Wirbel um Stück über Missbrauchsskandal der katholischen Kirche

Der geplatzte Ödipus-Komplex am Theater in Osnabrück

Veröffentlicht am 02.08.2025 um 00:01 Uhr – Von Roland Juchem (KNA) – Lesedauer: 

Osnabrück ‐ Die Freiheit der Kunst ist ein heikles Feld. Zumal wenn in einem Theaterstück der Missbrauchsskandal der katholischen Kirche beackert wird. Die Absage des Stücks und der Rauswurf des Regieteams in Osnabrück sorgen deshalb für Wirbel.

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Kurz vor der Sommerpause Ende Juni kam es am Theater in Osnabrück zu einem Eklat. Die Produktion des geplanten Eröffnungsstücks für die neue Saison, "Ödipus Exzellenz", wurde abgesetzt, die Zusammenarbeit mit dem Regieteam beendet. Darstellungen der Gründe sowie Einschätzungen der Entscheidung von Intendant Ulrich Mokrusch gehen laut Medienberichten auseinander.

Vorlage der Inszenierung des klassischen Stoffs sollte die Bearbeitung des antiken Dramatikers Seneca sein. Doch statt um den mythologischen König von Theben sollte es um die Schuld der katholischen Kirche beim Umgang mit Missbrauch gehen. Regisseur Lorenz Nolting, Dramaturgin Sofie Boiten und der selbst von Missbrauch in der Kirche betroffene Karl Hauke wollten das Stück laut Ankündigung zum Spiegel einer Institution machen, die sich jahrzehntelang geweigert habe, hinzusehen.

Das Anliegen an sich, die Problematik im Ödipus-Mythos – wie verhält sich ein Herrscher, der mit seiner eigenen Schuld konfrontiert wird? – auf die katholische Kirche anzuwenden war den Äußerungen der Beteiligten zufolge unstrittig. "Die Geschichte des Königs Ödipus wird zum Spiegel einer Institution, die sich jahrzehntelang geweigert hat, hinzusehen und enthüllt die Mechanismen von Machtmissbrauch und seiner Verschleierung", heißt es auf der Website des Theaters, wo es über die Absage informiert.

„Das fand ich theatral unterkomplex, also künstlerisch nicht interessant.“

—  Zitat: Intendant Ulrich Mokrusch

Uneinigkeit gab es aber bei der geplanten Art der Inszenierung. Anders als meist üblich hatte das Team keine weitgehend fertige Vorlage, sondern erarbeitete das Stück als "work in progress". Dazu hatten die Theatermacher unter anderem um ein Gespräch mit Vertretern des Bistums Osnabrück gebeten. Sie sollten ihnen erklären, wie die Diözese mit Missbrauch umgegangen ist.

Das Regieteam sprach mit Generalvikar Ulrich Beckwermert und dem Ombudsmann für Betroffene im Bistum, Simon Kampe. Nach Angaben eines Bistumssprechers gab es zudem ein Treffen mit einem Mitarbeiter des Kirchengerichts, der im Schutzprozess gegen sexualisierte Gewalt und geistlichen Missbrauch eingesetzt ist. Auch seien Mitglieder der Monitoring-Gruppe im Schutzprozess beteiligt gewesen. Ebenso befasste sich das Team mit der von der Universität Osnabrück in den Jahren 2020 bis 2024 erstellten Studie zu sexualisierter Gewalt im Bistum. An deren Konzeption hatte Karl Hauke als Betroffener beratend mitgewirkt.

Grund für Absetzung: eine katholische Messe

Grund für die Absetzung war das Vorhaben, in dem Theaterstück eine katholische Messe zu zeigen. Laut NDR sprach Regisseur Nolting von einem klaren Verbot seitens des Intendanten Ulrich Mokrusch, "einen katholischen Gottesdienst oder Elemente der katholischen Liturgie im Kontext eines Stückes über sexualisierte Gewalt und deren Vertuschung innerhalb der Kirche auf der Bühne darzustellen." Der Intendant habe vorgegeben, Christen im Publikum schützen zu wollen.

Mokrusch hingegen kritisierte laut NDR vor allem, dass ein kompletter Gottesdienst nachempfunden werden sollte, der in einem theatralen Ausbruch des Bischofs münde. "Das fand ich theatral unterkomplex, also künstlerisch nicht interessant." Entscheidend sei aber der Eindruck gewesen, dass da zentrale Glaubensinhalte für einen theatralen Effekt benutzt würden. Nach der Lektüre der Skripte habe er angeboten, bei den Proben dabei zu sein. Das aber habe das Regieteam abgelehnt. Bei Nolting jedoch ließen das Verbot und weitere von Mokrusch getätigte Äußerungen Zweifel an der Neutralität des Intendanten aufkommen. Unter anderem habe dieser gesagt, er wolle nach dem Stück "noch einen Kaffee trinken können mit dem Generalvikar".

Der Osnabrücker Dom
Bild: ©stock.adobe.com/Yannic Niedenzu (Archivbild)

Das Bistum Osnabrück wies mit Nachdruck den Verdacht zurück, man habe bei der Theaterleitung auf eine veränderte Inszenierung oder gar Absetzung gedrungen.

Mit Nachdruck wies das Bistum den Verdacht zurück, man habe bei der Theaterleitung auf eine veränderte Inszenierung oder gar Absetzung gedrungen. Vielmehr, so der Bistumssprecher, habe das Theater dem Bistum irgendwann mitgeteilt, dass das Stück abgesetzt sei. Die "Neue Osnabrücker Zeitung" zitierte Generalvikar Beckwermert mit den Worten: "Die Freiheit des Theaters ist ein hohes Gut im Sinne der Meinungsfreiheit. Theater und Dom liegen fünfzig Meter auseinander, aber aufs Programm nehmen wir keinen Einfluss." So dumm, gerade bei dem Thema aufs örtliche Theater Einfluss nehmen zu wollen, sei die katholische Kirche nun wirklich nicht mehr, kommentierte ein Beobachter.

Gegenseitige Aufforderungen und Unterstellungen

Die Debatte um die geplante Inszenierung einer Messe eskalierte laut NDR durch weitere gegenseitige Aufforderungen und Unterstellungen. Dass eine Intendanz eingreift, damit ein geplantes Stück noch funktionierend inszeniert wird, kommt an Schauspiel- und Opernhäusern durchaus vor. Die Entlassung eines ganzen Regieteams hingegen ist äußerst selten. In Leserkommentaren zur Berichterstattung halten sich Verständnis und Kritik an der Entscheidung die Waage.

Nun plant das Theater Ende August eine Sonderveranstaltung. Darin werde es um sexuelle Machtausübung in der katholischen Kirche gegenüber Minderjährigen gehen. Damit wolle man Gelegenheit bieten, die Perspektive von Betroffenen vorzustellen. Eröffnet wird die neue Schauspiel-Saison in Osnabrück mit der erfolgreichen Komödie "Kunst" der französischen Schriftstellerin Yasmina Reza. Die Aufführung wird dafür vom kleineren Emma-Theater ins große Haus verlegt.

Von Roland Juchem (KNA)