Kirchenhistoriker: Darum war das Konzil von Nizäa wegweisend
Rund 2.000 Menschen dürften im Jahr 325 in Nizäa in der heutigen Türkei zusammengekommen sein, um über wichtige theologische Fragen zu diskutieren und zu entscheiden. Einberufen wurde das Konzil von Kaiser Konstantin – dem "Bischof für die äußeren Angelegenheiten", wie er sich selbst betrachtete. Der Erfurter Kirchenhistoriker Notker Baumann spricht im katholisch.de-Interview über die Hintergründe des Konzils – und die Bedeutung für heute.
Frage: Herr Baumann, warum wurde vor 1.700 Jahren in Nizäa überhaupt ein Konzil einberufen?
Baumann: Es gab damals einige theologische Fragen, die im Römischen Reich geklärt werden sollten. Und es war auch im politischen Interesse von Kaiser Konstantin, ein solches Konzil anzusetzen. Bis kurz vor seiner Regierungszeit wäre ein solches, von einem Kaiser einberufenes Treffen undenkbar gewesen. Noch im dritten Jahrhundert – in dem es bereits kleinere lokale und regionale Synoden gibt – werden Christinnen und Christen zeitweise verfolgt. Das ändert sich erst im vierten Jahrhundert unter Kaiser Galerius, dem dann im Jahr 306 Konstantin als Kaiser nachfolgt. Unter ihm gibt es im Westen des Römischen Reiches zunächst eine zweigleisige Religionspolitik, indem er keinen abrupten Wechsel vom Heidentum zum Christentum vollzieht und Begriffe und Symbole verwendet, die für Heiden und Christen gleichermaßen akzeptabel sind. Im Jahr 324 besiegt Konstantin seinen Bündnispartner Licinius im Osten und wird so zum Alleinherrscher des Römischen Reichs. Damit ist es überhaupt erst möglich, ein Konzil für das gesamte Reich durchzuführen.
Frage: Welche Bedeutung hat Kaiser Konstantin denn für das Konzil?
Baumann: Eine sehr große: Er hat das Konzil einberufen. Er stellt auch die nötigen Transportmittel und die Infrastruktur. Letztlich öffnet er seine Sommerresidenz in Nizäa und lädt Bischöfe aus dem gesamten Römischen Reich dorthin ein.

Der römische Bischof Silvester I. nahm persönlich nicht am Konzil in Nizäa teil – schickte aber zwei Legaten. In der frühen Kirchengeschichte hatte der Bischof von Rom allerdings noch nicht die herausgehobene Rolle, die er heute hat.
Frage: Warum war ihm das Konzil so wichtig?
Baumann: Wichtig war ihm, dass in einem Reich, in dem ein Kaiser herrscht, auch Einheit in christlichen Streitfragen besteht. Insofern war es ihm ein Anliegen, dass die Bischöfe und somit die Kirche in wesentlichen theologischen Fragen auf eine Linie kommen.
Frage: Welche Rolle hat er beim Konzil gespielt?
Baumann: Da ist die Frage, auf welche Quelle wir uns beziehen. Er soll die Eröffnungsrede gehalten haben. Ob er darüber hinaus einzelnen Sitzung selbst vorstand, kann man heute nur schwer sagen. Er war vermutlich teilweise selbst dabei und hat manche Sitzungen auch von entsprechenden Beamten leiten lassen. Wichtig war ihm sicher – und das entspricht auch seinem Selbstverständnis als einem "Bischof für die äußeren Angelegenheiten" –, dass das Konzil einen ruhigen Verlauf nimmt und Lösungen findet. Insofern wird er sich schon um den Verlauf gekümmert haben.
Frage: Was ist mit dem Papst? Warum hat der das Konzil nicht einberufen?
Baumann: In der frühen Kirchengeschichte hatte der Bischof von Rom noch nicht eine so herausgehobene Stellung inne, wie er sie heute hat. Der römische Bischof Silvester (314-335) lehnte unter Berufung auf sein hohes Alter eine persönliche Teilnahme am Konzil in Nizäa ab und sandte stattdessen zwei Legaten, die Presbyter Vitus und Vincentius, die ihn beim Konzil vertreten haben.
Frage: Wie viele Menschen haben denn insgesamt am Konzil teilgenommen?
Baumann: Kaiser Konstantin hat wohl die rund 1.800 Bischöfe der damaligen christlichen Welt zur Teilnahme aufgefordert, vermutlich in brieflicher Form. Allerdings haben nicht alle diese Einladung angenommen, weil die Reise für manche einfach zu weit und zu beschwerlich war oder sie schon zu alt dafür waren. Insgesamt kamen etwa 200 bis 300 Bischöfe nach Nizäa. Später wird die Zahl 318 in Umlauf gebracht – diese bezieht sich allerdings auf eine Stelle im Buch Genesis. Darüber hinaus gab es noch Presbyter und Diakone, von denen jeder Bischof jeweils etwa zwei oder drei mitgebracht hat. Vermutlich haben insgesamt bis zu 2.000 Personen am Konzil teilgenommen.

Beim Konzil von Nizäa dürften auch Laien beteiligt gewesen sein, vermutet Kirchenhistoriker Notker Baumann. "Man darf sich dabei aber nicht vorstellen, dass es sich hierbei um "einfache" Gläubige aus der Durchschnittsbevölkerung handelt." Baumann ist Inhaber der Professur für Alte Kirchengeschichte, Patrologie und Christliche Archäologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Erfurt.
Frage: Was ist mit Laiinnen und Laien? Waren die auch am Konzil beteiligt?
Baumann: Wir haben Hinweise darauf, dass im dritten Jahrhundert bei anderen Synoden auch einige wenige Laien dabei waren, allerdings ohne großen theologischen Einfluss. Solche dürften wohl auch in Nizäa mit dabei gewesen sein. Man darf sich dabei aber nicht vorstellen, dass es sich hierbei um "einfache" Gläubige aus der Durchschnittsbevölkerung handelt. Das waren Adlige oder andere einflussreiche Persönlichkeiten.
Frage: Die 200 bis 300 Bischöfe kamen vor allem aus dem Ostteil des Reichs. Woran lag das? Hatte das nur geografische oder auch kirchenpolitische Gründe?
Baumann: Es gab im östlichen Teil des Reiches sicher viele interessierte und sehr gute Theologen. Das wird eine Rolle gespielt haben, genauso wie die Entfernung und die Straßen, die nach Nizäa geführt haben. Und bei der Frage, um die es vorrangig ging, waren manche Bischöfe aus dem Osten geografisch eher involviert als andere. Ein wesentlicher Auslöser war nämlich der Streit um Arius, einen Priester aus Alexandrien am Nil-Delta.
Frage: Wenn man so will, steht dieser Arius ja als Verlierer des Konzils da, dessen Lehrmeinung dann nicht von der Kirche übernommen wird …
Baumann: Ja genau. Das Konzil von Nizäa trifft eine Entscheidung und verabschiedet ein Glaubensbekenntnis. Darin heißt es, dass man an den einen Herrn Jesus Christus glaube, der "als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt" sei, "Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater". Diese letzte Aussage ist entscheidend: Homoousion to patri – eines Wesens mit dem Vater. Aber nicht nur das wurde gegen Arius formuliert. Im Anschluss an das Glaubensbekenntnis wurden auch Anathematismen verfasst, also Sätze, die man verurteilt. Wer an solche Lehren glaubt, wird direkt aus der katholischen Kirche ausgeschlossen. Arius ist damit der Verlierer – aber erstmal nur vorläufig.
„Dass man bei Fragen, die die Weltkirche betreffen, auch Menschen aus unterschiedlichen Bereichen anhören und einbeziehen sollte, ist aus meiner Sicht auch heute wichtig.“
Frage: Was heißt das?
Baumann: Der Kaiser, dem es ja um die Einheit und den Frieden in der Kirche geht, beginnt nach dem Ende des Konzils damit, die Beschlüsse zu verbreiten. Zwei Jahre später aber holt er – im Blick auf die Einheit – diejenigen Bischöfe, die aufgrund der Ergebnisse in die Verbannung geschickt wurden, zurück auf ihre Bischofsstühle. Insofern ist die Frage von Nizäa bald nach dem Konzil eigentlich wieder weitgehend offen und das Ringen dauert bis 381, bis das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis formuliert wird, das die Aussagen von Nizäa aufgreift und sie um Aussagen zum Heiligen Geist ergänzt.
Frage: Das Konzil von Nizäa wird aus heutiger Sicht als ökumenisches Konzil bezeichnet. Was ist denn daran ökumenisch?
Baumann: Durch die Rezeption, also durch die nachträgliche Anerkennung und Aneignung der Ergebnisse, wird eine Synode der Alten Kirche zu einem ökumenischen Konzil. Die Bezeichnung "ökumenisch" weist darauf hin, dass die Festlegungen des Konzils von Nizäa Grundlage des nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses sind, das heute nahezu alle christlichen Kirchen und Gemeinschaften miteinander verbindet. Das halte ich für bedeutsam. Die Frage der christlichen Einheit gilt zudem für ein anderes Moment: Auf dem Konzil von Nizäa wird auch über ein gemeinsames Osterdatum diskutiert. Ob eine verbindliche Regelung getroffen wurde oder ob es eher eine Empfehlung war, ist aufgrund der Quellenlage heute nicht mehr zu rekonstruieren. Ziel war es aber auf jeden Fall, dass bei allen Kirchen am selben Tag Ostern gefeiert wird. Außerdem war das Konzil von Nizäa auch im wörtlichen Sinne ökumenisch: Oikumene meint übersetzt ja "bewohnte Welt" – und beim Konzil haben zumindest der Idee nach Vertreter aus vielen Gebieten der damals christlich bewohnten Welt teilgenommen.
Frage: Beim Konzil von Nizäa wurden theologische Fragen in einer großen Versammlung besprochen und entschieden. Heute ist in der Kirche ja auch wieder viel von Synodalität die Rede. Inwiefern ist Nizäa hierfür ein Vorbild?
Baumann: Das Konzil ist insofern durchaus ein Vorbild, als man auf Einladung des Kaisers ja wirklich versucht hat, Bischöfe aus unterschiedlichen Regionen des Römischen Reiches einzubeziehen. Dass man bei Fragen, die die Weltkirche betreffen, auch Menschen aus unterschiedlichen Bereichen anhören und einbeziehen sollte, ist aus meiner Sicht auch heute wichtig. Regelmäßige Treffen, um überhaupt Fragen zu erörtern, scheinen mir ebenfalls ein wichtiger Hinweis zu sein. Wir wissen beispielsweise, dass sich im dritten Jahrhundert die Bischöfe der römischen Provinz Karthago teilweise zweimal jährlich getroffen haben – so ähnlich also, wie das heute die Deutsche Bischofskonferenz macht. Allerdings sollten wir uns diese Synoden aus der frühen Kirche nicht zu malerisch vorstellen: Es war dort schon auch klar, in welche Richtungen Lösungen gesucht wurden und wer etwas zu sagen hatte. Aber den Versuch, verschiedene Leute einzubeziehen und dafür zu sorgen, dass das, was entschieden wurde, auch an vielen Orten Akzeptanz findet, halte ich durchaus für richtig und wegweisend.