Ehemaliger Außenminister Hans-Dietrich Genscher ist tot

"Als Christ bin ich vorbereitet"

Veröffentlicht am 01.04.2016 um 12:46 Uhr – Lesedauer: 
Politik

Bonn ‐ Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher ist tot. Er starb in der Nacht zum Freitag an Herz-Kreislauf-Versagen. Katholisch.de hat interessante Zitate Genschers zu Fragen der Religion und des Lebens zusammengestellt.

  • Teilen:

Als Außenminister trieb Genscher die Ausgleichspolitik zwischen Ost und West maßgeblich voran. Am 30. September 1989 überbrachte er den DDR-Flüchtlingen in Prag die Botschaft, dass ihre Ausreise vom Westen bewilligt worden sei. Diesen Tag bezeichnete er später als den glücklichsten seiner politischen Arbeit.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, würdigte Genscher als Visionär der deutschen Außenpolitik und vorbildlichen Politiker. Er sei ein überzeugter Europäer gewesen, "der sich immer leiten ließ von christlichen Grundsätzen", erklärte Marx am Freitagnachmittag in Bonn. Die Bischöfe seien ihm "dankbar für seinen guten und vertrauensvollen Dialog mit der katholischen Kirche in Deutschland". Marx hob die zahlreichen Auftritte des Verstorbenen bei Katholikentagen hervor, ebenso das Engagement für die kirchlichen Hilfswerke, die Genscher als Bundesaußenminister "immer positiv begleitet" habe.

"Mit großer Trauer" hat auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) auf den Tod des früheren Bundesministers reagiert. Die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer, würdigte Genscher als "europäischen Brückenbauer", dessen Handeln stets auch durch seinen christlichen Glauben geprägt gewesen sei. "Für ihn war der Dialog zwischen Kirchen und Politik ein wichtiger Teil der gesellschaftlichen Wertediskussion. Persönlich fühlte er sich von seinem Glauben im Leben getragen", sagte sie am Freitag in Berlin.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, erinnerte an Genschers Einsatz für die Verständigung zwischen Ost und West. Für die jüdische Gemeinde werde zudem sein "Bemühen unvergessen bleiben, während der Olympischen Spiele 1972 die israelischen Geiseln aus der Hand der palästinensischen Terroristen zu befreien". Genscher hatte sich damals als Geisel angeboten.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat seinen verstorbenen Vorgänger als "großen Deutschen und großen Europäer" gewürdigt. "Hans-Dietrich Genscher hat in seinem langen und bewegten Leben buchstäblich Geschichte geschrieben: die Geschichte unseres Landes, Deutschland, und Geschichte in Europa. Sein Platz in den Geschichtsbüchern ist ihm gewiss", sagte Steinmeier am Freitag bei einem Besuch in Tadschikistan. "Ein großer Deutscher und ein großer Europäer ist heute von uns gegangen." (bod/jml/dpa/KNA)

01.04.2016, 14.40 Uhr: ergänzt um Statement der EKD

01.04.2016, 18.00 Uhr: ergänzt um Statement von DBK und Israelitischer Kultusgemeinde

Hans-Dietrich Genscher zu Fragen der Religion und des Lebens

Angst vor dem Tod: "Ich bin Christ. Aber in meinem Alter beschäftigt man sich zwangsläufig damit - und eher mehr als weniger."
am 10. Dezember 2015 im Interview der "Bunten"

Dankbarkeit: "Ich habe nie mit meinem Schicksal gehadert, was ja auch heißt, nie mit Gott gehadert - ihm aber immer wieder gedankt, er war stets gnädig mit mir."
am 12. Mai 2011 im "Zeit"-Magazin

Lebensfreude: "Der Tod beschäftigt mich nicht."
am Ostermontag, 29. März 2013, bei NDR Kultur

Krankheit: "Meine schwächste Zeit machte mich stark."
am 12. Mai 2011 im "Zeit"-Magazin über eine Lungentuberkulose, die Genscher mit 19 Jahren erlitt

Gesundheit: "Ein gütiger Gott und fantastische Ärzte haben mir eine neue Lebenschance eröffnet. Ich bin dafür unendlich dankbar."
am 11. Mai 2012 in der ARD-Sendung "Beckmann" über seine kurz zuvor erfolgte Herzoperation

Alter: "Ich nehme das so, wie es ist. Ich beklage mich nicht, sondern erfreue mich jeden Tag aufs Neue, es bis hierher gebracht zu haben."
am 21. August 2015 im Interview des "Süddeutsche Zeitung"-Magazins

Endlichkeit: "Ich bin mir der Endlichkeit des Lebens bewusst."
am Ostermontag, 29. März 2013, bei NDR Kultur

Papst Johannes Paul II.: Bei zahlreichen Begegnungen "hat sich ein persönliches Verhältnis entwickelt, das zwischen dem Oberhaupt der katholischen Kirche und einem deutschen Politiker, der Liberaler ist und Protestant, keineswegs selbstverständlich ist".
am 6. Mai 2013 im Interview der "Märkischen Oderzeitung"

Fremdenfeindlichkeit: "Immer wenn ich eine Meldung über einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim lese, stehen vor mir die Bilder meiner Kindheit: brennende Synagogen und zerstörte jüdische Ladengeschäfte."
am 6. August 2015 im Interview der "Zeit"

Europäische Verantwortung: "Yes, we do, yes, we can - wir können das."
am 14. Oktober 2009 an der Universität Leipzig zur globalen Verantwortung der Europäischen Union

Historischer Moment: "Als ich dann auf dem Balkon stand, war es dunkel, das Licht der Kamera blendete mich, so dass ich gar nichts mehr sah. Ich hörte nur, dass da draußen die Menschen waren und habe in die Finsternis hinein diesen Satz gesagt."
am 30. September 2014 in der "Bild"-Zeitung über den Abend in Prag, an dem er genau 25 Jahre zuvor den DDR-Flüchtlingen mitteilte, dass ihre Ausreise in den Westen bewilligt worden sei

Nachrufe: "Ein gutes Wort, das man selbst noch hören kann, zählt mehr als der beste Nachruf."
am 30. Januar 1946 bei einer Feierstunde der FDP