Blick in die Geschichte: Was zeichnete die Leo-Päpste aus?
Nomen est omen. Für einen Papst gilt das erst recht. Mit seiner Namenswahl gibt ein neugewähltes Kirchenoberhaupt einen Hinweis, wie das Programm seines Pontifikats aussehen könnte. Das hat auch Papst Franziskus getan, obwohl er selbst an keinen Vorgänger im Petrusamt anknüpfte, sondern an den populären Heiligen und Ordensgründer aus Assisi. Der neue Pontifex, US-Kardinal Robert Francis Prevost, gab sich den Namen Leo, "Löwe" – einen echten Klassiker unter den Papstnamen, der sich nun nach der Anzahl der Träger auf dem (geteilten) vierten Platz befindet. Doch wofür standen die bedeutendsten Leo-Päpste bisher? Und woran könnte sich Leo XIV. orientieren?
Der bislang letzte mit dem Namen, Leo XIII. (1878-1903; siehe Bild oben), war ein wichtiger, aber oft unterschätzter Papst in der Kirchengeschichte, sagt der Augsburger Kirchenhistoriker Jörg Ernesti. Er ist ein Experte für die Geschichte der Päpste. 2019 widmete er Leo XIII. ein Buch, das den Untertitel "Papst und Staatsmann" trägt. In seinem Pontifikat finden sich konservative wie zukunftsweisende Elemente. "Leo XIII. ist ein Staatsdenker gewesen", sagt Ernesti im Gespräch mit katholisch.de. "Er war diplomatisch ausgebildet und hat dahingehend auch deutliche Akzente gesetzt – sowohl in der Reflexion des Verhältnisses von Staat und Kirche als auch mit den Friedensinitiativen, die er initiierte."
Als Leo XIII. Papst wurde, war das Kirchenoberhaupt kein Staatsoberhaupt mehr: 1870 war der alte Kirchenstaat im Zuge der italienischen Einigung untergegangen. Leo nutze das für eine Neupositionierung: "Der Heilige Stuhl konnte sich als überparteilicher Friedensvermittler auf der internationalen Bühne empfehlen", betont Ernesti. Es sei ihm gelungen, die päpstliche Diplomatie in einer Welt konfrontativer Nationalstaaten zu stärken; er habe sie als Mittel genutzt, um die Staaten zu erreichen und so seinen politischen Einfluss geltend zu machen. Auf dieser Grundlage konnten seine Nachfolger aufbauen, so der Kirchenhistoriker. "Leo XIII. stellte viele Weichen, die bis heute wirksam sind."

Dass Leo XIV. seine erste Ansprache mit dem Thema Frieden begonnen habe, sei sicher kein Zufall gewesen, meint Jörg Ernesti.
Zu diesen Weichen gehört auch die Enzyklika "Rerum novarum", mit der Leo XIII. gewissermaßen die katholische Soziallehre begründete. Dieses Schreiben war die Antwort der Kirche auf die Soziale Frage – auch wenn diese etwas spät kam. "Während seiner Zeit als Bischof im italienischen Perugia nahm er das Elend der Arbeiterschicht sehr wohl wahr", so Ernesti.
Soziale Frage und Frieden waren also die Schwerpunkte von Leo XIII. "Daher ist die Namenswahl des neuen Papstes vielleicht ein Zeichen – gerade bei den ganzen Krisen, die derzeit auf der Welt herrschen", betont Ernesti. Dass er seine erste Ansprache mit dem Friedensgruß begonnen habe, sei sicher kein Zufall gewesen. Dazu komme, dass der neue Papst in seiner Zeit als Bischof in Peru mit Armut konfrontiert gewesen sei.
Leo der Große: Politisch und theologisch bedeutsam
Der erste Papst in der Reihe, Leo I. (440-461), war einer der bedeutendsten Päpste der Antike und wird der "Große" genannt – als nur einer von zwei Päpsten überhaupt. Vermutlich war Leo auch sein bürgerlicher Name, weil die Tradition des Namenswechsels erst später begründet wurde. Er war gerade theologisch bedeutsam: Er sorgte gewissermaßen dafür, dass sich auf dem Konzil von Chalcedon die Zwei-Naturen-Lehre in der Christologie (Christus als "wahrer Gott und wahrer Mensch") durchsetzte. Dazu gab er einen großen Schub in der Theologie des Päpstlichen Primates. "Er vertrat den revolutionären Gedanken aus dem römischen Erbrecht, dass der Erblasser im Grunde genommen in der Person des Erben fortlebt und dieselben Rechte hat", erklärt Jörg Ernesti. "Der Papst ist Petrus und übt dieselben Rechte aus."
Leo der Große gilt zudem als einer der größten politischen Päpste der Geschichte. Dass er – und nicht kaiserliche Beamte – mit dem Hunnen-Anführer Attila und dem Vandalenkönig Geiserich verhandelte, damit diese nicht in Rom einfallen, zeigte seine Stellung.

Martin Luther gehörte dem Augustinerorden an – wie der neue Papst. Ein Leo war es auch, der ihm den Kirchenbann androhte.
Ein weiterer wirkmächtiger Pontifex aus der Leo-Reihe war Leo IX. (1049-1054). In seinen fünf Amtsjahren war er laut Ernestis Schätzungen insgesamt nur weniger als ein Jahr in Rom, da er ganz Europa bereiste, um Synoden abzuhalten. Er war ein Papst der Gregorianischen Reform und setzt die Reformanliegen des 11. Jahrhunderts durch: den Kampf gegen die Simonie – den Kauf geistlicher Ämter – und die Einschärfung des Zölibats. "Er war Benediktiner und wollte das Ordensmodell auch auf den Weltklerus anwenden", sagt Ernesti.
Für Deutschland waren vor allem zwei Leo-Päpste wichtig: Zum einen Leo III. (795-816), der Karl den Großen an Weihnachten 800 zum Kaiser krönte und damit das Bündnis der Päpste mit den Franken, das die Geschichte des Mittelalters maßgeblich prägen sollte, final besiegelte. Und dann ist da noch Leo X. (1513-1521) aus dem Hause der Medici. Er war einer der "klassischen" Renaissance-Päpste: ein Machtpolitiker und Lebemann. In seine Amtszeit fiel der Ketzer-Prozess und die Bannandrohungsbulle "Exsurge Domine" gegen Martin Luther – ein Mitglied des Augustinerordens, dem auch der neue Papst Leo XIV. angehört. Eine kleine Ironie der Kirchengeschichte.
Zeichen an Konservative?
Wie wird sich nun Leo XIV. in diese Folge einreihen? Für Jörg Ernesti könnte seine Namenswahl als Zeichen an die Konservativen gedeutet werden, gerade in den USA: Denn Leo XIII. verfasste einst das Gebet an den Heiligen Michael. Dabei handelt es sich um einen Text mit einem sehr apokalyptischen Ton, das den Erzengel zum Schutz der Kirche gegen die Mächte des Bösen anruft. Das wurde früher, bis zur Abschaffung durch Paul VI., am Ende jeder stillen Messe gebetet, ist aber in einigen Kreisen immer noch sehr beliebt. Viele, die sonst nichts über Leo XIII. wüssten, verbänden das mit ihm.
Oder ist die Namenswahl als Hommage an seinen Vorgänger Franziskus gedacht? Denn Bruder Leo war einer der engsten Vertrauten und Mitarbeiter des heiligen Franz von Assisi, gerade in dessen letzten Lebensjahren. Leo XIV. nahm bei seiner ersten Ansprache nach der Wahl explizit Bezug auf Papst Franziskus: Er teilt dessen Ideale.
Als Kardinal galt Robert Francis Prevost als Mann der Mitte, der sowohl bei Progressiven als auch Konservativen geschätzt wird. Und nach den Reaktionen scheint seine Wahl – zumindest vordergründig – in beiden "Lagern" begrüßt zu werden. Nicht nur Kirchenhistoriker werden in den kommenden Monaten gespannt beobachten, bei welchen seiner Vorgänger, ob sie Leo hießen oder nicht, der neue Papst anknüpfen wird – und wo er eigene, neue Akzente setzt. An den "Arbeiterpapst" Leo XIII. scheint er auf jeden Fall anknüpfen zu wollen. Vatikansprecher Matteo Bruni betonte noch am Donnerstagabend, die Namenswahl sei eindeutig "ein Verweis auf das Leben von Männern und Frauen, auf ihre Arbeit – auch in einem Zeitalter, das von künstlicher Intelligenz geprägt ist".