SPD-Beauftragte: Geht mir nicht darum, den Kirchen etwas wegzunehmen
Ebenso wie die anderen Bundestagsfraktionen hat auch die SPD-Fraktion seit vielen Jahren einen Beauftragten für Kirchen und Religionsgemeinschaften. In dieser Legislaturperiode haben die Sozialdemokraten daneben erstmals auch den Posten einer Sprecherin für Säkularität und Humanismus geschaffen. Bekleidet wird das neue Amt von der Bautzener Abgeordneten Kathrin Michel. Im Interview mit katholisch.de spricht sie über den Zweck des Postens, ihre politischen Ziele und ihre persönliche Haltung zu Kirche und Religion.
Frage: Frau Michel, zum ersten Mal überhaupt gibt es in der SPD-Bundestagsfraktion in dieser Legislaturperiode den Posten einer Sprecherin für Säkularität und Humanismus. Warum hat Ihre Fraktion dieses Amt gerade jetzt geschaffen?
Michel: Bereits seit 2021 gibt es in unserer Partei einen "Arbeitskreis Säkularität und Humanismus". Dessen Ziel ist es, die Interessen konfessionsloser Menschen in der SPD zu bündeln und diese nach innen und außen zu vertreten. Um dieses Anliegen auch in der Bundestagsfraktion zu stärken, haben die Mitglieder des Arbeitskreises eigentlich von Anfang an dafür plädiert, in der Fraktion den Posten eines Sprechers, einer Sprecherin für Säkularität und Humanismus zu schaffen. Dass das bis jetzt gedauert hat, lag nach meinem Eindruck vor allem daran, dass das Thema zunächst nicht mit dem notwendigen Elan vorangetrieben wurde. Jetzt aber war es so weit, und als ich gefragt wurde, ob ich mir die Aufgabe vorstellen könnte, habe ich gerne meine Bereitschaft erklärt.
Frage: Was war Ihre Motivation?
Michel: Ich bin jemand, der Brücken bauen möchte – zwischen Weltanschauungen, Überzeugungen, Lebensentwürfen. Nicht umsonst heißt mein Podcast "Die Brückenbauerin". Ich finde, unsere Gesellschaft kann nur zusammenhalten, wenn wir auf das Verbindende schauen – und nicht ständig auf das Trennende. Gerade der säkulare Bereich ist sehr vielfältig, aber nicht so gut in der Politik vernetzt. Ich möchte mithelfen, säkularen Sichtweisen im Konzert der Weltanschauungen mehr Gehör zu verschaffen.
Frage: Gab es in ihrer Fraktion eine Debatte über den neuen Posten oder gar Vorbehalte – etwa bei religiösen Abgeordneten?
Michel: Eine generelle Debatte gab es nicht. Aber natürlich Fragen – etwa von Kolleginnen und Kollegen, die mit Religionspolitik zu tun haben oder selbst religiös sind. Ich habe zum Beispiel länger mit Lars Castellucci darüber gesprochen, unserem bisherigen Beauftragten für Kirchen und Religionsgemeinschaften. Er fragte: "Brauchen wir wirklich eine eigene Sprecherin für Säkularität und Humanismus?". Und fügte dann an mich gerichtet hinzu: "Aber wenn ja, dann könntest Du das gut machen." Einzelne Kolleginnen und Kollegen – ob evangelisch oder katholisch – hatten sicher die Sorge, dass es bei dem neuen Amt darum geht, insbesondere den beiden großen Kirchen etwas wegzunehmen. Aber das ist nicht mein Ansatz. Mir geht es um Gleichberechtigung, nicht um Verdrängung.
„Ich bin konfessionslos und wurde – anders als meine beiden älteren Geschwister – als Kind auch nicht getauft.“
Frage: Sie haben es schon angesprochen: In Ihrer Fraktion gibt es schon lange den Posten eines Beauftragten für Kirchen und Religionsgemeinschaften. Nach Lars Castellucci hat in dieser Legislaturperiode der ehemalige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil das Amt übernommen. Sehen Sie sich als Gegenpart zu ihm?
Michel: Überhaupt nicht. Als Haushaltspolitikerin habe ich in der vergangenen Legislaturperiode für unsere Fraktion den Etat des Arbeitsministeriums betreut – und in dieser Funktion bereits eng und gut mit Hubertus Heil zusammengearbeitet. Wir kennen und schätzen uns, und ich gehe fest davon aus, dass wir auch in unseren neuen Ämtern das Verbindende suchen werden. Ich bin davon überzeugt, dass das den Initiativen und Stellungnahmen unserer Fraktion zu Religionen und anderen Weltanschauungen eine ganz neue Qualität geben kann.
Frage: Trotzdem stellt sich die Frage, wer künftig in Ihrer Fraktion federführend für Religionspolitik und Weltanschauungsfragen zuständig ist. Herr Heil oder Sie?
Michel: Das haben wir im Detail noch nicht besprochen; unsere Beauftragung liegt aber ja auch erst ein paar Tage zurück. Jetzt geht es für uns beide erst einmal darum, uns einen Überblick zu verschaffen: Welche Themen stehen an? Welche Kontakte sind wichtig? Aber natürlich werde ich mich so bald wie möglich mit Hubertus zusammensetzen, um abzuklären, wie wir unsere Arbeit sinnvoll verzahnen können.
Frage: Wie halten Sie es persönlich mit Religion?
Michel: Ich bin konfessionslos und wurde – anders als meine beiden älteren Geschwister – als Kind auch nicht getauft. Warum es diesen "Bruch" in unserer Familie gab, weiß ich nicht. Allerdings waren meine Eltern selbst nicht religiös, möglicherweise spielten auch die damaligen Zustände in der DDR eine Rolle. Gleichwohl habe ich nie eine ablehnende Haltung gegenüber Religionen entwickelt – im Gegenteil. Ich wurde diesbezüglich sehr von meiner Großmutter geprägt, die evangelisch und sehr weltoffen war. Als ich ein Kind war, hat sie mir viel über die großen Weltreligionen beigebracht und mir Respekt vor diesen vermittelt. Sie hat mich nie zu etwas gedrängt, sondern mich neugierig gemacht. Das prägt mich bis heute.
Anders als andere Verfassungen sieht das deutsche Grundgesetz keine strikte Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften, sondern eher ein partnerschaftliches Miteinander vor.
Frage: Was sehen Sie als Sprecherin für Säkularität und Humanismus als Ihre Hauptaufgabe an? Geht es vor allem um eine Interessenvertretung nichtreligiöser Menschen? Oder ist das so pauschal gar nicht möglich, weil das eine sehr heterogene Gruppe ist?
Michel: Die Gruppe der Konfessionslosen ist in der Tat sehr heterogen. Mir geht es deshalb zunächst darum herauszufinden, welche Gruppen und Organisationen es in diesem Bereich überhaupt gibt und mit wem ich ins Gespräch kommen kann. Ich möchte zuhören, vernetzen und herausfinden, wo die Themen und mögliche Probleme liegen. Und dann schauen, wo man Gleichberechtigung konkret fördern kann – ohne jemandem etwas wegzunehmen. Der Staat muss alle Bürgerinnen und Bürger gleich behandeln, egal ob gläubig oder nicht. Es geht nicht darum, Religion zu bekämpfen. Es geht darum, niemanden zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Ich sehe mich diesbezüglich ganz klar in einer verbindenden Rolle.
Frage: In einem Statement auf Facebook haben Sie nach Ihrer Wahl erklärt: "Weltanschauliche Politik achtet darauf, dass niemand wegen seines Glaubens oder Nicht-Glaubens bevorzugt oder benachteiligt wird." Wo sehen Sie in Deutschland entsprechende Bevorzugungen oder Benachteiligungen?
Michel: Ein klassisches Beispiel ist die Kirchensteuer, die der Staat für die Kirchen einzieht – dieses Privileg haben andere Weltanschauungsgemeinschaften nicht. Ähnlich sieht es beim kirchlichen Arbeitsrecht aus, das den Kirchen weitreichende Freiheiten im Umgang mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern garantiert. Doch auch umgekehrt gibt es Diskriminierung: Mitunter werden Menschen für ihren Glauben belächelt oder sogar verächtlich gemacht – zum Beispiel in Schulen. All das treibt mich um.
Frage: Vor allem aufgrund der hohen Kirchenaustrittszahlen ist die Zahl konfessionsloser Menschen in Deutschland in den vergangenen Jahren stark angewachsen. Hat die Politik diese Entwicklung Ihrer Ansicht nach schon ausreichend wahrgenommen?
Michel: Ich würde sagen: noch nicht genug. Auch ich habe das Ausmaß dieser Entwicklung erst in letzter Zeit wirklich realisiert. Ich sehe die vielen Kirchenaustritte durchaus kritisch. Allerdings ist das ja kein singuläres Problem der Kirchen. Auch andere große Organisationen wie Gewerkschaften oder Parteien haben mit teils erheblichen Mitgliederverlusten zu kämpfen; ähnliches gilt für Ehrenamt und Sportvereine. Unsere Gesellschaft wird individueller – und leider auch egoistischer. Damit geht ein Verlust an Zusammenhalt einher, den wir alle im Alltag zu spüren bekommen. Das ist eine erschreckende Entwicklung! Ich bin fest davon überzeugt: Eine Gesellschaft braucht Institutionen und Orte, die zusammenführen, wo sich Menschen gegenseitig unterstützen und gemeinsam etwas auf den Weg bringen können.
„Ich denke, dass eine behutsame Modernisierung des Religionsverfassungsrechts gut wäre – zum Wohl aller, auch der Kirchen.“
Frage: Sehen Sie angesichts der vielen Kirchenaustritte denn die Notwendigkeit, das tradierte Staat-Religionen-Verhältnis in Deutschland zu reformieren?
Michel: Ich glaube, man sollte nichts vorschnell infrage stellen. Aber genauso wenig ist alles in Stein gemeißelt. Die Artikel im Grundgesetz, die sich mit den Religionsgemeinschaften beschäftigen, stammen überwiegend aus der Weimarer Reichsverfassung und sind damit mehr als 100 Jahre alt. Wir sollten uns genau anschauen: Passen sie noch in die Zeit? Bilden sie ausreichend die pluraler gewordene Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ab? Ich denke, dass eine behutsame Modernisierung des Religionsverfassungsrechts gut wäre – zum Wohl aller, auch der Kirchen.
Frage: Stichwort Grundgesetz: Wie stehen Sie zum Gottesbezug in der Präambel?
Michel: Diesbezüglich habe ich mir noch keine abschließende Meinung gebildet. Das ist aber auch keine Frage, die für mich prioritär auf dem Tisch liegt.
Frage: In der vergangenen Legislaturperiode hat die Ampelkoalition den Versuch unternommen, die ebenfalls schon in der Weimarer Reichsverfassung geforderte Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen umzusetzen. Bedauern Sie, dass dieses Vorhaben gescheitert ist?
Michel: Ja, das bedauere ich. Und ich würde mir wünschen, dass es einen neuen Anlauf zur Ablösung gäbe. Zugleich bin ich aber Realistin genug, um zu wissen, dass es dafür im Moment keine politischen Mehrheiten gibt. Die Staatsleistungen sind aus der Zeit gefallen, weil sie die beiden großen Kirchen in unserer auch religiös so plural gewordenen Gesellschaft in nicht mehr nachvollziehbarer Weise privilegieren.
Frage: Säkularität wird mitunter mit Religionsfeindlichkeit gleichgesetzt. Wie kann es gelingen, für weltanschauliche Neutralität zu werben, ohne anti-religiös zu wirken?
Michel: Ich kann nur für mich sprechen: Ich lebe weltanschauliche Neutralität und suche bewusst das Gespräch mit allen Seiten. Es hilft nicht, wenn man das eine gegen das andere ausspielt. Entscheidend ist, dass sich jeder Mensch in unserer Gesellschaft frei entfalten kann – unabhängig von seiner Religion oder Weltanschauung. Natürlich gibt es auch humanistische Gruppen, die eine eher religionskritische Haltung vertreten. Aber auch mit ihnen will ich sprechen. Denn nur im Dialog kann man Missverständnisse ausräumen – und deutlich machen, wofür säkulare Politik wirklich steht: für Offenheit, Respekt und Gleichbehandlung.
