Kirche müsse sich fragen, was sie schützen wolle

Moraltheologe Lintner: Sexualität gehört zur guten Schöpfung

Veröffentlicht am 23.05.2025 um 16:30 Uhr – Lesedauer: 

Wien ‐ Lust ist kein Tabu mehr: Theologe Martin M. Lintner will eine Kirche, die Sexualität als Lebensfreude und Verantwortung versteht. Warum er neue Ethik statt alter Verbote fordert und was die Bibel dazu sagt.

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Der Südtiroler Moraltheologe Martin M. Lintner hat sich für eine zeitgemäße und theologisch fundierte Neubewertung der katholischen Sexualmoral ausgesprochen. Im Interview mit der Kirchenzeitung der Erzdiözese Wien, "Der Sonntag" (aktuelle Ausgabe), sagte er, die Kirche müsse sich fragen, "was sie durch ihre Ehelehre schützen will" – etwa Verbindlichkeit, Verantwortung oder gegenseitigen Respekt –, und diese Werte auch in Partnerschaften jenseits der sakramentalen Ehe anerkennen.

Lintner verwies dabei etwa auf Paare, "die – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr kirchlich heiraten, aber in Beziehungen leben, in denen sie verwirklichen, was die Kirche durch ihre Ehelehre zu schützen versucht (...)". Helfen könne dabei auch eine Rückbesinnung auf die biblischen Bezüge zur Sexualität, etwa in der Schöpfungserzählung im zweiten Kapitel des Buchs Genesis oder im "Hohelied". Diese Texte zeigten Sexualität als Ausdruck von Liebe, Verbundenheit und menschlichem Heilsein.

Zugleich werde in der Bibel auch die Ambivalenz der Sexualität thematisiert – als Bereich, in dem Menschen sowohl Freude als auch Verletzungen erleben können. Das zeige damit "einen sehr realistischen Blick auf die Sexualität". Doch trotz dieser Ambivalenz bleibe Sexualität "eine Dimension des Menschseins, durch die der Mensch mit Gott in Berührung kommen kann", so der Theologe.

Nicht von vornherein negativ bewerten

Die Sexualität sei "Teil der guten Schöpfung" und nicht von vornherein negativ zu bewerten, so Lintner. Die Kirche habe historisch mit einer "lust- und sexualfeindlichen" Haltung zu kämpfen gehabt. "Da gibt es nichts schönzureden", so der Servitenpater. Die Bibel vermittele hingegen, "dass Sexualität Menschen etwas vermitteln kann vom Heil-Sein in der Welt".

Die Wurzeln der Lust- und Leibfeindlichkeit seien nicht primär christlich, sondern in antiken philosophischen Einflüssen zu suchen, "die über die Kirchenväter in das christliche Denken Eingang gefunden" hätten. Lust sei verdächtigt worden, "den Partner beziehungsweise die Partnerin zum Lustobjekt" zu degradieren. "Deshalb konnte man Lust und auch die Erfahrung der sexuellen Lust nicht wertschätzen, sondern hat sie eben als Gefahr angesehen", so Lintner.

Der Theologe plädierte für eine Weiterentwicklung der kirchlichen Sexualethik hin zu einer "Tugend- oder Befähigungsethik", die stärker auf persönliche Verantwortung und die Sehnsucht nach gelingenden Beziehungen setzt statt auf detaillierte Vorschriften und "Du sollst". Normierungen brauche es eher dort, "wo es um Grenzen geht, die nach unten hin nicht überschritten werden dürfen, weil sie immer bedeuten, dass Menschen in ihrer Würde, in ihrer Freiheit, in ihrer Selbstbestimmung, in ihrer körperlichen und psychischen Integrität verletzt werden". (KNA)