Gemeinschaft der Dominikaner aufgenommen.

Padre Ottomanus als Kind Osman
Bild: ©Universitätsbibliothek Leipzig / Gemeinfrei

Padre Domenico Ottomano in einer Darstellung, die ihn als Sohn von Sultan Ibrahim zeigt.

Der Orden begann Pläne zu schmieden, wie er mit Hilfe des in ganz Europa bekannten Domenico, der inzwischen im Volksmund Padre Ottomano genannt wurde, seinen Einfluss ausbauen konnte. Denn nun interessierte sich auch die römische Kurie für den jungen Mann, der als Bruder von Sultan Mehmed IV. galt, der inzwischen nach seinem 1648 gestorbenen Vater den Thron des Osmanischen Reiches bestiegen hatte. Fabio Chigi diente in den 1630er Jahren als päpstlicher Gesandter auf Malta und verfolgte ab 1655 auch als Papst Alexander VII. (1655-67) den Werdegang des Padre Ottomano. Er setzte sich dafür ein, den berühmten Konvertiten 1660 an den Dominikanerkonvent Santa Maria sopra Minerva nach Rom zu holen. Auf diese Weise konnte die Kurie Domenico im Auge behalten und durch seine Anwesenheit in der Weltstadt Rom die internationale Aufmerksamkeit für ihn steigern.

Dabei wählten die Vertreter der Kurie und des Dominikanerordens bewusst aus, welchen Adligen und hohen Würdenträgern sie Kontakt zum Padre gewährten. So kam etwa Ferdinand Albrecht zu Braunschweig-Lüneburg während seines Rom-Aufenthaltes 1662/63 in den Genuss dieses Privilegs. Der Herzog durfte den berühmten Ordensmann treffen, den er als großen, gutaussehenden Mann mit dunklem Teint und "schläfrigen Augen" beschrieb. Auf die Frage, warum er auf die Herrschaft über das Osmanische Reich verzichtet habe, um Kleriker zu werden, soll Domenico laut den Aufzeichnungen des Herzogs folgende tiefgründige Antwort gegeben haben: "Ich habe ein sterbliches Reich des Unglaubens verlassen und die Ewigkeit des Christentums in mir aufgenommen."

Zu Audienz beim Sonnenkönig

Auch der französische Hof unter Ludwig XIV. begann sich für den Padre Ottomano zu interessieren, sodass er, begleitet von einigen Dominikanern, 1664 nach Frankreich aufbrach. Im Pariser Louvre kam es im Februar des folgenden Jahres zu einem Treffen zwischen dem Sonnenkönig und dem berühmten Konvertiten. Worum es in dem Gespräch ging, ist nicht genau klar. Da Frankreich im Osmanischen Reich einen wichtigen wirtschaftlichen und politischen Verbündeten gegen die mächtigen Habsburger in Spanien und Österreich sah, ist nicht davon auszugehen, dass Ludwig XIV. die Theorien von der imperialen Abstammung des Padre unterstützte. Dafür sprechen auch die Schilderungen des venezianischen Gesandten Luigi Giovanni Sagredo, der dem Treffen am Pariser Hof beiwohnte. Er wies Berichte eines pompösen Empfangs Ottomanos zurück, die von der dominikanischen Propaganda verbreitet worden waren. Eine Ehrung durch den französischen König mit zahlreichen Anwesenden hätte Osman zudem sicher nicht zugesagt, da er als zurückgezogen und lethargisch beschrieben wurde.

Nach etwas mehr als zwei Jahren in Paris, die er größtenteils isoliert in einem Dominikanerkonvent verbrachte, reiste Padre Ottomano mit seinen Begleitern nach Venedig. Wieder handelte der berühmte Konvertit nicht aus eigenem Antrieb, sondern fremdbestimmt: Der Doge und der Senat der Serenissima hatten politische Pläne für den Dominikaner geschmiedet. Sie wollten ihn als Agent Provocateur in der verfahrenen Situation im Krieg um Kreta einsetzen. Diese Idee trägt eine gewisse Ironie in sich, denn als einer der Auslöser dieser militärischen Auseinandersetzung zwischen der Republik Venedig und ihrer Verbündeter mit dem Osmanischen Reich gilt der Angriff der Malteser auf mehrere Schiffe des Sultans im Jahr 1644, bei dem der kleine Osman vom Ritterorden gefangengenommen wurde. Ein Jahr später wurde der Krieg um Kreta entfacht – bis dahin ein prestigeträchtiger Vorposten Venedigs im Mittelmeer. Er gipfelte in der 1648 begonnenen Belagerung Candias, der Hauptstadt Kretas, die heute Heraklion heißt.

Die Belagerung von Candia
Bild: ©Wikipedia / Gemeinfrei

Die Belagerung von Candia durch die Osmanen im Jahr 1667/1668. Rechts neben der Stadt sind die osmanischen Geschützstellungen und Laufgräben dargestellt, dahinter und links der Stadt als Zelte die Quartiere der Belagerer.

Der Padre wurde 1668 mit einem Verband von 14 Galeeren Venedigs, des Malteserordens und des Kirchenstaates zu der größtenteils von den Osmanen eingenommenen Insel gebracht. Die zwar umstrittene, aber einflussreiche Geschichte von der Abstammung des Ordensmanns sollte dazu genutzt werden, um eine Rebellion unter den osmanischen Truppen zu beginnen. Zu diesem Zweck wurden Briefe, in denen sich der Padre als älterer Bruder von Sultan Mehmed IV. vorstellte, an hochrangige Offiziere der Osmanen überbracht – verbunden mit hohen Belohnungen im Fall des Rebellierens. Weil dieses Vorgehen nicht erfolgreich war, änderten die Venezianer ihre Taktik: Sie ließen Pamphlete verfassen, die den berühmten Konvertiten als rechtmäßigen Osmanenherrscher darstellten, und sie mit Pfeilen in die Menge der gegnerischen Truppen schießen. Auch dieser Versuch blieb folgenlos. Da die zeitgleich durchgeführten militärischen Angriffe gegen die osmanischen Truppen und ihre Flotte nur geringe Wirkung zeigten, beendeten die Verbündeten Venedigs nach einem halben Jahr ihre Aktion und verließen die Umgebung von Candia. Zwischenzeitlich wurde versucht, mit der Unterstützung des Padre eine zweite Front gegen das Osmanische Reich auf dem Balkan und in Griechenland zu entfachen, doch auch diesen Plänen war kein Erfolg beschert. Im August 1669 endete die Belagerung der kretischen Hauptstadt und die ganze Insel sowie andere Stützpunkte Venedigs in der Region fielen an das Osmanische Reich, mit dem ernüchternden Ergebnis für die Lagunenstadt, ihre einstige Vormachtstellung im Mittelmeer verloren zu haben.

Weiterer bekannter Konvertit als Vorbild des Padre Ottomano

Auch wenn der Einsatz des Padre Ottomano im Krieg um Kreta keine Durchschlagskraft entfaltete, hätte der Plan durchaus auch aufgehen können. Ein Beispiel dafür ist ein anderer bekannter Konvertit: der Jesuit Baldassare Diego. Muhammad al-Attaz, der Sohn des Fürsten Abdelwahid von Fez, wurde 1651 während seiner Pilgerfahrt nach Mekka von Rittern des Johanniterordens gefangengenommen und nach Malta verschleppt. Dort konvertierte er fünf Jahre später zum katholischen Glauben und bekam einen christlichen Namen. Baldassare Diego trat in die Gesellschaft Jesu ein, wurde Priester und widmete sich der Mission der "maurischen" Gefangenen, die zahlreich in die Häfen auf der italienischen Halbinsel gebracht worden waren. Fast 900 Konversionen muslimischer Seeleute, Soldaten und Sklaven sind überliefert. Seine royale Abstammung, eine gute Kenntnis des Korans und missionarischer Eifer sollen den Erfolg seiner Missionsarbeit ausgemacht haben. Sogar ein Treffen mit dem Padre Ottomano ist überliefert.

Für den Ordensmann begann nach dem fehlgeschlagenen Einsatz im Krieg ein neues Leben, in dem er seinen persönlichen Neigungen nachgehen konnte. Er verbrachte fünf Jahre in Rom, wo er ein kontemplatives Leben führte und sein Theologiestudium mit exzellenten Noten als Magister beendete. Im Anschluss ging der Padre dahin zurück, wo sein Leben als Christ begonnen hatte: Er wurde Generalvikar der Dominikaner auf Malta. Schließlich starb er im Alter von nur 34 Jahren an den Folgen einer Seuche, die auf der Insel grassierte. Er soll sich damit angesteckt haben als er Erkrankte im Umfeld des Konvents der Predigerbrüder pflegte. Fast sieht es danach aus, dass der Konvertit, der viele Jahre lang wie eine Schachfigur zwischen den Mächtigen in Kirche und Welt hin- und hergeschoben wurde, in seinen letzten Lebensjahren seine Berufung als Christ und Ordensmann verwirklichen konnte.

Von Roland Müller

Buch-Tipp zur weiteren Beschäftigung mit dem Padre Ottomano

Die Studie "Sultanssohn – Dominikaner – Märtyrer. Das rätselhafte Leben des Padre Ottomano" von Thomas Freller aus dem Jahr 2020 beschäftigt sich eingehend mit dem berühmten Konvertiten. Das Buch ist bei Editions Sankt Ottilien erschienen, umfasst 324 Seiten und kostet 29,95 Euro.