Gerüchte um ein Motu Proprio von Papst Franziskus verdichten sich

Traditionalisten in Sorge: Kommt das Aus für die Alte Messe?

Veröffentlicht am 07.07.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Seit Wochen brodelt die traditionalistische Gerüchteküche: Immer neue Zitate werden herumgereicht, die auf ein Aus für die Feier der Alten Messe auf Geheiß von Papst Franziskus hindeuten. Was ist dran an den Gerüchten? Noch ist nichts bestätigt – doch die Indizien häufen sich.

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Die Freunde der Alten Messe sind in heller Aufregung: Droht 14 Jahre nach der Veröffentlichung des Motu Proprio "Summorum Pontificum", mit dem Papst Benedikt XVI. die Feier der Messe nach der Liturgie von 1962 wesentlich vereinfacht hatte, nun eine Rücknahme? Soll die Feier des römischen Ritus in seiner "außerordentlichen Form", wie sie das Motu Proprio nannte, wieder eingedämmt werden? "Die Summorum-Pontificum-Galaxie bereitet sich auf den Widerstand vor!", heißt es bei der französischen Initiative  "Paix Liturgique", und bei einer deutschen Gruppierung steht nicht weniger martialisch "Die Feinde von Summorum Pontificum wollen den Krieg!" als Überschrift.

Offizielle und eindeutige Aussagen gibt es dazu bisher nicht – aber einige Indizien und Ereignisse, die zusammengelegt die Vermutung eines anstehenden päpstlichen Dokuments plausibel erscheinen lässt, mit dem das Nebeneinander der Formen gestoppt werden soll: der ordentlichen Form, wie sie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) in der Liturgiereform Papst Pauls VI. festgelegt wurde, und der außerordentlichen Form, die auf die Vereinheitlichung der Liturgie des Tridentinischen Konzils (1545–1563) zurückgeht.

Stichwort: Summorum Pontificum

Mit dem Motu Proprio "Summorum Pontificum", das am 7. Juli 2007 veröffentlicht wurde und am 14. September desselben Jahres in Kraft trat, hatte Papst Benedikt XVI. (2005–2013) die Feier der älteren Form der Liturgie wieder weitgehend freigegeben. Seitdem kennt die katholische Kirche offiziell zwei Formen des römischen Ritus: die "ordentliche Form" nach den liturgischen Büchern, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) herausgegeben wurden, und die "außerordentliche Form" nach den Büchern, die 1962 gültig waren, also vor Beginn des Konzils. Nach der Reform war es erst ab 1984 durch ein päpstliches Indult wieder ausdrücklich erlaubt, die Messform von 1962 zu feiern, allerdings nur aus pastoralen Gründen und mit bischöflicher Sondergenehmigung. Schätzungen zufolge zelebrieren etwa ein Prozent der Priester weltweit die Messe in außerordentlicher Form.

Am deutlichsten hat sich der Erzbischof von Dijon, Roland Minnerath, Ende Juni geäußert, der Mitglied der Glaubenskongregation ist und jüngst die Petrusbruderschaft seines Bistums verwiesen hatte. Er hat gegenüber einer Gruppe von Vertretern der außerordentlichen Form explizit ein Motu Proprio zur Eindämmung der Alten Messe angekündigt. Auch Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin wird einer Gruppe von Kardinälen gegenüber mit den Worten zitiert, man müsse dieser Messe für immer ein Ende setzen, und der Präfekt der Gottesdienstkongregation, Erzbischof Arthur Roche, habe Summorum Pontificum als "praktisch tot" bezeichnet: "Wir geben den Bischöfen ihre Autorität in dieser Sache zurück, aber sicher nicht den konservativen!", wird er zitiert. Papst Franziskus selbst soll bei der Vollversammlung der italienischen Bischofskonferenz im Mai eine Reform von Benedikts Motu Proprio angekündigt haben, für die bereits eine dritte überarbeitete Version vorliege. Insbesondere solle es darin die Änderung geben, dass die Zelebration der außerordentlichen Form künftig der Zustimmung des Ortsbischofs bedürfe. Offiziell bestätigt ist keines dieser Zitate, die in konservativen und traditionalistischen Medien herumgereicht werden.

Keine offizielle Aussagen, aber viele Indizien

Auch wenn man sich nur an verbürgte Ereignisse hält, gibt es einige Indizien, die für eine anstehende explizite Kursänderung ins Feld geführt werden können. Papst Franziskus ist nicht als großer Liturgiker bekannt, anders als sein Vorgänger; dem Charisma seines Ordens, der Jesuiten, entsprechend, feiert er selbst die Liturgie eher zurückhaltend und einfach. Dennoch scheint ihm die liturgische Frage wichtig zu sein: Im vergangenen März wurden erstmals kleinere Anpassungen in der Alten Messe verfügt, in den liturgischen Kalender wurden neue Heilige aufgenommen und neue Präfationen zugelassen. Konnte das noch als Wertschätzung für die außerordentliche Form interpretiert werden – die Proteste eher liberaler Theologen blieben nicht aus –, die so nicht auf ewig zum Verharren auf dem Stand von 1962 gezwungen ist, schrillten schon einen Monat später die Alarmglocken bei den Traditionsverbundenen: Es wurde bekannt, dass die Glaubenskongregation weltweit die Bischöfe nach ihren Erfahrungen mit der Alten Messe befragt – auf direkten Wunsch des Papstes, der sich über die Anwendung von "Summorum Pontificum" informieren wolle. Einige der Fragen schienen schon die gewünschte Stoßrichtung der Antworten vorzugeben, etwa wenn kritisch gefragt wurde, ob die Feier der Alten Messe einem "echten pastoralen Bedürfnis" entspringe oder nur dem Wunsch einzelner Priester.

Tridentinische Messe Burke
Bild: ©KNA (Archivbild)

Geistliche stehen mit dem Rücken zur Gemeinde am Altar beim Pontifikalamt in der außerordentlichen Form des Römischen Ritus mit dem emeritierten Kurienkardinal Raymond Leo Burke.

Die Ergebnisse dieser Umfrage sind bis heute in ihrer Gänze nicht bekannt. Was die deutschen Bischöfe nach Rom rückgemeldet haben, wird auch auf Nachfrage nicht mitgeteilt. Die Befürchtungen der Befürworter der Alten Messe wurden aber bestätigt, nachdem die Antworten der französischen Bischofskonferenz durchgestochen und von "Paix Liturgique" im Januar veröffentlicht wurden: Darin ist von Spannungen in den Bistümern die Rede. "Summorum Pontificum" hätte zwar Konflikte beruhigt, aber nicht aus der Welt geschafft, Alte und Neue Messe liefen nebeneinander weitgehend unverbunden her, und eine Rückkehr von der schismatischen Piusbruderschaft, die sich im Streit um die Liturgie von Rom abgespalten hatte, zu Gemeinden, in denen die Alte Messe gefeiert wird, könne man auch nicht verzeichnen. "Die Eucharistie, die verbinden soll, trennt", drückte es ein Bischof aus. Vernichtend fiel auch das Urteil über manche der Feiernden der außerordentlichen Form aus: Unter den Gläubigen gebe es häufig monarchistische und rigoristische Tendenzen. Immerhin: Auch eine Chance für die Annäherung an die Ostkirchen, deren Ritus dem außerordentlichen römischen näher steht als dem ordentlichen, sah ein Bischof.

Verfechter der Alten Messe waren wenig überraschend empört; in eigenen Erhebungen kamen sie zu ganz anderen Ergebnissen. Die "Foederatio Internationalis Una Voce" (FIUV) hatte kurz nach Bekanntwerden der vatikanischen Umfrage eine eigene gestartet – nicht unter den Bischöfen, sondern unter Laien, die mit der Situation in den Bistümern vertraut seien. Insgesamt wurden Rückmeldungen aus 362 Diözesen in 52 Ländern eingeholt. Ein Ergebnis: Bei den Besuchern der außerordentlichen Form seien jüngere Menschen, Familien und Männer im Vergleich zu Messen in der ordentlichen Form überrepräsentiert. Die Zusammensetzung der Gottesdienstgemeinden ähnle damit mehr derjenigen von Ostkirchen, islamischen und orthodoxen jüdischen Gemeinden und weniger der protestantischer Gottesdienste, heißt es.

Immer wieder Konflikte zwischen Papst Franziskus und Kardinal Sarah

Die Erhebung wurde Ende 2020 der Glaubenskongregation übergeben, die anstelle der eigentlich näherliegenden Gottesdienstkongregation die Bischofs-Umfrage verantwortete. Zu diesem Zeitpunkt war die Gottesdienstkongregation noch unter Leitung von Kardinal Robert Sarah, einem dezidierter Freund der Alten Messe, der sich immer wieder für die Zelebrationsrichtung "ad orientem" auch in der ordentlichen Form eingesetzt hatte, also wie die Gemeinde in Richtung des Hochaltars (die Beschreibung "mit dem Rücken zum Volk" lehnt Sarah ab). Der Kardinal aus Guinea wurde zwar 2014 von Papst Franziskus ernannt, das Verhältnis der beiden war aber aufgrund sehr unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen oft schwierig. Ein Aufruf im Jahr 2016, beginnend mit dem Advent die Eucharistiefeier "ad orientem" zu zelebrieren, wurde kurz darauf vom Heiligen Stuhl wieder eingefangen: Eine Änderung der Zelebrationsrichtung sei nicht geplant, und erst recht keine “Reform der Reform”. Wer Sarah so verstanden habe, habe die Aussage missinterpretiert, hieß es damals. Recht überraschend nahm der Papst den Rücktritt Sarahs im Februar an, der 2020 die Altersgrenze von 75 Jahren erreicht hatte. Überraschend vor allem, da mit der andauernden Covid-Pandemie und den weltweiten Einschränkungen für Gottesdienste auch mit Blick auf das nahende Osterfest viele liturgische Fragen zu klären waren.

Kardinal Robert Sarah mit dem Papst
Bild: ©picture alliance/Stefano Spaziani (Archivbild)

Kardinal Robert Sarah (r.) steht gemeinsam mit Papst Franziskus während einer Generalaudienz auf dem Petersplatz. Auch wenn Sarah von Franziskus als Präfekt berufen wurde – zwischen den beiden gab es immer wieder Reibungen.

Für einigen Ärger hatte auch eine neue Messordnung für den Petersdom gesorgt, mit der Privat- und Einzelmessen zugunsten von Konzelebration eingedämmt wurden und die Feier der außerordentlichen Form – die grundsätzlich keine Konzelebration kennt – auf die Cappella Clementina in den Grotten des Petersdoms und wenige Zeiten am Morgen beschränkt wurde. Dazu kam nach Sarahs Abgang eine Visitation der Gottesdienstkongregation durch den Vorsitzenden der Liturgiekommission der Italienischen Bischofskonferenz, Bischof Claudio Maniago, der nicht als Freund der Alten Messe gilt.

Ob sich die Gerüchte verdichten, könnte sich bald zeigen. Wie kritisch die Verfechter der Alten Messe die Situation einschätzen, konnten Leser der eher linksliberalen italienischen Tageszeitung "La Repubblica" am Sonntag feststellen. Dort hatte die Internationale Una-Voce-Föderation, der Dachverband vieler nationaler Bewegungen für die Förderung der außerordentlichen Form, eine Stellungnahme unter dem Titel "Lebendiger Glaube, lebendige Zukunft" als Anzeige veröffentlicht, mit der sie noch einmal die Ergebnisse ihrer Erhebung in Erinnerung rufen will: dass die Alte Messe vor allem Familien und jüngere Gläubige anspreche, und dass die Verfügbarkeit dieser Form das Verhältnis zwischen traditionsorientierten Gläubigen und ihren Bischöfen normalisiert habe. "Das wachsende Interesse an der traditionellen Liturgie ist nicht auf Nostalgie für eine Zeit zurückzuführen, an die wir uns nicht erinnern, oder auf den Wunsch nach Begrenztheit und Enge: Es geht vielmehr darum, uns für den Wert von etwas zu öffnen, das für die meisten von uns neu ist und uns mit Hoffnung erfüllt", heißt es in dem Text, der auch Papst Franziskus – er soll zu den regelmäßigen Lesern der Zeitung gehören – als Gewährsmann anführt; allerdings nur mit Zitaten, die allgemein auf Tradition und Einheit in Vielfalt abheben und sich nicht explizit auf die Alte Messe beziehen. Nur bei einem der Zitate geht es um Liturgie – allerdings um die der orthodoxen Kirchen.

"Das Motu Proprio Summorum Pontificum bewirkt eine Verwandlung von Konflikten der Vergangenheit in Harmonie: Wir wünschen, dass es dies auch weiterhin tun kann", schließt der Aufruf in der Zeitung, der vier Tage vor dem 14. Jubiläum der Veröffentlichung von Benedikts Schreiben seinen Weg auf den Schreibtisch von Papst Franziskus gefunden haben könnte – den Schreibtisch, auf dem sich wohl auch das nächste Motu Proprio zur Alten Messe finden wird. Wenn es denn existiert.

Von Felix Neumann