Standpunkt

Bleiben wir mit Menschen auf der Flucht solidarisch – gerade jetzt

Veröffentlicht am 20.06.2025 um 00:01 Uhr – Von Burkhard Hose – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Vater von Burkhard Hose musste 1945 aus seiner Heimat in Oberschlesien fliehen, das Thema Flucht gehört zur Geschichte der Familie. Auch deshalb appelliert Burkhard Hose, mit Menschen, die heute auf der Flucht sind, solidarisch zu bleiben.

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Unser Vater war 12 Jahre alt, als er im Februar 1945 mit seinen Eltern und seiner Schwester das heimatliche Dorf in Oberschlesien verlassen musste. Sein älterer Bruder war zu dieser Zeit schon wie viele andere Kinder und Jugendliche in der letzten Phase des Krieges als Flakhelfer von der Familie getrennt. Als ich zu Beginn diesen Jahres für zwei Tage bei unserem Vater zu Hause war, um ihn zu versorgen, sagte er unvermittelt beim Frühstück: "Heute sind es genau 80 Jahre, dass wir von zu Hause weg mussten." Und dann haben wir wieder darüber gesprochen, wie das für ihn war.

Das Thema Flucht gehört zu meiner Familiengeschichte. Genauso wie die Solidarität mit Menschen, die heute auf der Flucht sind. Als 2015 viele Menschen aus Syrien in Deutschland Zuflucht vor dem mörderischen Assad-Regime suchten, bekam ich eher zufällig mit, wie sich zwischen einigen von ihnen und meiner Tante Inge eine besondere Verbundenheit entwickelte. Die Schwester meines Vaters lebte in einem Dorf in der Nähe von Würzburg. Geflüchtete aus meinem Umfeld fuhren mit dem Fahrrad oder Bus dorthin, halfen im Garten, saßen am Kaffeetisch, unterhielten sich mit Händen und Füßen, aber vor allem mit viel Herz. Irgendwann sagte Tante Inge zu mir: "Ach weißt Du, ich spüre genau, wie es den jungen Leuten gerade geht. Ich weiß, wie das ist."

Am heutigen 20. Juni ist Weltflüchtlingstag. 122 Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht, so die neuesten Zahlen des UNO-Flüchtlingskommissariats. 41 Prozent aller Geflüchteten sind Kinder, so wie mein Vater damals. Manchmal versuche ich zu erahnen, wer von ihnen vielleicht einmal in 80 Jahren irgendwo an einem Frühstückstisch sitzen wird und immer noch diese Traurigkeit spürt, die nie so wirklich vergehen mag.

"Mein Vater war ein heimatloser Aramäer." Dieses Bekenntnis in Dtn 26,5 ist in die jüdisch-christliche Tradition eingeprägt wie die Flucht meines Vaters in unsere Familiengeschichte eingeschrieben ist. Damit verbindet sich die besondere Aufgabe, aber auch die Fähigkeit, hinter anonymen Zahlen Menschen zu sehen, mitfühlend zu bleiben und Solidarität zu zeigen. Gerade jetzt.

Von Burkhard Hose

Der Autor

Burkhard Hose ist Hochschulpfarrer in Würzburg.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.