Kirchen in NRW geben Hilfestellung für Umgang mit antijüdischer Kunst

Die Kirchen in Nordrhein-Westfalen wollen antijüdische Darstellungen in und an Kirchen kritisch aufarbeiten. Die fünf katholischen Diözesen und drei evangelischen Landeskirchen haben am Donnerstag gemeinsame Leitlinien zum Umgang mit antijüdischen Bildwerken in und an Kirchenräumen veröffentlicht. "Wir werden uns zunehmend bewusst, dass der christliche Antijudaismus dem modernen Antisemitismus einen fruchtbaren Boden bereitet hat", heißt es darin. Die Leitlinien sollen Verantwortliche in den Gemeinden vor Ort befähigen, antijüdische Darstellungen wahrzunehmen, zu verstehen und mit ihnen aufmerksam umzugehen.
Bis heute hätten einige Darstellungen des Judentums eine verletzende und herabwürdigende Botschaft und Wirkung. In solchen Darstellungen spiegle sich die christliche Sicht der jeweiligen Zeit auf das Judentum und oft eine alte, heute überholte kirchliche Position, die von einer "lange bestehenden, erschreckenden Judenfeindschaft" zeuge: "Wir sind dankbar für die theologische Neuorientierung nach der Shoa und für den christlich-jüdischen Dialog, die zur Überwindung dieser dunklen Spuren im Denken und Handeln beitragen."
Verschiedene Möglichkeiten der Aufarbeitung
Die Leitlinien erläutern, inwiefern Bilder antijüdisch sein können und welche christlich-theologische Perspektiven es auf das Judentum gibt. Als typische Motive antijudaistischer Darstellungen werden die Gegenüberstellung von Kirche und Synagoge als Allegorien ("Ecclesia et Synagoga"), Schweine, Motive der Passion Christi, der Judenhut und die Farbe gelb erläutert. Dabei betonen die Leitlinien, dass nicht jede Darstellung von Jüdinnen und Juden zugleich antijüdisch ist. An vielen Stellen diene sie zunächst nur dazu, diese als Vertreter des Alten Testaments zu kennzeichnen.

Ein antijüdisches Säulenrelief im Brandenburger Dom ist eine der frühesten Darstellungen dieser Art (häufig wird eine solche Darstellung als "Judensau" bezeichnet).
Möglichkeiten des Umgangs mit antijüdischen Darstellungen sind gemäß den Leitlinien eine Entfernung oder Musealisierung, Sichtstörung oder Verhüllung, eine kritische Kommentierung oder eine kontrastierende Darstellung. Das Erzbistum Paderborn nennt als ein Beispiel die Heilig-Kreuz-Kirche in Dortmund. Dort befindet sich über dem Eingangsportal eine Ecclesia-et-Synagoga-Darstellung (Titelbild). "In einem Mosaik ist bildlich die kolportierte Überlegenheit des Christentums über das Judentum abgebildet", erläutert das Erzbistum. Die Gemeinde habe sich daher entschieden, die Darstellung mit einem erklärenden Text zu versehen, der das Bild einordne und sich von der Darstellung distanziere.
Chance für Gemeinden
Für Gemeinden empfehlen die Leitlinien, antijüdische Darstellungen ernst zu nehmen, auch wenn sie auf den ersten Blick unbedeutend erscheinen. Zunächst sollen Verantwortliche den Kontakt zu den Fachstellen ihrer Kirche für den christlich-jüdischen Dialog und jüdischen Stellen aufnehmen, um die Grundlage für das weitere Vorgehen zu schaffen. Anschließend brauche es einen Prozess, wie die Werke in der Gemeinde thematisiert und diskutiert werden können. Dabei sollen auch Reaktionen von Gemeindemitgliedern in den Blick genommen werden: "Die Erkenntnis, in Anwesenheit einer Darstellung gebetet zu haben, die Juden und Jüdinnen diffamiert, kann viele Emotionen hervorrufen wie etwa Scham, Erschrecken oder Empörung." Für Widerstände gegen eine Aufarbeitung schlagen die Leitlinien ein Dialogkonzept vor. Nach Ansicht der Autoren stellt das Entdecken eines antijüdischen Objektes in der eigenen Kirche und die Auseinandersetzung damit eine gute Gelegenheit dar, den Horizont zu erweitern und den eigenen Glauben zu bereichern – "trotz der Mühe, die das mit sich bringt". Es sei gut für eine christliche Gemeinde, sich der Aufgabe zu stellen und die darin liegenden Chancen zu ergreifen.
Antijüdische Darstellungen an Kirchen sorgen seit Jahren teils überregional für Schlagzeilen. Besonders die an der Wittenberger Stadtkirche angebrachte "Judensau" wird kontrovers diskutiert. Die Gemeinde will eine kritische Auseinandersetzung fördern, eine Entfernung lehnt sie jedoch ab. Zuletzt scheiterte im vergangenen Sommer eine Verfassungsbeschwerde, nachdem der Bundesgerichtshof entschieden hatte, dass die Plastik nicht entfernt werden muss. 2023 wurde im evangelischen Dom zu Brandenburg an der Havel eine antijüdische Schmähplastik verhüllt. Schon 2018 kündigte das Kölner Domkapitel an, antijüdische Darstellungen im Kölner Dom zu thematisieren. (fxn)
Arbeitshilfe "… und jetzt? Leitlinien zum Umgang mit antijüdischen Bildwerken in und an Kirchenräumen"
Nach grundlegenden Ausführungen zu antijüdischen Inhalten und der Bedeutung von Bildern sowie einer Einordnung der theologischen Erneuerung des christlich-jüdischen Verhältnisses folgen Beispiele von antijüdischen Motiven in Geschichte und Kunstgeschichte in und an Kirchen in NRW. Außerdem werden verschiedene Möglichkeiten des kritischen Umgangs am Ort selbst sowie Möglichkeiten der Auseinandersetzung in der Gemeinde vorgestellt.