Theologin zu Transgeschlechtlichkeit: Kirche verletzt eigene Ansprüche
Die Münsteraner Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins wirft der Kirche vor, beim Blick auf transgeschlechtliche Menschen ihren eigenen ethischen Ansprüchen nicht zu folgen. "Der Abwehrkampf, den das Lehramt gegen 'Gender' und gegen die Anerkennung sexueller Vielfalt führt, konterkariert das Eintreten für die unbedingte Anerkennung der Personenwürde", schreibt die Theologin in der neuen Ausgabe der Reihe "Herder Thema" mit dem Titel "Sichtbar anerkannt. Vielfalt sexueller Identitäten". Die Konsequenz dieser Paradoxie sei nicht marginal und betreffe auch andere Menschen. Heimbach-Steins fragt: "Wie kann dieses Anliegen glaubwürdig vertreten werden, wenn Angehörigen sexueller Minderheiten eben diese Würde abgesprochen wird, weil sie ihrer jeweiligen Identität entsprechend leben wollen?"
Das vatikanische Glaubensdikasterium hatte die lehramtliche Position unter anderem zu Transgeschlechtlichkeit zuletzt in dem Dokument "Dignitas infinita" (2024) dargelegt. Darin werden etwa Geschlechtsumwandlungen beziehungsweise geschlechtsangleichende Eingriffe verurteilt. Die römisch-lehramtliche Positionierung zeige, dass dieses Thema bis in die jüngste Zeit keine Rolle gespielt habe, so Heimbach-Steins. "Seit kurzem wird es als Fortsetzung des Kampfes gegen sexuelle Selbstbestimmungsrechte und gegen das, was lehramtlich gleichermaßen unspezifisch 'Gender-Ideologie' oder 'Gender-Theorie' genannt wird, aufgegriffen."
Ansätze für Anerkennung
Die Reaktionen darauf, dass Geschlechtlichkeit und Sexualität vielfältig erfahren würden, lägen zwischen Ignoranz und moralischer Diskreditierung, so Heimbach-Steins weiter. Das passe schlecht zu der kirchlichen Anerkennung von Vielfalt in sozialer, ethnischer und religiöser Hinsicht. So trat Papst Franziskus in der Enzyklika "Fratelli tutti" (2020) für einen konkreten Universalismus und für eine Politik der Anerkennung der Würde jedes einzelnen ein, "die der Diversität und Verletzlichkeit der (potenziellen) Nächsten Rechnung trägt".
Eine Grundlage für die Anerkennung der Vielfalt des Lebens, die auch für den anerkennenden Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt fruchtbar gemacht werden könnten, biete bereits der ganzheitliche ökologisch-soziale Ansatz der Enzyklika "Laudato si" (2015) von Franziskus. "Dazu bedarf es jedoch einer gründlichen Revision der Denkmuster, mit denen sich das römisch-katholische Lehramt gegen Lebenserfahrung und Zeugnis queerer Menschen, gegen eine kritische biblisch-theologische Hermeneutik und gegen humanwissenschaftliche Erkenntnisse immunisiert", betont Heimbach-Steins.
Die theologische Forschung kritisiere ein "essentialistisches Verständnis der 'Natur' des Menschen" wie in vielen vatikanischen Stellungnahmen zum Thema Sexualität, da sie die Stelle der Person als Gestalterin ihres eigenen Lebens verdränge und verkenne, dass "das Geschenk des Lebens" nicht einfach nur etwas Gegebenes ist. Stattdessen habe der gottesebenbildliche Mensch die kreative Aufgabe, die eigene Identität zu entwickeln. (mal)