Theologin: "Ich lasse mich aus dieser Kirche nicht hinausdrängen"

Beruflich bereitet sie Andachten und Impulse zu eindrucksvollen Frauen aus Christentums- und Kirchengeschichte vor, privat engagiert sie sich bei "Maria 2.0", der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) und in ihrer Gemeinde. Die Frauen und die Kirche prägen das Leben von Anne Borucki-Voß. "Als feministische Theologin habe ich mir hier meinen Platz gesucht – und gefunden", erzählt die 61-Jährige. Für eine gestandene Frau kein leichtes Engagement.
Frauen und Kirche – das ist kein einfaches Thema, kirchengesellschaftlich wie akademisch. Die feministische Theologie hat sich in den vergangenen Jahren sehr aufgefächert: Neben Frauen geht es um andere Geschlechtsidentitäten und queere Sichtweisen auf Gott und die Bibel. "Vor 30 Jahren ging es noch darum, einen weiblichen Zugang zur Bibel zu bekommen, etwa durch besondere Frauengestalten", erklärt Borucki-Voß. "Mittlerweile ist uns aber klar, dass jede und jeder einen ganz individuellen Zugang zur Bibel hat." Gleichzeitig ist der Raum, in dem sich Frauen in die Kirche einbringen können, begrenzt. Papst Johannes Paul II. schlug 1994 mit seiner Erklärung "Ordinatio sacerdotalis" allen Überlegungen für eine Weihe von Frauen – nach seinen Worten "endgültig" – die Tür zu.
"Lange dachten wir Frauen dann, dass wir nur in der Nische überleben können", sagt Borucki-Voß. Doch das habe sich durch "Maria 2.0" geändert. "Auf einmal wurde klar, wie viele Leute unsere Anliegen als Frauen teilten. Das war sehr bestärkend." Die provokanten Aktionen von "Maria 2.0" der Anfangszeit wie Thesenanschläge oder Kirchenstreiks sind Geschichte, die Arbeit geht aber weiter. Einmal im Monat treffen sich Engagierte deutschlandweit per Videokonferenz, darunter auch Borucki-Voß. "Ich erlebe diese Möglichkeit zu Vernetzung und Austausch als motivierend." Denn Borucki-Voß weiß: "Ohne meine Frauenzusammenhänge könnte ich in dieser Kirche nicht durchhalten." Durch die Vernetzung und die gegenseitige Bestärkung bekomme sie die Energie, auch mit der Ablehnung durch das Lehramt zu leben. "Ich habe entgegen anderen Frauen eben nicht die Konsequenz gezogen, dass ich austrete. Ich bleibe, weil ich dazu gehöre wie alle anderen", betont sie. "Ich lasse mich aus dieser Kirche nicht hinausdrängen."
"Wollte einen Platz für mich als Frau"
Das zeigt sie unter anderem in ihrem Beruf. Borucki-Voß arbeitet seit vielen Jahren in unterschiedlichen Funktionen bei "Evas Arche", einem ökumenischen Frauenbegegnungs- und Bildungszentrum in Berlin. Gegründet wurde es wie viele andere Frauenzentren der Hauptstadt kurz nach der politischen Wende im Jahr 1992. "Doch es ist das einzige mit einer dezidiert christlichen Identität" sagt Borucki-Voß. Getragen wird es von einem Verein. Das Geld kommt vom Land Berlin, aus Spenden – und zu einem sehr kleinen Teil auch aus Zuwendungen der beiden großen Kirchen. "Als ich 1992 nach Berlin zog, habe ich zunächst Jugendarbeit gemacht", erzählt die Theologin, die katholisch sozialisiert aus Süddeutschland stammt. "Daneben wollte ich aber auch einen Platz für mich als Frau. So bin ich zu Evas Arche gekommen." In der kleinen, jedoch gut vernetzten katholischen Welt in der Hauptstadt kommt sie bald ins Gespräch für den Vorstand des Vereins, seit 2010 ist sie nun festangestellt und kümmert sich um die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit sowie um die theologischen Belange. Letztere wird dabei als einziger Anteil ihrer Arbeit nicht durch Landeszuwendungen finanziert, sondern durch Spenden. "Das ist gar nicht so einfach, diese Mittel zu akquirieren", sagt sie.
Nichtsdestoweniger bringt sie Theologie und Spiritualität an ganz unterschiedlichen Stellen ihrer Arbeit ein. So gibt es beim "Frauenfrühstück" jeden Mittwochvormittag stets einen Impuls, bei dem oft bedeutende Frauen vorgestellt werden. Unterschiedliche Mitarbeiterinnen von "Evas Arche" sind da abwechselnd an der Reihe. "Wenn ich dran bin, nehme ich da natürlich auch immer wieder Frauen aus der Kirche." Zuletzt war das etwa die Berliner Laiendominikanerin Margarete Sommer (1893-1965), die während der NS-Zeit Jüdinnen und Juden half, sie vor der Deportation in Vernichtungslager bewahrte und 2003 zur "Gerechten unter den Völkern" ernannt wurde. Daneben stellt Borucki-Voß gemeinsam mit anderen engagierten Frauen Berlins zwei Mal im Jahr große ökumenische Gottesdienste auf die Beine – jeweils zum Weltfrauentag am 8. März und zum weltweiten Aktionstag gegen Gewalt an Frauen am 25. November. "Uns ist es dabei wichtig, dass wir diese Feiern als vielfältige Frauen im Team vorbereiten", sagt sie. Denn die Frauen würden ganz verschiedene Kompetenzen mitbringen – die sollten sich dann später auch in der Feier finden. Dazu gehört auch, keine "Performance" am Altar zu inszenieren, der die Gläubigen lediglich beiwohnen, sondern sie mit einzubeziehen: "Es soll immer ein Element geben, an dem alle Teilnehmenden teilhaben, etwa ein gemeinsames Kerzenanzünden oder Murmelgruppen nach dem Evangelium." In diesen Gruppen wird nach dem Evangelium statt einer Predigt miteinander über die Bibelstelle gesprochen. Denn: "Wir wollen niemandem unsere Bibelinterpretation aufzwingen."
Daneben bringt sie ihre Spiritualität im Alltag ein, etwa mit kleinen Andachten und Impulsen bei Festen in "Evas Arche", bei der Verabschiedung von Kolleginnen oder anderen besonderen Anlässen und Veranstaltungen. "Nicht alle Frauen hier sind religiös gebunden, deshalb zwinge ich das niemandem auf", sagt die 61-Jährige. "Aber ich lebe es als Teil meines Alltags."
„Das Diakoninnenamt ist auch eine Mahnung an die Kirche an ihre diakonische Dimension.“
Weiterhin leitet sie den "Lesekreis feministische Theologie". Einmal im Monat treffen sich Frauen abends und lesen gemeinsam zwei Artikel zu einem theologischen Oberthema, danach geht es in den Austausch. "Da kommen natürlich vor allem theologisch interessierte Frauen hin, die oft viel zu erzählen haben", so Borucki-Voß. "Nicht selten bringen sie beeindruckende und berührende Zeugnisse vom Frau-sein im Glauben und in der Kirche mit." Sie erlebt diese Abende auch als gegenseitige Seelsorge der Frauen. "Jede bringt da ihre persönlichen Erfahrungen ins Gespräch ein."
Diese persönlichen Erfahrungen, die Vertiefung des eigenen Glaubens als Frau, sind Borucki-Voß auch persönlich wichtig. Zuletzt war sie im Kloster Fahr in der Schweiz. Gemeinsam mit anderen Frauen traf sie Priorin Irene Gassmann, die gemeinsam mit ihrer Gemeinschaft unter anderem eine Gebetsinitiative startete. Jeden Donnerstag beten Frauen in verschiedenen Ländern das "Schritt für Schritt"-Gebet, ein geschlechtersensibles Gottesgebet, durch das ein weltweites Gebetsnetzwerk entstehen soll. "Für uns Frauen war das sehr eindrücklich: Auf der einen Seite eine engagierte Priorin, die ihre Arbeit aber auch nur wegen ihres starken Teams tun kann. Das ist für uns auf jeden Fall eine Inspiration."
Wissensmangel an der Basis
Sorgen macht ihr da aber weiterhin nicht nur die Kirchenleitung, sondern auch mancher Wissensmangel an der Basis. "Meine Gemeindekirche ist der heiligen Maria Magdalena geweiht. Bei ihr haben manche Gemeindemitglieder aber immer noch die Prostituierte im Kopf, die Jesus die Füße wäscht." Dieses Bild ist aus akademischer Sicht lange überholt. Das sei aber noch nicht in allen Köpfen angekommen. "Da ist in Sachen Glaubenswissen und der eigenen Reflexion noch viel Luft nach oben."
Daneben bleiben zentrale Forderungen an die Kirche als Ganze – etwa jene nach Diakoninnen. "Natürlich ist es wichtig, dass sich Frauen, wenn sie schon keine Priesterinnen sein dürfen, nicht mit der nächstgeringeren Stufe abspeisen lassen", betont sie. Aber Diakoninnen hätten auch ihren eigenen Wert. Das habe sie etwa bei einer Veranstaltung von Evas Arche mit evangelischen Diakoninnen erfahren: "Das Diakoninnenamt ist auch eine Mahnung an die Kirche an ihre diakonische Dimension. Kirche, das ist nicht nur die Liturgie an Altar und Kanzel, das ist ebenso die Sorge für den Nächsten und die Gemeinschaft." Ein Thema, das auch die Weltkirche als Ganzes bewegt. Im Abschlussdokument der Weltsynode heißt es, dass es keine Gründe gegen Frauen in kirchlichen Führungspositionen gebe. "Was vom Heiligen Geist kommt, kann nicht aufgehalten werden. Darüber hinaus bleibt die Frage des Zugangs von Frauen zum diakonischen Amt offen und der entsprechende Unterscheidungsprozess muss fortgesetzt werden."
Dennoch: Für Frauen bleibt die Kirche ein hartes Pflaster, sagt Borucki-Voß. Denn auch Papst Franziskus hat klar gemacht, dass es in seinem Pontifikat in Sachen Frauenweihe keine Veränderung geben wird. "Angesichts dessen müssen wir Frauen in der Kirche füreinander einstehen", so Borucki-Voß. "Wir müssen uns gegenseitig stützen und bestärken in unserem Christin-sein. Nur gemeinsam können wir in dieser Kirche für Veränderungen eintreten", sagt die Theologin. "Denn diese Diskriminierung war noch nie gut. Wir müssen sie überwinden und für Gleichberechtigung sorgen."