Sich "an dieser Hetze zu beteiligen, ist unchristlich"

Weiter Debatte um Verfassungsrichter-Wahl – SPD empört über Erzbischof

Veröffentlicht am 14.07.2025 um 11:21 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/München ‐ Untragbar oder Opfer einer Hetzkampagne? Bei Vertretern aus Politik und Kirche gehen die Meinungen über Frauke Brosius-Gersdorf auseinander. Die SPD hält an ihrer Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht fest.

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Die gescheiterte Wahl dreier neuer Richter für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sorgt weiter für Diskussionen. Dabei steht auch am Montag die von der SPD unterstützte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf im Mittelpunkt. Sie sorgt vor allem wegen ihrer liberalen Haltung zur Abtreibungsregelung in Teilen der Union und bei Kirchenvertretern für Kritik. Aus Sicht der Juristin gibt es gute Gründe dafür, dass die volle Garantie der Menschenwürde erst ab der Geburt gilt.

Nach den Worten von SPD-Fraktionschef Matthias Miersch wurde Brosius-Gersdorf "Opfer einer Schmutzkampagne, wie wir sie selten erlebt haben". Dabei seien ihre Stellungnahmen, etwa zu Schwangerschaftsabbrüchen, völlig verkürzt dargestellt worden, so Miersch in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" (Montag). "Auch die maßgeblichen Entscheidungsträger von CDU und CSU haben zunächst ja keinerlei Kritik geäußert – das fing erst an, als über das Netz aufs Übelste polarisiert wurde."

Bundeskanzler Friedrich Merz räumte am Sonntagabend im ARD-Sommerinterview ein, die Vorbehalte in der Unionsfraktion gegenüber Brosius-Gersdorf unterschätzt zu haben. "Wir hätten natürlich früher erkennen können, dass da großer Unmut entsteht", so der CDU-Politiker. Unruhe habe es aber auch in der SPD-Fraktion gegeben. So habe die frühere SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Kirchen mobilisiert.

Schlagabtausch zwischen SPD und Kirche

Der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl nannte die die Haltung von Brosius-Gersdorf zum Lebensrecht ungeborener Kinder am Sonntag einen "innenpolitischen Skandal". Er wolle sich nicht vorstellen, "in welchen Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung wir gleiten, wenn die Verantwortung vor Gott immer mehr aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet", sagte Gössl. "Dann haben die Schwächeren keine Stimme mehr: nicht die Ungeborenen und nicht die pflegebedürftigen Alten; nicht die psychisch Kranken und auch nicht die sozial Schwachen, nicht die Menschen, die sich aufgrund von Krieg und Verfolgung auf die Flucht begeben, und auch nicht die Natur, die gewissenlos ausgebeutet und zerstört wird."

Herwig Gössl ist Erzbischof von Bamberg
Bild: ©KNA/Katharina Gebauer - Montage: katholisch.de (Archivbild)

Herwig Gössl ist Erzbischof von Bamberg.

SPD-Fraktionschef Miersch wies Gössls Einschätzung von einem innenpolitischen Skandal scharf zurück. Dies sei eine unglaubliche Aussage gegenüber einer anerkannten Juristin, so Miersch. "Überhaupt bin ich sehr empört, wie sich prominente Bischöfe und Kardinäle in diese Sache eingeschaltet haben. Kirche kann durchaus politisch sein. Sich aber an dieser Hetze zu beteiligen, ist unchristlich."

Dagegen zeigte sich die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt erstaunt über die Äußerung ihres Parteifreundes Miersch. "Das ist doch genau die Rolle der Kirchen", sagte Schmidt dem Magazin "Stern". "Sie sind dafür da, sich einzumischen und in kritischen Fragen das Gespräch zu suchen. Wir können Kirchen nicht nur dann gut finden, wenn ihre Haltung uns passt. Man muss ihre Positionen nicht teilen oder sogar mitgehen. Aber man sollte schon zuhören." Schmidt ist Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, die sich für Gleichberechtigung und Barrierefreiheit für Menschen mit geistiger Behinderung einsetzt.

Gössl verteidigt Vorstoß

Erzbischof Gössl verteidigte unterdessen seinen Vorstoß. "Wenn ein nach Entwicklungsstufe und Lebensfähigkeit des Menschen abgestuftes Lebensschutzkonzept vertreten und damit das Lebensrecht ungeborener Kinder infrage gestellt wird, bedeutet dies einen verfassungsrechtlichen Paradigmenwechsel", heißt es in einer am Montag veröffentlichten Mitteilung des Erzbistums Bamberg. Darin ruft Gössl zu Dialog und inhaltlicher Auseinandersetzung auf. Er bedauere, wenn seine Aussagen verkürzt wiedergegeben und missverstanden und damit Personen oder das Ansehen des Verfassungsgerichts beschädigt würden.

Am Freitag war die Wahl dreier neuer Verfassungsrichter für Karlsruhe im Bundestag gescheitert. Sie soll nun nach der Sommerpause nachgeholt werden. Aus der Union gibt es Forderungen an ihren Koalitionspartner, eine andere Person ins Rennen zu schicken. Doch die SPD will offenbar an Brosius-Gersdorf festhalten. (tmg/KNA)

14.7., 14:09 Uhr: Ergänzt um Schmidt und neue Stellungnahme Gössl.