Standpunkt

Eine lernende Kirche ist möglich

Veröffentlicht am 30.09.2025 um 00:01 Uhr – Von Valerie Judith Mitwali – Lesedauer: 

Bonn ‐ Ein Schritt vor – zwei Schritte zurück? Nach einer Zeit mehr oder weniger begründeter Hoffnungen finden sich viele Gläubige im enttäuschten Alltagstrott wieder. Kann und darf sich Kirche überhaupt ändern? Ja, argumentiert Valerie Judith Mitwali.

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Nach Papstwahl und DBK-Herbstvollversammlung scheint sich (mal wieder) Katerstimmung im Katholizismus breit zu machen. Im gesamten Katholizismus? Nein, eine ungleich zusammengesetzte Gruppe aus sich entweder besonders kirchentreu oder besonders abgeklärt verstehenden Katholiken hat für die enttäuschten Glaubensgeschwister nur ein müdes Lächeln und die Frage übrig: "Was habt ihr denn erwartet?" Bekanntermaßen will, darf und kann das dahinterstehende Lehramt seine Positionen nicht ändern – oder etwa doch? Mit Blick auf die Frage nach dem Dürfen und Können hat Theologie deutlich daran zu erinnern, dass Auseinandersetzungen um Glaubensinhalte keine Krise, sondern vielmehr die angemessene Form von Kirche ist.

Für alle, denen das zu wohlfeil-abstrakt klingt, sei ein Blick in die jüngste Vergangenheit empfohlen. 2018 änderte Papst Franziskus Aussagen des Katechismus zur Todesstrafe: Es gebe erstens "ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass die Würde der Person auch dann nicht verloren geht, wenn jemand schwerste Verbrechen begangen hat" und zweitens seien "wirksamere Haftsysteme entwickelt" worden. Daher lehre die Kirche "im Licht des Evangeliums", dass die Todesstrafe grundsätzlich unzulässig ist und setze sich gar politisch "für deren Abschaffung in der ganzen Welt ein".

Der Vatikanstaat selbst schaffte die Todesstrafe übrigens erst 1969 offiziell ab – aus kirchlicher Sicht also vorgestern. Seitdem aber veränderte das Lehramt seine Position sowohl aufgrund seiner Deutung der gesellschaftlichen Wirklichkeit ("wirksamere Haftsysteme") als auch des menschlichen Wesens ("Würde der Person"). Die Verwerfung der Todesstrafe erfolgte nicht aus strategischen Gründen, sondern wurde explizit als Weiterentwicklung im "Licht des Evangeliums" verstanden. Auch zu anderen Themen wie Beziehungsethik, Geschlechterrollen und Menschenrechten liegen veränderte gesellschaftlichen Voraussetzungen und anthropologische Erkenntnisse vor. Diese darf und kann das Lehramt ernstnehmen. Manche würden gar anfügen: muss.

Von Valerie Judith Mitwali

Die Autorin

Valerie Judith Mitwali promoviert an der Ruhr-Universität Bochum in systematischer Theologie.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.