Missbrauch und Medienarbeit: Empörung über Polens Bischöfe

Polen galt lange als Bastion des katholischen Glaubens. Aber die rosigen Zeiten sind für die Kirche in dem Land vorbei. Kirchliche Missbrauchsskandale haben das Ansehen der Bischöfe und der Geistlichen schwer erschüttert. Statistisch lässt sich das an der nationalen Volkszählung von 2021 ablesen: Nur noch 27 Millionen Polinnen und Polen bekannten sich zur katholischen Kirche – sechseinhalb Millionen weniger als zehn Jahre zuvor. Anders gesagt: 71,3 Prozent der Bevölkerung statt 87,6.
Was soll die Kirche nun machen? Darüber wird heiß diskutiert. Polen brauche eine unabhängige nationale Aufarbeitungskommission, geleitet von anerkannten Fachleuten, sonst ändere sich beim sexuellen Missbrauch in der Kirche nichts, meint der Warschauer Jesuit Lukasz Sosniak. Dafür sei "eine evangelische Haltung notwendig, keine politische".
Aufarbeitung soll Maß am Evangelium nehmen
Was meint er damit? "Dass ich im Namen der Nächstenliebe Läuterung und Wahrheit verlange, dass ich den aufrichtigen Willen habe, denen, die Unrecht erlitten haben, Wiedergutmachung zu leisten, dass ich nicht die Institutionen in den Vordergrund stelle und nicht versuche, mich selbst in erster Linie zu schützen." Für Sosniak steht fest: "Wenn die polnische Kirche ihre Glaubwürdigkeit als Verkünderin des Evangeliums wiedererlangen will, dann müssen sich auch ihre Institutionen von diesem Evangelium leiten lassen."
Wie der Pater bezweifeln allerdings viele in Polen, dass die Bischöfe zu einer unabhängigen Missbrauchsaufarbeitung bereit sind. Bei ihrer jüngsten Vollversammlung im Juni entzog die Bischofskonferenz Primas Erzbischof Wojciech Polak die Zuständigkeit für die Einrichtung einer landesweiten Kommission zur Untersuchung von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen. Diese Aufgabe wurde stattdessen Bischof Slawomir Oder übertragen. Darauf erklärten Kritiker das Vorhaben für gescheitert. Es werde keine echte Aufarbeitung von Missbrauch und Vertuschung in der Kirche geben, hieß es.
Erzbischof Polak wurde der Auftrag entzogen, eine landesweite Kommission zur Untersuchung von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen einzurichten.
Die Empörung war so groß, dass es Protestkundgebungen vor der Vatikanbotschaft in Warschau und den Bischofsresidenzen in Krakau und Posen gab. "Eine Kirche, die die Wahrheit verbirgt, verrät ihr Fundament", sprach Mitinitiatorin Maria Rosciszewska in der Hauptstadt in ihr Megafon. "Eine Kirche, die die Verletzten fürchtet, steht auf der Seite der Täter." Ihre Gruppe von rund 30 Katholikinnen und Katholiken sei im Gegensatz zu den Bischöfen solidarisch mit den Missbrauchsbetroffenen. Aus Protest legten sie Steine mit Bibelzitaten wie "Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien" vor der Nuntiatur ab.
Die Bischöfe Polak und Oder hatten sich bei dem Thema zuletzt ziemlich unterschiedlich zur Aufarbeitung positioniert. Polak lag seit 2019 als Beauftragter der Bischofskonferenz für den Schutz von Kindern und Jugendlichen die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals am Herzen. Er erwarb sich das Vertrauen vieler Betroffener. Der 2023 zum Bischof geweihte Oder gehörte hingegen offenbar zu jenen, die eher kirchliche Entschädigungszahlungen abwehren wollten. Zudem wird ihm vorgeworfen, er habe als Postulator für die Selig- und Heiligsprechung von Papst Johannes Paul II. (1978-2005) nicht genau geprüft, ob dieser auf Missbrauchsfälle richtig reagiert habe.
Polak arbeitete bis zu seiner Abberufung zwei Jahre lang mit Kardinal Grzegorz Rys an den Grundlagen für eine Aufarbeitungskommission. Oder soll diese Vorarbeiten nun abschließen. Rys war davon offenkundig nicht begeistert, auch wenn er Oder sein Vertrauen aussprach. "Über die Reaktionen bin ich nicht überrascht", sagte er in einem Radiointerview. Die Bildung der Kommission dürfe nicht auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Sie sei auch "für die Glaubwürdigkeit der Kirche" wichtig.
Bisher kein Betroffenenbeirat und kein Schadensersatz
Die Bischofskonferenz will im Oktober das weitere Vorgehen beraten. Bei der Prävention ist die Kirche in Polen den Nachbarländern Slowakei und Litauen voraus. Aber es gibt keinen Betroffenenbeirat. Zudem lehnen Polens Bischöfe bisher kirchliche Schadensersatzzahlungen ab, die über eine Übernahme von Therapiekosten hinausgehen. Sie verweisen die Opfer in dieser Frage an die Täter.
Bei dem Thema geriet der Sprecher der Bischofskonferenz, der Jesuit Leszek Gesiak, auch mit dem Chefredakteur der polnischen katholischen Nachrichtenagentur KAI, Marcin Przeciszewski, aneinander. Dieser nannte Polaks Abberufung nannte eine "Ohrfeige für die Missbrauchsopfer" und eine "mediale Katastrophe". Gesiak stufte Przeciszewskis Äußerung als "schwierig" ein. Der Sprecher monierte ferner, die Katolicka Agencja Informacyjna (KAI) habe in manchen Beiträgen Informationen veröffentlicht, "die nicht ganz mit der Botschaft der Bischöfe übereinstimmten".
Wie geht es weiter mit der Nachrichtenagentur KAI?
Nun steht sogar die Zukunft der KAI auf dem Spiel. Schon seit Monaten gab es Spannungen zwischen Gesiak und Przeciszewski. Im Februar schlug Gesiak den Bischöfen quasi vor, ihm die KAI und das Kirchenportal "Opoka" zu unterstellen. In seinem elfseitigen Konzept, das der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegt, plädierte er für eine sehr enge Zusammenarbeit oder Fusion seiner Pressestelle mit der KAI und "Opoka": "Eines der ersten Elemente der Synchronisierung der Medienunternehmen der Polnischen Bischofskonferenz sollte die Schaffung eines gemeinsamen Newsrooms des Bischofskonferenz-Medienkonsortiums sein. Dessen Aufgabe wäre die integrierte, positive Kommunikation (Erstellung von Materialien: Text, Fotos, Videos), die Bereitstellung von Informationen für die Medien und die Vorbereitung von Krisenreaktionen."
Die KAI und "Opoka" sollten eine gewisse Autonomie behalten, heißt es anderer Stelle. Laut Chefredakteur Przeciszewski begrüßten die Bischöfe bereits bei ihrer Vollversammlung im März das Konzept. Der Episkopatssprecher Gesiak stellt es etwas anders dar: Die Bischöfe hätten ihm den Auftrag erteilt, Optimierungsmaßnahmen zu prüfen, die auch die KAI beträfen. Das Pressebüro der Bischofskonferenz erklärte auf KNA-Anfrage, die KAI solle eine "unabhängige Medieneinrichtung der Bischofskonferenz bleiben". Geesiaks Reformkonzept sei kein Dokument der Bischofskonferenz, sondern ein "richtungsweisender Vorschlag" ihres Sprechers.
"Bischöfe wollen Agentur in Propagandamaschine umwandeln"
Das Projekt ist jedoch vorerst ins Stocken geraten, da ein Rechtsberater warnte, dass die geplante neue Struktur juristisch problematisch sei. Das Krakauer Magazin "Tygodnik Powszechny" titelte: "Bischöfe wollen Agentur in eine Propagandamaschine umwandeln". Der Plan erinnere an "totalitäre Zeiten". Auf wessen Seite die Bischöfe stehen, ist jedenfalls klar. Sie verlängerten im Juni die Amtseit ihres Sprechers Gesiak.
Verlierer ist Przeciszewski und die von ihm 1993 gegründete KAI. Der 66-Jährige trat als Geschäftsführer und Chefredakteur zurück. Der KNA sagte Przeciszewski, Gesiak stelle die Dinge falsch dar. Es sei "absurd", die KAI mit der Pressestelle zusammenzulegen. Beide hätten völlig unterschiedliche Aufgaben. Eine Pressestelle gebe ihre Informationen kostenlos an Medien weiter. Nachrichtenagenturen recherchierten ihre Meldungen hingegen unabhängig und verkauften sie. Medien würden keine Nachrichtenagentur abonnieren, die wie eine Pressestelle arbeite, betonte er. Ziel der von den Bischöfen beschlossenen Maßnahmen sei die "faktische Liquidierung der Agentur". Nur ihr Name und das Logo würden fortbestehen.
Polnische Bischöfe: Nachrichtenagentur KAI bleibt unabhängig
Wollen Polens Bischöfe die Freiheit ihrer Nachrichtenagentur KAI beschneiden? Nun meldet sich die Bischofskonferenz zu Wort – und fühlt sich falsch verstanden. Auch der katholische Journalistenverband GKP schaltete sich in die Debatte ein
Die KAI ist für viele kirchliche und für manche säkulare Medien in Polen die führende journalistische Quelle zu Religionsthemen. Das verdankt sie auch ihrer weitgehenden Autonomie von der Bischofskonferenz. Sie gehört einer kirchlichen Stiftung, die von fünf Bischöfen geleitet wird. Den Vorsitz hat der Warschauer Erzbischof Adrian Galbas. Dessen Pressestelle antwortete nicht auf KNA-Anfragen hierzu. Wie die KAI selbst meldete, berief die Stiftung Dominikanerpater Stanislaw Tasiemski an die Spitze der Agentur. Der 74-Jährige war seit 2008 als kirchlicher Assistent Mitglied der KAI-Geschäftsführung. Von 1998 bis 2008 arbeitete er in der polnischen Abteilung von Radio Vatikan.
Gegenüber der KNA gab sich Tasiemski optimistisch: "Der Sprecher der Polnischen Bischofskonferenz hat mir gratuliert und mir versichert, dass die KAI ihre journalistische Unabhängigkeit behalten wird." Dafür will sich auch Tasiemski einsetzen. Die Entscheidung über die Gründung einer gemeinsamen Redaktion des Pressebüros der Episkopats, der KAI und des Portals "Opoka" liege bei der Bischofskonferenz. Aber die Agentur sei zu Gesprächen eingeladen worden. Wer neuer Chefredakteur wird, steht noch nicht fest. Er soll laut Tasiemski auch wieder Geschäftsführer der KAI werden.
"Traurig, wie Bischöfe weiter Vertrauen verspielen"
Unterdessen trat am Dienstag auch der Vizegeschäftsführer der Agentur, Tomasz Krolak, zurück. Er hatte die KAI gemeinsam mit Przeciszewski gegründet. Krolak will Inlandsressortleiter bleiben. Die Hoffnung auf den Erhalt der journalistischen Unabhängigkeit schwindet, heißt es aus der Redaktion. Wie die KAI so säkulare Medien davon überzeugen soll, sie zu abonnieren, bleibt ein Rätsel. Die landesweite Tageszeitung "Gaseta Wyborcza" bestellte die Kirchenagentur bereits vor Jahren ab. Ein erneutes Abo kommt für sie bestimmt nicht infrage, wenn es so um die Agentur steht.
Der Publizist Tomasz Terlikowski zeigte sich im Nachrichtenportal "WP" schockiert: "Es ist traurig zu sehen, wie die Errungenschaften vieler katholischer Laien und Geistlicher durch die unverantwortlichen Entscheidungen des derzeitigen Präsidiums der Polnischen Bischofskonferenz und der Mehrheit der polnischen Bischöfe zunichte gemacht werden." Das große Vertrauen, das polnische Frauen und Männer in die Kirche in Polen hätten, werde verspielt und die soziale Struktur der Kirche in Polen nach und nach zerstört. Die Bischöfe seien einfach nicht in der Lage, "die Realität zu analysieren, die Welt um sie herum zu verstehen". Sie würden stattdessen mit "Angst, Frustration, Feindseligkeit" reagieren.