Neuer SPD-Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften im Interview

Hubertus Heil: Ich will Brücken bauen zwischen Staat und Religionen

Veröffentlicht am 29.07.2025 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Berlin ‐ Vom Arbeitsminister zum Religionspolitiker: Seit Ende Juni ist Hubertus Heil neuer Religionsbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion. Im katholisch.de-Interview spricht er über seine Ziele in diesem Amt, die bleibende Relevanz der Kirchen, den interreligiösen Dialog und seinen eigenen Glauben.

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Nach dem Ende seiner Amtszeit als Bundesarbeitsminister widmet sich Hubertus Heil nun einem neuen Aufgabenfeld: Als Beauftragter der SPD-Bundestagsfraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften will der 52-Jährige Brücken bauen zwischen Politik und Glaubensgemeinschaften. Im katholisch.de-Interview spricht Heil über seine eigene religiöse Prägung, die Herausforderungen religiöser Vielfalt in der Gesellschaft, die Rolle der Kirchen – und er erklärt, warum eine stumme Kirche für ihn eine dumme Kirche ist.

Frage: Herr Heil, bis Anfang Mai waren Sie als Minister für Arbeit und Soziales Herr über den größten Einzeletat in der Bundesregierung – jetzt sind Sie neuer Beauftragter Ihrer Fraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften. Wie gehen Sie mit diesem Rollenwechsel um, der ja auch mit einem Verlust an Macht und Bedeutung verbunden ist?

Heil: Ich bin seit vielen Jahren Bundestagsabgeordneter und habe in den vergangenen 20 Jahren politische Führungsverantwortung tragen dürfen – in meiner Partei, meiner Fraktion und zuletzt sieben Jahre in der Bundesregierung. Ich bin dankbar, dass ich all diese Aufgaben ausfüllen durfte. Ich habe jetzt keine Führungsverantwortung mehr. Damit kann ich gut umgehen, weil mir immer bewusst war, dass man in der Demokratie Verantwortung auf Zeit trägt – man ist gewählt und nicht erwählt. Ich bin aber als direkt gewählter Abgeordneter meines Wahlkreises Gifhorn-Peine nach wie vor politisch aktiv. Als Abgeordneter vertrete ich meine Heimat in Berlin, arbeite im Auswärtigen Ausschuss und habe nun die Aufgabe als Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften übernommen. Damit ist also keine exekutive Rolle verbunden, aber eine parlamentarische. Es geht darum, Brücken zu bauen zwischen dem demokratischen Staat und den Religionen. Dieser Aufgabe will ich gerne nachkommen.

Frage: Was hat Sie an dieser Aufgabe besonders gereizt?

Heil: Das Staat-Kirche-Verhältnis hat mich immer schon interessiert, ebenso wie der interreligiöse Dialog. In stürmischen Zeiten wie diesen können Glaube und Religion Orientierung bieten und zur ethischen Klärung politischer Debatten beitragen. Das kann helfen, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten und in der Politik zu besseren Entscheidungen zu kommen.

Frage: Sie haben gesagt, dass Sie als Beauftragter Brücken bauen möchten. Können Sie darüber hinaus bereits konkrete Schwerpunkte nennen, die Sie angehen möchten?

Heil: Meine Wahl zum Beauftragten liegt erst wenige Wochen zurück; insofern bin ich derzeit noch dabei, mich einzuarbeiten. Gleichwohl zeichnen sich bereits zwei Schwerpunkte ab. Erstens: Wie schon angedeutet, möchte ich gerne einen Beitrag zum interreligiösen Dialog sowie zum Dialog zwischen Staat und Religionen leisten. Wir leben in einer Gesellschaft, die Gefahr läuft, sich auseinanderzudividieren. Hier kann der Austausch unter den Religionen sowie zwischen den Religionen und dem Staat ein Beitrag zur Verständigung sein. Zweitens: Als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses treibt mich die Frage von Krieg und Frieden um. Gerade bei sicherheits- und friedenspolitischen Themen sehe ich großen Gesprächsbedarf. Ich bin davon überzeugt, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften hier Räume für wichtige gesellschaftliche Debatten bieten können – gerade, weil es diesbezüglich auch unter den Gläubigen sehr unterschiedliche Positionen gibt.

„Entscheidend ist nicht, wie oft Religion im Koalitionsvertrag erwähnt wird, sondern was politisch getan wird.“

—  Zitat: Hubertus Heil

Frage: Braucht es dafür neue und möglicherweise von der Regierung initiierte Gesprächsformate?

Heil: Nicht zwingend. Wichtig ist einfach, dass es Orte gibt, an denen man sich austauschen kann. Ein Beispiel: Die Debatten um den Nahost-Konflikt wirken stark in unsere Gesellschaft hinein, auch in die Religionsgemeinschaften. Umso wichtiger sind Plattformen für Dialog, die Polarisierung verhindern helfen.

Frage: Religionspolitik ist für die neue Bundesregierung kein zentrales Thema; im Koalitionsvertrag findet sich dazu jedenfalls fast nichts. Wie bewerten Sie das?

Heil: Um es in der Fußballersprache zu sagen: Wichtig ist auf dem Platz. Entscheidend ist nicht, wie oft Religion im Koalitionsvertrag erwähnt wird, sondern was politisch getan wird. Und das beeinflussen ganz maßgeblich die verantwortlichen Fachpolitiker in den Koalitionsfraktionen. Darüber hinaus möchte ich aber auch das Gespräch mit den religionspolitischen Sprechern der demokratischen Oppositionsfraktionen suchen. Religionspolitik ist kein exklusives Regierungsthema. Vielmehr sollten wir gemeinsam klären, welche religionspolitischen Fragen in dieser Zeit wirklich relevant sind.

Frage: Die Vorgängerregierung, an der Sie als Minister beteiligt waren, hatte sich in der Religionspolitik ambitionierte Ziele gesteckt – allen voran die Abschaffung der Staatsleistungen an die Kirchen und eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts. Bedauern Sie, dass beide Projekte gescheitert sind?

Heil: Beide Themen stehen tatsächlich aktuell nicht auf der politischen Tagesordnung. Aber ich glaube, dass in der letzten Legislaturperiode Vorarbeiten geleistet wurden, die es ermöglichen diese Themen in der Zukunft wieder aufzugreifen.

Bild: ©stock.adobe.com/alexgres (Archivbild)

"Trotz der schwindenden Bindekraft der christlichen Kirchen ist und bleibt unsere Gesellschaft stark von der christlich-jüdischen Tradition geprägt", so Hubertus Heil.

Frage: In Ihrer Fraktion gibt es in dieser Legislaturperiode mit der Bautzener Abgeordneten Kathrin Michel erstmals eine Sprecherin für Säkularität und Humanismus. Als Christ und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften: Wie finden Sie das?

Heil:. Kathrin Michel ist eine kluge und engagierte Kollegin. Wir kennen uns gut und haben bereits in der vergangenen Legislaturperiode eng zusammengearbeitet. Ich bin überzeugt, dass wir auch in unseren neuen Rollen gut kooperieren werden – bei allen Unterschieden in unseren Aufgaben.

Frage: Wie stellen Sie sich Ihre Aufgabenteilung vor? Immerhin gibt es bei Ihren Themenfeldern zahlreiche Überschneidungen.

Heil: Das werden wir vertrauensvoll miteinander besprechen.

Frage: Deutschland wird – nicht zuletzt aufgrund der vielen Kirchenaustritte – säkularer, vor allem durch die Zuwanderung zugleich aber auch religiös pluraler. Wie kann die SPD auf diese Veränderungen reagieren?

Heil: Trotz der schwindenden Bindekraft der christlichen Kirchen ist und bleibt unsere Gesellschaft stark von der christlich-jüdischen Tradition geprägt – gleichzeitig wird sie religiös pluraler. Die Antwort auf diese Entwicklung muss Dialog sein, denn nur so können Respekt, Toleranz und gesellschaftlicher Zusammenhalt wachsen. Aufgabe meiner Partei – wie auch der anderen demokratischen Parteien – muss es sein, diesen Dialog zu unterstützen. Gerade in der heutigen Zeit brauchen wir eher mehr Werteorientierung, nicht weniger. Und wir müssen lernen, mit der neuen Vielfalt klug umzugehen.

„Auch mit weniger Mitgliedern bleiben die Kirchen für die Gesellschaft bedeutsam. Die Kirchen selbst müssen sich allerdings fragen, wie sie ihre Bindungskraft wieder stärken können.“

—  Zitat: Hubertus Heil

Frage: Wie kann es der Politik gelingen, diese Vielfalt zu fördern, ohne in Kulturkämpfe abzurutschen?

Heil: Ein Beispiel ist die Seelsorge in der Bundeswehr: Dort gibt es evangelische und katholische Militärseelsorge und seit einigen Jahren auch wieder Militärrabbiner. Und genauso sollte es künftig auch muslimische Seelsorge in der Bundeswehr geben. Das wird schon seit einigen Jahren gefordert; ich hoffe, dass es bald dazu kommt. Das wäre ein wichtiger Schritt und ein gutes Beispiel dafür, wie der Staat konstruktiv auf die wachsende religiöse Vielfalt reagieren kann.

Frage: Stichwort Muslime: Diese sind mittlerweile seit vielen Jahrzehnten Teil der deutschen Gesellschaft. Und trotzdem löst der einst vom damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff geprägte Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" teilweise immer noch Abwehrreflexe aus. Wie bewerten Sie das?

Heil: Christian Wulff hat sich mit diesem Satz große Verdienste erworben – obwohl er eigentlich nur eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen hat. Natürlich gehört der Islam zu Deutschland, ebenso wie die Muslime, die hier leben und im Übrigen inzwischen in großer Zahl deutsche Staatsbürger sind. Der Staat muss sich dieser Realität stellen. Dazu gehört auch, offen über Fundamentalismus im Islam und auch über Islamfeindlichkeit in unserer Gesellschaft zu sprechen. Ein Ort dafür kann die Islamkonferenz sein, über deren weiteren Fortgang wir uns in der Regierung bald verständigen sollten.

Frage: Durch die vielen Kirchenaustritte verändert sich auch die Stellung der Kirchen in der Gesellschaft. Welche Zukunft sehen Sie für die Kirchen – gesellschaftlich und politisch?

Heil: Die Kirchen sollten sich ihr gesellschaftspolitisches Engagement nicht verbieten lassen. Ich habe im Frühjahr auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover gesagt: "Eine stumme Kirche ist eine dumme Kirche." Auch mit weniger Mitgliedern bleiben die Kirchen für die Gesellschaft bedeutsam. Die Kirchen selbst müssen sich allerdings fragen, wie sie ihre Bindungskraft wieder stärken können. Das ist angesichts des jahrelangen Vertrauensverlustes jedoch ein Prozess, der nicht von heute auf morgen gelingt. Es braucht dafür tiefgreifende Veränderungsprozesse in den Kirchen.

Julia Klöckner
Bild: ©picture alliance/dpa/Swen Pförtner (Archivbild)

Mit ihrer Kritik an politischen Stellungnahmen der Kirchen hatte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner im Frühjahr eine kontroverse Debatte ausgelöst.

Frage: "Die Kirchen sollten sich ihr gesellschaftspolitisches Engagement nicht verbieten lassen" – damit spielen Sie vermutlich auf die Aussagen von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner an, die sich von den Kirchen mehr politische Zurückhaltung gewünscht hat.

Heil: Wenn Julia Klöckner mit ihren Aussagen gemeint hat, dass die Kirchen sich in politischen Diskursen nicht verzetteln sollten, kann man darüber diskutieren. Wenn sie den Kirchen allerdings vorschreiben wollte, wozu sie sich äußern dürfen und wozu nicht, ist das nicht legitim. Gerade in schwierigen Zeiten sind Christen dazu aufgefordert, kraftvoll ihre Stimme zu erheben. Aber natürlich sind auch Äußerungen von Kirchenvertretern nicht sakrosankt. Wer sich zu politischen Themen äußert, muss in der Demokratie auch Widerspruch aushalten. Wichtig ist aber, dass entsprechende Debatten stehts respektvoll geführt werden.

Frage: Welche Rolle spielen Glaube und Religion in Ihrem eigenen Leben?

Heil: Eine große. Das ist mir im Laufe meines Lebens immer klarer geworden. Geprägt wurde ich diesbezüglich vor allem von meiner Mutter, die eine engagierte evangelische Christin war. Ihre Erziehung und ihre Werte haben maßgeblich dazu beigetragen, dass ich mit 15 Jahren begonnen habe, mich politisch zu engagieren.

Frage: Gibt Ihr Glaube Ihnen mitunter bei politischen Entscheidungen, die Sie treffen müssen, Orientierung?

Heil: Ja, definitiv. Gerade in existenziellen Situationen kann der Glaube Kraft und Orientierung geben. Als junger Mensch war mir nicht bewusst, wie stark ich von meinem Glauben geprägt bin. Erst später ist mir diese Prägung bewusster geworden – vor allem bei der Frage von Krieg und Frieden. Als junger Mann war ich Teil der kirchlichen Friedensbewegung und habe den Kriegsdienst verweigert. Wenige Jahre später stand ich als frisch gewählter Bundestagsabgeordneter dann vor der Entscheidung, ob ich im Zuge der Balkankriege einem Auslandseinsatz der Bundeswehr zustimme oder nicht. Diese Entscheidung ist mir alles andere als leichtgefallen. Ich habe aber gelernt: Man ist nicht nur für das verantwortlich, was man tut, sondern auch für das, was man unterlässt.

Von Steffen Zimmermann