Weder "Papst der Deutschen" noch "Papst der Juden"

Forscher stellen Zwischenergebnisse aus Archiv Pius' XII. vor

Veröffentlicht am 17.06.2021 um 08:57 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Seit langem steht Papst Pius XII. in der Kritik, nicht entschieden genug gegen den Holocaust protestiert zu haben. Neue Erkenntnisse sollte es mit der Öffnung der Vatikanarchive im März 2020 geben. Historiker stellten nun Zwischenergebnisse vor.

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Zwischenergebnisse zur Forschung über Papst Pius XII. (1939-1958) haben Historiker am Mittwochabend in Rom vorgestellt. Rund ein Jahr nach Öffnung der vatikanischen Archive zu dessen Pontifikat lasse sich schon sagen, dass weder das Klischee vom "Papst der Deutschen" noch das vom "Papst der Juden" zutreffe, so die Historikerin Nina Valbousquet von der Ecole francaise in Rom. Um ein Pontifikat zu beurteilen, müsse die Forschung über die jeweilige Person des Papstes hinausschauen und den Apparat des Vatikan betrachten.

Mit der Archivöffnung Anfang März 2020 sei dies nun gut möglich, so Valbousquet. So habe etwa der damalige Nuntius im besetzten Frankreich die von den Deutschen erlassenen Judengesetze in weiten Teilen begrüßt. Damit würde, so Nuntius Valeri, der schädliche Einfluss dieses Volkes zurückgedrängt, schrieb er an das Staatssekretariat.

Dagegen hätten etwa ein einfacher Ordensmann oder auch Bischof Pierre-Marie Theas von Montauban das weitgehende Schweigen von Kirchenvertretern zu den Deportationen kritisiert. Der katholische Philosoph Jacques Maritain schrieb 1945 an das Staatssekretariat, nach Kriegsende könne der Papst über die Gräuel der Kriegszeit frei sprechen. Im Antwortbrief vom 19. Juli 1945 hieß es, Pius XII. habe doch oft genug auf das Unrecht an Menschen, die wegen ihrer Rasse oder ihres Glaubens verfolgt wurden, hingewiesen. Die Frage des Schweigens müsse man im damaligen Kontext sehen, so Valbousquet.

Antwort auf diese "so bedeutsame Frage" brauche noch Zeit

Nach Ansicht von Simon Unger-Alvi vom Deutschen Historischen Institut in Rom braucht eine differenzierte Antwort auf diese "so bedeutsame Frage" noch Zeit. Dass der Papst aus Briefen sowie von Juden in Rom, die in Kirchen und Klöstern Zuflucht fanden, informiert war, sei inzwischen klar. Bei dem von der Deutschen und der Französischen Vatikan-Botschaft organisierten Gespräch trugen Valbousquet, Unger-Alvi wie auch die italienische Historikerin Lucia Ceci Ergebnisse eines vorausgegangenen Fachkongresses vor.

Unger-Alvi wies auf die Rolle des Pontifikats Pius' XII. bei der europäischen Einigung hin. Während Frankreich etwa ein neutrales entwaffnetes Deutschland favorisierte, habe sich der Heilige Stuhl im Sinne Konrad Adenauers klar für die Westbindung der Bundesrepublik eingesetzt. Das Bündnis von CDU und Vatikan sei etwa eine Grundlage der demokratischen Grundordnung und sozialen Marktwirtschaft gewesen. Ceci erwartet weitere Forschungsimpulse auch durch Historiker aus anderen Kontinenten sowie einen Generationswechsel in ihrer Zunft. Dies gelte insbesondere für die Rolle der Kirche unter Pius XII. bei der Entkolonialisierung. Gleichzeitig warnte sie vor weiterem "Sensationalismus". Dieser habe eine differenziertere Betrachtung erschwert und andere wichtige Aspekte des Pontifikats von Eugenio Pacelli überdeckt.

Pius XII. steht seit langem in der Kritik, zum Holocaust geschwiegen und nicht entschieden genug gegen die NS-Verbrechen protestiert zu haben. Der im vergangenen Jahr verstorbene deutsche Schriftsteller Rolf Hochhuth löste 1963 mit der Veröffentlichung seines Theaterstücks "Der Stellvertreter" über Pius XII. eine anhaltende Kontroverse über den Papst aus. Zwei Wochen vor Öffnung der Vatikanarchive waren Forderungen laut geworden, das Seligsprechungsverfahren für den Pontifex zu stoppen. (tmg/KNA)