Lösung in Terminfrage wäre aber wünschenswert

Ostkirchen-Experte: Gemeinsames Osterdatum noch nicht in Sicht

Veröffentlicht am 20.06.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 

Salzburg ‐ Jüngst erklärte Papst Leo XIV., es gebe bereits "konkrete Lösungen" für ein gemeinsames Osterdatum aller Christen. Aber wie könnte eine solche Lösung aussehen? Und woran hakt es bei der Umsetzung? Das erklärt Kirchenhistoriker und Ostkirchen-Experte Dietmar Winkler im katholisch.de-Interview.

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Das erste ökumenische Konzil von Nizäa hat vor 1.700 Jahren nicht nur weitreichende Entscheidungen zur Christologie getroffen, sondern auch Kriterien für ein gemeinsames Osterdatum festgelegt. Bis heute ist die Frage nach dem Osterdatum jedoch ein Streitpunkt. Papst Franziskus und jüngst auch sein Nachfolger, Papst Leo XIV., zeigten allerdings ihre Offenheit, sich in dieser Frage zu bewegen. Welche Lösungen für ein gemeinsames Osterdatum könnte es geben? Das erklärt der Kirchenhistoriker und Ostkirchen-Experte Dietmar Winkler im katholisch.de-Interview. 

Frage: Herr Winkler, Papst Leo XIV. hat in einer Ansprache davon gesprochen, dass es bereits einige konkrete Lösungsvorschläge für die Frage nach einem gemeinsamen Osterdatum gebe. Welche Vorschläge meint er?

Winkler: Das hat der Papst nicht genau ausgeführt. Mir ist bislang nur ein konkretes Modell bekannt, das 1997 vom Weltkirchenrat im syrischen Aleppo vorgestellt wurde. Das würde ich als eines der wegweisenden und besten Modelle zur Lösung dieser Frage ansehen.

Frage: Wie sieht dieses Modell aus?

Winkler: Das Aleppo-Modell übernimmt die Vorgabe des Konzils von Nizäa, wonach Ostern auf den ersten Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond fallen muss. Die Berechnung der notwendigen astronomischen Daten dafür soll mittels der genauesten wissenschaftlich-aktuellen Methoden erfolgen. Als Berechnungsgrundlage soll der Jerusalemer Meridian gewählt werden – als Ort der Auferstehung Jesu Christi, die wir zu Ostern feiern.

Frage: Man entscheidet sich also weder für den gregorianischen noch für den julianischen Kalender, sondern wählt eine neue Berechnungsmethode?

Winkler: Genau. Denn der julianische Kalender stammt aus der Spätantike, der gregorianische aus dem 16. Jahrhundert. Beide sind ebenfalls bloß Modelle und astronomisch nicht exakt. Deswegen hören wir heute im Wetterbericht beispielsweise auch vom kalendarischen und astronomischen Frühlingsanfang. Nach dem Aleppo-Modell würde man stattdessen wissenschaftlich exakte Daten nehmen. Und der Nebeneffekt wäre, dass es tatsächlich eine Kompromisslösung wäre und keine Seite vor den Kopf gestoßen würde, weil man das Rechenmodell der anderen Seite übernehmen muss.

Kirchenhistoriker und Ostkirchenexperte Dietmar Winkler
Bild: ©Michaela Greil (Archivbild)

In der aktuellen Situation sehe er sehr viel Zugehen der katholischen Kirche auf die Orthodoxie, um ein gemeinsames Osterdatum zu erreichen, sagt der Salzburger Kirchenhistoriker und Ostkirchenexperte Dietmar Winkler. "Insgesamt habe ich aber den Eindruck, dass der Dialogpartner uneinig ist und das in Summe nicht will." Winkler ist auch Consultor des vatikanischen Dikasteriums für die Förderung der Einheit der Christen.

Frage: Nun ist ja auch dieses Modell fast 30 Jahre alt. Warum wurde es kaum rezipiert?

Winkler: Trotz großer verbaler Zustimmung ist die Erklärung bis heute tatsächlich höchstens interessant für Gelehrte und Kalenderexperten, hat aber keine Relevanz für den pastoralen Alltag. Warum das so ist, kann ich mir nur ansatzweise erklären. Es hat aber sicherlich mit dem Fall des Eisernen Vorhangs Anfang der 1990er Jahre zu tun. Damals hat es auch einen Bruch im Dialog mit der orthodoxen Kirche gegeben. Grund dafür war unter anderem, dass die katholischen Ostkirchen in den sowjetischen Gebieten wieder zugelassen wurden, die unter den kommunistischen Regimes zuvor in die orthodoxen Kirchen einverleibt worden waren. Das hat zu großen Spannungen zwischen katholischer und orthodoxer Kirche geführt und der Dialog wurde erst 2006 wieder aufgenommen. Allerdings verließ bereits 2007 die russisch-orthodoxe Kirche aufgrund innerorthodoxer Auseinandersetzungen um die Kirche von Estland die Kommission und ist seither nicht in die offizielle Dialogkommission zurückgekehrt.

Frage: Die Päpste Franziskus und Leo XIV. haben deutlich gemacht, dass sie bereit wären, Schritte auf die orthodoxe Kirche zuzugehen, um ein gemeinsames Osterdatum zu finden. Gibt es in der Orthodoxie auch eine solche Bewegung?

Winkler: In der aktuellen Phase sehe ich tatsächlich sehr viel Zugehen der katholischen Seite auf die orthodoxe Kirche. Ich weiß auch von einzelnen orientalisch-orthodoxen Kirchen, die das durchaus wollen, aber einen solchen Schritt aus Rücksicht auf die gesamte orthodoxe Kirche nicht machen. Auch der ökumenische Patriarch von Konstantinopel zeigt sich offen. Insgesamt habe ich aber den Eindruck, dass der Dialogpartner uneinig ist und das in Summe nicht will. Ich habe auch schon orthodoxe Theologen gehört, die sagten: Warum sollen wir immer nachgeben? Das ist jedoch ein völlig falscher Ansatz, denn so wird daraus plötzlich eine Machtfrage – doch eigentlich geht es um weit mehr.

Frage: Nämlich?

Winkler: Die Frage, ob es überhaupt den Willen zu einem gemeinsamen Osterfest gibt. Denn im Hintergrund steht ja die Frage nach einer kirchlichen Einheit. Wo aber kein Interesse an einer kirchlichen Einheit besteht, da ist auch die Festlegung auf ein gemeinsames Osterdatum praktisch unmöglich – und auch sinnlos. Dafür wäre ein gemeinsames Zeichen notwendig.

„Wo aber kein Interesse an einer kirchlichen Einheit besteht, da ist auch die Festlegung auf ein gemeinsames Osterdatum praktisch unmöglich – und auch sinnlos.“

—  Zitat: Dietmar Winkler

Frage: Aber wenn sich die katholische Kirche beweglich zeigt, könnte sie dann nicht einfach das Osterdatum der orthodoxen Kirche übernehmen und so eine Lösung erreichen?

Winkler: Das wäre zwar eine denkbare Möglichkeit, aber wenn es um ein gemeinsames Osterdatum geht, dann sollte es auch gemeinsam besprochen und entschieden werden. Eine vorrübergehende Annahme des julianischen Kalenders wäre von der Zeichenhaftigkeit her möglicherweise sinnvoll, aus rationaler Perspektive erscheint dies jedoch aufgrund der Ungenauigkeit des Kalenders nicht sonderlich zweckmäßig.

Frage: Jenseits des Beschlusses von Nizäa – warum ist es denn überhaupt sinnvoll, dass es ein gemeinsames christliches Osterdatum gibt?

Winkler: Ein gemeinsames Osterdatum wäre nicht nur ein Weg, den innerkirchlichen Zusammenhalt zu fördern, sondern auch ein Zeichen der Einheit gegenüber den Anhängern anderer Glaubensrichtungen und Weltanschauungen. Gerade im Nahen Osten haben wir beispielsweise ein vielfältiges Spektrum von Christinnen und Christen, die zum großen Teil als Minderheit leben. Und da die Liebe sich zudem nicht an von Menschen gemachte Konfessionsgrenzen hält, gibt es eine hohe Zahl von gemischt-konfessionellen Ehen, für die das ganz praktische Konsequenzen hat, weil es nicht nur unterschiedliche Daten für die Feiertage gibt, sondern sich beispielsweise auch die Fastenzyklen verschieben. Diese Probleme gibt es zunehmend auch in der sogenannte Diaspora.

Frage: Wie realistisch ist es aus Ihrer Sicht, dass es in absehbarer Zeit ein gemeinsames Osterdatum für alle christlichen Kirchen geben wird?

Winkler: Dass in diesem Jahr des Nizäa-Jubiläums die Osterdaten auf denselben Tag zusammengefallen sind, war schon eine bemerkenswerte Konstellation. Da das Echo der orthodoxen Gesprächspartner aber divers ist, sehe ich nicht, dass es hier in naher Zukunft eine Lösung gibt. Zumal das russische Patriarchat derzeit nicht am ökumenischen Dialog beteiligt ist, fehlt es überdies an einem gemeinsamen Ansprechpartner. Ich sehe aber schon die Notwendigkeit, hier weiter im Dialog zu bleiben und neu motiviert an einer Lösung dieser Frage zu arbeiten. Ein gemeinsamer Osterzyklus würde bedeuten, dass die östliche und die westliche Christenheit ihre liturgischen und theologischen Schätze in den eindrucksvollen Gottesdiensten während dieser Zeit besser miteinander teilen können und das reichhaltige spirituelle Erbe so wirklich zum Tragen kommt. Und wenn man die Auferstehung Jesu als zentrale Botschaft des Christentums gemeinsam feiert, dann ist das ein anderes Zeugnis, als wenn man gerade in dieser Hinsicht zerstritten ist.

Von Christoph Brüwer