Der Schweizer gibt Einblicke in seine Arbeit als Kurienkardinal

Kardinal Koch: Zum Willen des Herrn "gibt es keine Alternative"

Veröffentlicht am 07.10.2025 um 00:01 Uhr – Von Jasmin Lobert – Lesedauer: 

Rom/Bonn ‐ Seit 15 Jahren leitet Kardinal Kurt Koch das vatikanische Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen. Im katholisch.de-Interview spricht der 75-Jährige über Fortschritte und Hindernisse im ökumenischen Dialog, die Vision von Papst Leo – und warum er trotz allem auf die eine Kirche hofft.

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Seit 2010 steht der Schweizer Kardinal Kurt Koch an der Spitze des vatikanischen Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen. In dieser Rolle ist er zentraler Ansprechpartner im Dialog mit orthodoxen, reformatorischen und freikirchlichen Gemeinschaften weltweit. Im Gespräch mit katholisch.de blickt er auf Erfolge und Rückschläge der vergangenen Jahre, erklärt, welche Vision Papst Leo XIV. für die Einheit der Christen mitbringt – und warum er trotz vieler Hindernisse überzeugt ist, dass die Sehnsucht nach Einheit weiterhin zum Kern des Glaubens gehört.

Frage: Herr Kardinal, Sie arbeiten im Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen. Ihr Ziel ist es, alle Christen unter dem Dach einer Kirche zu vereinen. Ist das überhaupt realistisch?

Koch: Die entscheidende Frage ist, ob es notwendig ist. Die Einheit der Christen entspricht dem Willen des Herrn, der eine Kirche gewollt hat. Im hohepriesterlichen Gebet im 17. Kapitel des Johannesevangeliums betet Jesus: "Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast." Das ist der Wille des Herrn, und dazu gibt es keine Alternative.

Frage: Wie sieht denn Ihre tägliche Arbeit aus, um dieses Ziel zu erreichen?

Koch: Die Aufgabe unseres Dikasteriums ist vor allem der Dialog der Wahrheit. Wir sprechen mit den anderen christlichen Kirchen über jene theologischen Fragen, die uns in der Geschichte auseinandergebracht haben. Wir suchen nach Gemeinsamkeiten, versuchen Unterschiede so wahrzunehmen, dass sie nicht mehr kirchentrennend sind. Dazu braucht es auch den Dialog der Liebe. Denn ohne die Pflege freundschaftlicher Beziehungen kann man keinen theologischen Dialog führen.

Frage: Mit Papst Leo hat die Kirche seit Kurzem ein neues Oberhaupt. Hatte die Wahl des neuen Papstes bereits Auswirkungen auf Ihre Arbeit?

Koch: Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich eine grundlegende Kontinuität, weil alle Päpste seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein offenes Herz für die Ökumene hatten. Natürlich hat jeder Papst besondere Akzente gesetzt, aber alle haben die Einheit der Christen zu einem ihr Hauptanliegen gemacht. Dies trifft auch bei Papst Leo zu.

Frage: Welche Haltung bringt speziell Papst Leo gegenüber der Einheit der Christen mit?

Koch: Papst Leo hat, als er Bischof geworden ist, das Motto "In illo uno unum" gewählt. Ein Zitat, das aus einer Predigt des heiligen Augustinus stammt. Das bedeutet: Wir sind zwar viele und wir sind verschieden, aber wir sind eins in Christus. Er hat zwar dieses Leitwort für seinen bischöflichen Dienst gewählt, aber es gilt genauso für die ökumenische Verantwortung. Seine ökumenische Vision ist deshalb stark christozentrisch, auf Christus ausgerichtet.

Kardinal Kurt Koch (l.) und Papst Leo XIV. beim Treffen mit Teilnehmern eines ökumenischen Symposiums zum Konzil von Nizäa am 7. Juni 2025 im Vatikan.
Bild: ©KNA/Vatican Media/Romano Siciliani (Archivbild)

Kardinal Kurt Koch (l.) und Papst Leo XIV. beim Treffen mit Teilnehmern eines ökumenischen Symposiums zum Konzil von Nizäa am 7. Juni 2025 im Vatikan.

Frage: Sie leiten das Dikasterium seit 15 Jahren. Auf welche Fortschritte, die in dieser Zeit im ökumenischen Dialog gemacht wurden, schauen Sie stolz zurück?

Koch: Wir sind dankbar für alles, was möglich geworden ist, zum Beispiel im Dialog mit den orthodoxen Kirchen. Hier ist 2007 mit der Vollversammlung in Ravenna ein großer Schritt gemacht worden. Damals war ich bereits Mitglied der Kommission, aber noch nicht Präfekt. Auf der Versammlung wurde festgehalten, dass die Kirche in einer wechselseitigen Abhängigkeit von Synodalität und Primat lebt. Ein wesentlicher Schritt bestand darin, dass Katholiken und Orthodoxe sich darauf einigten, dass die Kirche auf allen Ebenen – lokal, regional oder universal – einen Ersten braucht. Auf dieser Grundlage haben wir im vergangenen Jahr auch unser Dokument "Der Bischof von Rom" publiziert. Darin stellen wir die Frage, wie die Praxis des Petrusamtes aussehen könnte, damit es nicht mehr ein Hindernis, sondern eine Hilfe für die ökumenische Einheit ist. Dieses Dokument haben wir an alle christlichen Kirchen verschickt und warten nun auf ihre Reaktionen.

Frage: Wie steht es um Misserfolge? Gibt es Dinge, die Sie heute anders machen würden?

Koch: Das größte Problem, das mich beschäftigt, ist, dass wir noch keine gemeinsame Vision entwickeln konnten, was denn eigentlich Einheit ist, worin die Einheit besteht. Was ist das eigentliche Ziel der Ökumene? Da gibt es sehr verschiedene Zielvorstellungen.

Frage: Und die wären?

Koch: Die katholische Vision geht dahin, dass die Ökumene in erster Linie eine Frage des Glaubens ist. Wir müssen die Einheit im apostolischen Glauben wiederfinden, wie er in der Taufe dem einzelnen anvertraut wird. Insofern ist die Taufe und ihre gegenseitige Anerkennung das Fundament der christlichen Ökumene. Darauf folgt die Suche nach der Einheit in den Feiern des Glaubens, in den Sakramenten und in den kirchlichen Ämtern. Viele Kirchen, die aus der Reformation hervorgegangenen sind, haben dagegen eine andere Vorstellung von Einheit: Sie sagen, dass sich alle kirchlichen Realitäten gegenseitig als Kirchen anerkennen sollen und dass die Summe dieser Kirchen gleichsam die eine Kirche wäre. Über diese verschiedenen Vorstellungen von Einheit müssen wir weiter diskutieren.

Frage: Zuletzt stellte die Erklärung "Fiducia Supplicans" den ökumenischen Dialog vor große Herausforderungen. Verschiedene Ostkirchen lehnten die Segnung homosexueller Paare ab. Wie steht es aktuell um die Beziehung zu diesen Kirchen?

Koch: Im vergangenen Jahr hatten wir eine Dialog-Versammlung mit den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen hier in Rom. Wir wollten das 20-jährige Jubiläum des Dialogs feiern und inhaltlich über Maria reden. Aber die Orientalisch-orthodoxen wollten nur über "Fiducia Supplicans" diskutieren. Sie waren davon überzeugt, dass sie den Dialog nicht weiterführen können, wenn die katholische Kirche so etwas lehrt. In diesem Jahr hatten wir getrennte Sitzungen, die Orientalen blieben unter sich und wir unter uns, um zu schauen, wie es weitergehen kann. Ich bin davon überzeugt, dass der Dialog im nächsten Jahr wieder aufgenommen werden kann.

Linktipp: Fiducia Supplicans

Mitte Dezember 2023 hat der Vatikan überraschend die Erklärung "Fiducia supplicans" veröffentlicht. Die Kernaussage: Auch Paare in "irregulären Situationen" können gesegnet werden. Seitdem wird das Papier kontrovers diskutiert.

Frage: In diesem Jahr feiern wir das 1.700-jährige Jubiläum des Konzils von Nizäa (325). Es war das erste große Treffen aller christlichen Kirchen der Antike. Wie stehen die Chancen für ein solches Treffen in der heutigen Zeit?

Koch: Es ist eine wichtige Gelegenheit, dass alle christlichen Kirchen gemeinsam dieses Konzils gedenken und das Christusbekenntnis, das damals formuliert worden ist – dass Jesus Christus wesensgleich mit dem Vater als sein Sohn ist – gemeinsam zu erneuern. Dies wäre meines Erachtens ein bedeutender Schritt, einander im Glauben näher zu kommen.

Frage: Skeptische Stimmen behaupten, dass beim ökumenischen Dialog viel geredet wird, man aber kaum konkrete Ergebnisse sieht. Was erwidern Sie auf diese Kritik?

Koch: Dass das so nicht stimmt. Ich kann natürlich verstehen, wenn jüngere Generationen den Eindruck haben, dass sich nicht viel getan hat. Wenn man aber bedenkt, was in den letzten 50 bis 60 Jahren möglich geworden ist, dann darf man nicht so negativ sein, sondern sollte sagen können: Das Glas ist zumindest halb voll und nicht halb leer.

Frage: Was ist denn in den letzten 60 Jahren alles möglich geworden?

Koch: Dass wir überhaupt eine Beziehung zueinander haben, dass wir uns nicht als Gegner oder Häretiker, sondern als getrennte Brüder und Schwestern betrachten, ist ein Erfolg. Wir versuchen uns in Glaubensfragen näher zu kommen, was auch vielfach gelungen ist. Ich denke etwa im Dialog mit den Lutheranern an die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" im Jahre 1999 in Augsburg. Es ist ein Meilenstein gewesen, dass über diese Frage, an der die Einheit in der Reformation zerbrochen ist, ein Konsens gefunden werden konnte. Ohne diese Erklärung wäre das gemeinsame Gedenken der Reformation in Lund 2016 mit der Anwesenheit des Papstes wohl kaum möglich gewesen. Und 2030 wird ein weiteres wichtiges Jubiläum bevorstehen.

Frage: Und das wäre?

Koch: Dann feiern wir 500 Jahre Augsburger Bekenntnis. Dieses Bekenntnis ist damals der letzte Versuch gewesen, die Einheit zu retten, indem die sogenannt Alt- und Neugläubigen sich zu demselben Glauben bekannt haben. Historisch ist es zwar zur Spaltung gekommen. Das Augsburger Bekenntnis ist aber kein Dokument der Spaltung, sondern der Einheit. Das gemeinsame Begehen dieses Jubiläums im Jahre 2030 kann eine gute Basis für weitere Schritte sein.

Frage: Welche Entwicklungen würden Sie sich mit Blick auf die Ökumene in den ja kommenden zehn Jahren wünschen?

Koch: Ich hoffe, dass sich alle Christen der Notwendigkeit der Ökumene wieder neu bewusstwerden. Denn die Suche nach der Einheit gehört wesentlich zum christlichen Glauben. Ich habe heute manchmal den Eindruck, dass man sich mit der heutigen Situation zufriedengibt, dass man geschwisterliche Beziehungen miteinander pflegt, aber weiterhin in getrennten Kirchen lebt. Um dem Ziel der Einheit näher zu kommen, braucht es die beiden Grundtugenden der Ökumene: die Leidenschaft für die Einheit und die notwendige Geduld.

Von Jasmin Lobert