Vor 14 Jahren erschien "Summorum Pontificum"

Wie der Papst die Feier der vorkonziliaren Messe einschränken könnte

Veröffentlicht am 14.07.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Fans der vorkonziliaren Messform sind in Aufruhr, denn Gerüchten zufolge könnte Papst Franziskus die Feier dieser Liturgie einschränken. Der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier zeigt im katholisch.de-Interview Möglichkeiten auf – und erklärt einen päpstlichen Winkelzug.

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Seit fast 15 Jahren vereinfacht das Motu proprio "Summorum pontificum" von Benedikt XVI. (2007) die Feier der Messe nach den Messbüchern vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65). Vor allem in den USA und in Frankreich hat sich seither eine kleine Anhängergruppe gebildet, die die Alte Messe der ordentlichen Form der Liturgiereform von 1969 vorzieht. Laut einer Umfrage feiert etwa ein Prozent aller Priester weltweit diese außerordentliche Form der Messe. Nun gibt es Gerüchte, dass die Feier der vorkonziliaren Form wieder eingeschränkt werden könnte. Im Interview mit katholisch.de schaut der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier auf die Zusammenhänge von "Summorum pontificum" und leitet daraus Möglichkeiten für die Zukunft ab.

Frage: Herr Bier, "Summorum pontificum" hat die Feier der vorkonziliaren Messe einfacher möglich gemacht. Wie ging das?

Bier: Die Basis ist das Dokument selbst. Das ist ein Motu proprio. Papst Benedikt XVI. hat damit "aus eigenem Antrieb" (das bedeutet die wörtliche Übersetzung von "Motu proprio") ein Gesetz erlassen, wonach das auf Papst Pius V. zurückgehende Messbuch von 1570 in der Fassung von Papst Johannes XXIII. aus dem Jahr 1962 wieder benutzt werden darf.

Dieses alte Missale Romanum war eigentlich von Paul VI. 1969 im Nachgang des Zweiten Vatikanischen Konzils abgeschafft worden, aber schon 1984 hatte Johannes Paul II. die Feier nach dem Missale von 1962 in Ausnahmefällen erlaubt. Es handelte sich um eine Möglichkeit für einzelne Fälle, in denen der Ortsbischof vom Papst ermächtigt war, Gläubigen, die das wünschten, unter bestimmten Bedingungen diese Form der Messfeier zu ermöglichen. Das ist auch immer wieder genutzt worden. Benedikt XVI. hat dann 2007 aus dieser Ausnahme eine generelle Zulässigkeit gemacht.

Frage: War die Entscheidung von Benedikt XVI. denn korrekt? Denn Sie haben ja erwähnt: Die Messform von 1570/1962 wurde 1969 abgeschafft.

Bier: Paul VI. hat das Missale von 1969 eingeführt und in diesem Kontext festgestellt, dass damit das Messbuch von 1962 nicht mehr benutzt werden darf. Da hat er sich auch nach der Ansicht der allermeisten Kanonistinnen und Kanonisten relativ klar ausgedrückt: Er setzt eine Regelung ein und damit alle vorhergehenden Regelungen außer Kraft. Das alte Messbuch war nicht mehr gültig, es durfte nicht mehr verwendet werden – das neue wurde an seine Stelle gesetzt.

Benedikt XVI. hat jedoch im ersten Artikel von "Summorum pontificum" festgestellt, dass das 1969 promulgierte Messbuch zwar die ordentliche (also übliche) Ausdrucksform der "lex orandi" (Gesetzmäßigkeit des Betens) der katholischen Kirche sei, dass aber das Messbuch von 1570/1962 als außerordentliche Ausdrucksform dieser "lex orandi" zu gelten habe. Das war überraschend, denn in der Apostolischen Konstitution zur Einführung des Missale Romanum von 1969 schien Papst Paul VI. in eindeutiger Wiese eine Derogationsformel zu formulieren, also eine Wendung zur Außerkraftsetzung des bisherigen Messbuchs. Papst Benedikt XVI. hat aber erklärt, dass dieser entstandene Eindruck nicht zutreffend sei, sondern dass das Messbuch von 1962 niemals abgeschafft worden sei.

Warum er so vorging, ist nicht ganz klar. Er hätte einfach feststellen können, dass das vorkonziliare Messbuch zwischenzeitlich nicht in Geltung war und nun wieder zugelassen würde – das wäre in Kontinuität mit der Bestimmung von Paul VI. gewesen. Das hätte allerdings als Korrektur eines Amtsvorgängers verstanden werden können. Benedikt XVI. hat in anderer Weise auf Kontinuität gesetzt, indem er erklärt hat, der alte Ritus sei niemals abgeschafft worden. Er hat sich also darauf berufen, eine nie unterbrochene Tradition lediglich fortzusetzen.

Frage: Klingt nach einem päpstlichen Winkelzug.

Bier: So könnten Sie das nennen – obwohl man das im Vatikan sicher nicht gerne hört.

Bild: ©Privat

Georg Bier ist Professor für Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte an der Universität Freiburg.

Frage: Mit diesem Argument könnte man dann aber ja jedes Messbuch der letzten Jahrhunderte willkürlich wieder in Kraft setzen.

Bier: Wenn man das auf die Spitze treiben wollte, könnte man das sicher tun – dazu gibt es allerdings keinen Bedarf. "Summorum pontificum" ist ja eine Reaktion auf Geschehnisse nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil: Die allermeisten Gläubigen haben die neue Liturgieform angenommen und das ganz problemlos. Es gab aber einzelne Gruppierungen, die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und seinen Beschlüssen grundsätzlich fremdelten – auch damit, dass sie die Messe nicht mehr im vorkonziliaren Ritus feiern durften. Deswegen gab es ja auch schon in den 1980ern diese Bestrebung, Ausnahmeerlaubnisse zu erhalten. Diese Gruppen haben dann aber weiter versucht, beim Papst für die vorkonziliare Form zu werben und ihren Einfluss geltend zu machen, sodass aus dieser Ausnahmeerlaubnis etwas Reguläres, Regelmäßiges wurde – und das haben sie erreicht. Der Papst hat hier also auf partielle Akzeptanzprobleme des Messbuchs von 1969 reagiert.

Frage: Nun gibt es Anzeichen für Pläne, "Summorum pontificum" wieder einzuschränken. Papst Franziskus werden die Überlegungen in der Hinsicht auf Kontinuität sicher auch beschäftigen. Welche Wege gäbe es, die vorkonziliare Form wieder einzuschränken?

Bier: Der Papst kann ein neues Gesetz erlassen und darin die Möglichkeiten der Messfeier im vorkonziliaren Ritus einschränken. "Summorum pontificum" hat aus der Ausnahmeerlaubnis ein allgemeines Recht der Gläubigen gemacht. Bischöfe müssen das ermöglichen, bei Bedarf auch mit Unterstützung des Apostolischen Stuhls. Die außerordentliche und die ordentliche Form des Ritus sind zwar nicht völlig gleichberechtigt – denn Messen im ordentlichen Ritus muss es immer geben – aber eine besondere Erlaubnis ist derzeit nicht notwendig, beide bestehen selbstverständlich nebeneinander.

Nun wäre an vielen Stellen eine Einschränkung möglich: Der Papst könnte wieder eine Erlaubnispflicht einführen oder der Feier der außerordentlichen Form Bedingungen auferlegen, die als Einschränkung verstanden werden könnten. Grundsätzlich hätte der Papst auch die Möglichkeit, diese Form der Messe wieder völlig abzuschaffen. Der Papst als oberster Gesetzgeber der Kirche kann verfügen, was immer er für die Kirche am zuträglichsten hält. Er wird "Summorum pontificum" aber wahrscheinlich nicht mehr ganz zurücknehmen, weil die Befindlichkeiten einzelner Gruppen, die zum Erlass dieses Motu proprio geführt haben, ja nicht verschwunden sind. Der Papst wird die Anhänger der vorkonziliaren Form vermutlich nicht verstimmen wollen. Zudem lebt Benedikt XVI. ja auch noch, ihm wird er nur ungern offen widersprechen wollen. Kontinuität war allen Päpsten der letzten Jahrzehnte sehr wichtig, auch Papst Franziskus wird die Kontinuität betonen, wie er es auch bei "Amoris laetitia" gemacht hat, wodurch die kirchliche Lehre nach päpstlichem Verständnis nicht verändert, sondern lediglich weiterentwickelt wurde. Es wird also allenfalls moderate Einschränkungen geben – der Papst hat prinzipiell aber alle Möglichkeiten.

Von Christoph Paul Hartmann