"Adoro te devote": Ein eucharistischer Hymnus und seine Theologie
Wir schreiben das Jahr 1274. Thomas von Aquin, der große Theologe der Scholastik, befindet sich gerade auf dem Weg zu einer wichtigen Kirchenversammlung. Auf dem Zweiten Konzil von Lyon sollte unter anderem über die Möglichkeit der Überwindung des Morgenländischen Schismas beraten werden. In der Mitte stand also die Frage, wie es möglich sein könnte, die Spaltung zwischen der Westkirche und der östlichen Orthodoxie, die seit 1054 bestand, zu beenden. Das Konzil, zu dem Papst Gregor X. eingeladen hatte und zu dem über 300 Bischöfe erschienen waren, fand in Lyon statt. Thomas hatte sich aufgemacht, um dorthin zu reisen. Aber seine Gesundheit war den Strapazen nicht mehr gewachsen. Am 7. März 1274 ist er im Zisterzienserkloster Fossanova in der italienischen Region Latium gestorben.
Sein Biograf, Wilhelm von Tocco, schreibt über das Lebensende des Thomas folgendes: "Nachdem er einige hingebungsvolle Worte vorausgeschickt hatte, an die sich die Hörenden nicht recht erinnern konnten, von denen man aber sagt, es seien die folgenden gewesen: Adoro te devote, latens Deitas …". Damit wird deutlich, dass Thomas zu diesem Hymnus eine sehr enge Bedeutung hatte. Und zwar eine so große, wie man sie nur zu einem Text haben kann, der aus der eigenen Feder stammt. Das will Wilhelm von Tocco in seinem Bericht eben auch aussagen: Die Autorenschaft des Thomas von Aquin des Hymnus Adoro te devote war anfänglich nicht umstritten, aber ihre erste Nennung taucht erst am Ende des 14. Jahrhundert schriftlich auf. Am Lebensende des Thomas macht Wilhelm deutlich: Er betet in seiner Sterbestunde diesen Text, weil er seiner Autorenschaft entsprungen ist, weil es ein Hymnus ist, der seinen ureigenen Gedanken entsprungen ist.
Ein Festtag mit einer Schwierigkeit
Der Hymnus Adoro te devote ist einer von fünf Hymnen, die von Thomas aus Anlass der Einführung des Fronleichnamsfestes in der Weltkirche verfasst wurden. Heute befindet sich dieser Text unter anderem im Gotteslob Nr. 497; die deutsche Übersetzung "Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir" wurde von Schwester Petronia Steiner OP besorgt. Wie kaum ein anderer Text führt das Lied in seinen sieben Strophen zum Geheimnis dessen hin, was Christen auf der ganzen Welt an Fronleichnam feiern: Das Geheimnis der Eucharistie, das an diesem Tag im Zentrum steht. Entstanden freilich ist das Lied zu einer Zeit, in der dieses Sakrament neu in den Fokus geraten ist. Zu einer Zeit, die geprägt war von einer tiefen Eucharistiefrömmigkeit, die sich aber auf das Schauen und nicht so sehr auf den Empfang der Eucharistie beschränkte. So ist dann auch das Fronleichnamsfest entstanden: Das Anschauen des in der Eucharistie gegenwärtigen Herrn bildet in dieser Feier den Mittelpunkt. Und dennoch drängt sich dabei eine Schwierigkeit auf: Die Schwierigkeit, in Brot und Wein, in rein menschlichen Artefakten, den auferstandenen und in den Himmel aufgefahrenen Herrn zu erkennen. Der Hymnus aus der Feder des Thomas von Aquin möchte zu diesem Geheimnis hinführen und einladen, sich ihm immer mehr zu verbinden.
Die erste Strophe des Hymnus beginnt mit dem Hinweis auf die verborgene Gegenwart Gottes in der Eucharistie. Christus ist, wie gesagt, nicht offensichtlich zu erkennen, sondern er verbirgt sich gewissermaßen hinter den Gestalten von Brot und Wein. Er ist wahrhaft hier, wie es auch die theologische Lehre der Realpräsenz ausdrücken will. Als Thomas seinen Text schreibt, ist die Transsubstantiationslehre noch relativ jung und die beiden Abendmahlsstreite liegen noch nicht weit entfernt. Umso wichtiger ist es für Thomas hervorzuheben, dass Christus in Brot und Wein wahrhaft gegenwärtig ist. Dass die Gestalten von Brot und Wein in ihrer Substanz in Christi Leib und Blut gewandelt werden. Einem so großen Geheimnis kann sich der Mensch nur in Gebet und Anbetung nähern.
In der zweiten Strophe des Hymnus wird dieser Gedanke noch weiter entfaltet. Dort heißt es: "Augen, Mund und Hände täuschen sich in dir". Die Augen sehen Brot und Wein, der Mund schmeckt diese beiden Artefakte, die Hände können sie ergreifen und bestasten. Brot schmeckt und riecht wie Brot, es lässt sich wie Brot anfassen. Und es ist in der Eucharistie dennoch Leib Christi geworden. Des "Wortes Botschaft" offenbart, was dieses Brot wirklich ist: Leib Christi. Im Abendmahlssaal spricht Christus zu seinen Jüngern: Nehmt und esst, das ist mein Leib – Nehmt und trinkt, das ist mein Blut. Durch diese Worte wird das Geheimnis der Eucharistie offenbar.
"Mein Herr und mein Gott"
In den ersten Jahrhunderten haben die Theologen lange überlegt, wie sich Gottheit und Menschheit im einen Christus verbinden. Und auf dem Konzil von Chalkedon sind sie sich im 5. Jahrhundert einig geworden: In Christus sind Gottheit und Menschheit "unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar" gegenwärtig. So ist es auch in der Eucharistie: Jesus Christus, der menschgewordene Gott, ist in der Eucharistie da. "Beide sieht mein Glaube in dem Brote hier", heißt es im Hymnus. Mit den Augen kann man dieses Geheimnis nicht anschauen, sie täuschen sich im Stück Brot, das auf dem Altar liegt. Mit den Augen des Glaubens entdeckt man, wer in diesem Brot wirklich in die Mitte der Gläubigen tritt: Christus selbst.
In Joh 20 wird erzählt, wie der Auferstandene dem Thomas erscheint und zu ihm spricht: "Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben" (Joh 20,29). Die vierte Strophe des Hymnus nimmt diesen Gedanken auf und legt ihm den Beter in den Mund: Obwohl er nicht wie Thomas dem Auferstandenen leibhaft begegnen kann, macht er sich trotzdem das Bekenntnis des Thomas zu eigen: "Mein Herr und mein Gott." Die drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung gründen in diesem Bekenntnis. In diesem Bekenntnis, das auf die Eucharistie übertragen wird: Christus, der Auferstandene, ist nicht irgendwie gegenwärtig, sondern im Angesicht des eucharistischen Brotes kann der Beter sprechen: "Mein Herr und mein Gott."
Das eucharistische Brot ist ein Denkmal, eine Erinnerung an das Leiden, Sterben und Auferstehen Christi. Es gibt den Menschen Nahrung und verbindet sie mit Christus. So, wie er selbst in der Brotrede des Johannesevangeliums sagt: "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist." Wer von diesem Brot isst, wird leben in Ewigkeit.
Die sechste Strophe verweist auf das Bild des Pelikans: Dahinter steckt ein alter Mythos, der besagt, dass sich der Pelikan die eigene Brust aufreißt, um mit dem Blut seine Kinder zu nähren. Schon in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten wurde dieses Bild auf Christus übertragen: Er gibt sein Leben am Kreuz hin, damit die Menschen darin das Leben finden. Damit die Welt vom Blut des Gekreuzigten rein wird, so, wie es schon im ersten Johannesbrief heißt: "das Blut seines Sohnes Jesus reinigt uns von aller Sünde" (1,7).
Theologische Traktate in einfacher Sprache
Die siebte und letzte Strophe des Hymnus führt schließlich von der verborgenen Anschauung Christi im Altarsakrament hin zur unverhüllten Anschauung in der Seligkeit. Das ist schließlich das Ziel, auf das sich der Beter vorbereitet: Einst eingehen zu dürfen in die Herrlichkeit des Himmels und dort Christus zu schauen, nicht in den Gestalten von Brot und Wein, sondern von Angesicht zu Angesicht.
Der Hymnus Adoro te devote ist gewissermaßen ein Lehrstück für die Eucharistie. In seinen sieben Strophen will der Hymnus Schritt für Schritt näher zu dem hinführen, was den Mittelpunkt des Fronleichnamsfestes bildet. In einfacher Sprache wird versucht, die großen theologischen Traktate an das breite Volk zu vermitteln. Und es ist Thomas gelungen. In behutsamer Weise nimmt er die Menschen an der Hand, um sie vom Schauen des Brotes hinzuführen zu dem, was dieses Brot wirklich ist: Leib Christi.