Worum es in den Synodalforen geht – Forum "Leben in gelingenden Beziehungen"

Kreidler-Kos: Text aus Sexualmoral-Forum ist politisch, nicht poetisch

Veröffentlicht am 28.09.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Osnabrück ‐ Wenn die Kirche zu Fragen der Sexualmoral keine alltagstaugliche Orientierung biete, sei das "unterlassene Hilfeleistung", sagt Martina Kreidler-Kos. Im katholisch.de-Interview spricht die Theologin über die Arbeit im Forum und erklärt, warum die Reformvorschläge den Papst unterstützen.

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Von allen Fragestellungen, die beim Synodalen Weg besprochen werden, betreffen vor allem die des Forums "Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft" die Menschen, sagt Martina Kreidler-Kos. Die Theologin leitet die Abteilung Seelsorge im Bistum Osnabrück und ist Mitglied im Synodalforum. Im Interview spricht sie darüber, wofür sie sich beim Synodalen Weg besonders einsetzen möchte. 

Frage: Frau Kreidler-Kos, Sie haben in Ihrem Forum einen 30-seitigen Grundtext geschrieben, der bei der anstehenden Synodalversammlung diskutiert werden wird. Was sind die wichtigsten Punkte daraus?

Kreidler-Kos: Der wichtigste Punkt ist, dass wir in der Frage, was die Kirche zu Liebe, Sexualität und Partnerschaft zu sagen hat, den Dialog mit der Gesellschaft wieder aufnehmen. Von allen Fragen, die auf dem Synodalen Weg verhandelt werden, betreffen diese die Menschen am unmittelbarsten. Ein grundlegendes Anliegen ist uns, Sexualität als Geschenk Gottes positiv zu würdigen. Das ist etwas, was der Kirche lange schwergefallen ist. Es herrscht eher eine pessimistische Sicht auf Sexualität vor, die sicher noch ein augustinisches Erbe ist, das wir mit uns herumschleppen. Natürlich leugnet niemand, dass Sexualität auch dunkle Seiten haben kann, aber da, wo Sexualität mit Liebe verbunden wird, da muss und kann die Kirche sie sehr positiv beurteilen.

Frage: Das sind größtenteils keine neuen Gedanken.

Kreidler-Kos: Nein, neu ist das nicht, was unser Forum hier formuliert. Das wird in der deutschsprachigen Moraltheologie und auch an anderen Orten breit unter dem Stichwort der Beziehungsethik diskutiert. Wir kämpfen jetzt für eine umfassende kirchliche Rezeption dieser Überlegungen.

Ein Mann hält das Papstschreiben "Amoris laetitia" in der Hand
Bild: ©KNA

Veränderungen der kirchlichen Lehre seien für viele ein rotes Tuch. Das Synodalforum IV zur Sexualmoral wolle mit seiner Arbeit an bereits vorhandene Gedankengänge anknüpfen, betont Martina Kreidler-Kos. "Wir nehmen diesen Faden auf, den wir auch in 'Amoris laetitia' (2016) und im aktuellen Pontifikat wiederfinden."

Frage: Der Grundtext Ihres Forums liest sich wie eine Absichtserklärung und man hat den Eindruck, dass um viele Kompromisse gerungen werden musste. Stimmt das?

Kreidler-Kos: Ja, das stimmt. Es ist ein politischer Text, kein poetischer und er spiegelt tatsächlich sehr viel Ringen wider. In manchen Passagen werden verschiedene Haltungen dargestellt. Da sind wir keineswegs zu einem Konsens gekommen. Aber die deutliche Mehrheit des Forums ist für eine Stärkung dieser Beziehungsethik. Holzschnittartig kann man sagen, dass es unterschiedliche Kriterien gibt, mit denen man auf Beziehungen schaut: Eine wie auch immer geartete Naturordnung, die als göttliche Ordnung deklariert wird, oder eine Sinnordnung, die auf die Liebe und Würde der Personen setzt.

Frage: Im vergangenen Jahr ist der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp aus Ihrem Forum ausgestiegen, weil aus seiner Sicht die geltende Sexualmoral der Kirche geändert werden sollte. Wie ist generell die Arbeitsatmosphäre in Ihrem Forum?

Kreidler-Kos: Es ist ein wertschätzender Umgang miteinander und auch eine gute Diskussionskultur – wobei es tatsächlich immer wieder zu harten Auseinandersetzungen in der Sache kommt. Es gab diesen Austritt von Weihbischof Schwaderlapp, der den Dialog aufgekündigt hat, was man ihm zurecht zum Vorwurf machen kann. Der Synodale Weg ist dafür da, dass die Debatten dort geführt werden, ein Ausstieg ist meines Erachtens nicht der richtige Weg. Wir werden weiter unverdrossen argumentieren und darauf setzen, dass die Argumente und die Lebenswirklichkeit der Menschen am Ende zum Tragen kommen. Diese Lebenswirklichkeit wird oft als Zeitgeist diffamiert. Ich würde eher sagen, dass es eine pastorale Aufgabe ist. Die Kirche soll Orientierung geben. Wenn sie das nicht macht, ist das unterlassene Hilfeleistung. Und wenn die bisherige Orientierung nicht lebensdienlich und alltagstauglich ist, dann setzt das nicht automatisch das Leben ins Unrecht, sondern dann muss auch die Frage gestellt werden, was das bedeutet, wenn die bisherige Lehre keine Früchte trägt.

Frage: Wenn man beispielsweise die Texte aus dem Macht-Forum betrachtet, gibt es dort bereits mehrere konkrete Handlungstexte. In Ihrem Grundtext ist das anders. Dort steht beispielsweise, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften unter den Segen Gottes gestellt werden sollen. Wie das konkret umgesetzt werden soll, steht dort aber nicht…

Kreidler-Kos: Auch unser Forum arbeitet an Handlungstexten, die sehr konkret werden, beispielsweise zur Ehevorbereitung, aber auch zu Segensfeiern für Paare, die nicht kirchlich heiraten können. Diese Texte stehen tatsächlich noch aus, wir haben bislang nur den Grundtext in die Synodalversammlung gegeben und hoffen, bei der nächsten Sitzung Handlungstexte vorlegen zu können. Diese grundsätzliche Ebene ist aber wichtig, weil es für viele ein rotes Tuch ist, wenn man von Veränderungen der kirchlichen Lehre spricht. Mir ist aber wichtig: Wir knüpfen mit unserem Text an das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) an, das Ehe nicht mehr als Vertrag verstanden, sondern das Bild des Bundes einfügt und die Liebe zwischen den beiden betont. Wir nehmen diesen Faden auf, den wir auch in "Amoris laetitia" (2016) und im aktuellen Pontifikat wiederfinden.

„Diese Bitten muss man ernst nehmen und sich nicht von der Seite der Lehre annähern, sondern von der Seite der pastoralen Wirklichkeit. Damit will der Heilige Geist uns etwas sagen und darauf müssen wir antworten.“

—  Zitat: Martina Kreidler-Kos über die Bitte um den Segen von Paaren, die nicht kirchlich heiraten können

Frage: Der aktuelle Pontifex soll laut Präambel Ihres Grundtextes auch die von der Synodalversammlung beschlossenen Handlungstexte und Ergebnisse Ihres Forums vorgelegt bekommen. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass das, was am Ende beschlossen wird, eine Umsetzung findet?

Kreidler-Kos: Es wird auch ortskirchliche Umsetzungsmöglichkeiten geben. Man muss gut sortieren, was auf Ebene der Ortskirchen geschehen kann und was nach Rom gegeben werden muss. Ich bin keine Prophetin, aber ich bin mir sicher, dass wir aktuell die Aufgabe haben, diese Dinge zu bedenken und zu formulieren. Sie müssen anschließend als Fragen und Problemanzeigen nach Rom gegeben werden und dort wird man sich dann dazu verhalten müssen. Vorauseilend abzuwägen, ob etwas klappt oder nicht, ist nicht unsere Aufgabe. Die Ortskirche hier ist beauftragt, die Fragen, die die Pastoral ihr stellt, aufzunehmen und Lösungsvorschläge anzubieten. "Amoris laetitia" wendet zum ersten Mal den Satz "Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee" aus "Evangelii gaudium" auf die Wirklichkeit an, wie sie in Beziehung, Liebe, Partnerschaft und Ehe erlebt wird. An dieser Stelle muss man den Papst eher noch stärken – und das tun wir mit guten Argumenten. 

Frage: Im Vorfeld gab es einen Brief von den Initiatoren der Aktion "#liebegewinnt" auch an die Vorsitzenden Ihres Forums. Darin wird dafür geworben, dass die unterschiedlichen Handhabungen von Segnungsfeiern für homosexuelle Paare in den Bistümern beim Synodalen Weg besprochen werden und eine einheitliche Regelung gefunden werden soll. Wird so ein Konsens funktionieren?

Kreidler-Kos: Auch da bin ich natürlich keine Prophetin, aber ich sage gern und offen: Ich werde weiter für Segensfeiern für Paare, die nicht kirchlich heiraten können, einstehen. Dafür gibt es viele gute Gründe. Ich setze mich dafür ein, die Bitte um den Segen als das anzuerkennen, was sie ist: ein Glaubenszeugnis. Diese Bitten muss man ernst nehmen und sich nicht von der Seite der Lehre annähern, sondern von der Seite der pastoralen Wirklichkeit. Damit will der Heilige Geist uns etwas sagen und darauf müssen wir antworten. Ich erlebe mit Blick auf dieses Thema Nachdenken, Lernfähigkeit und eine neue Sensibilität bei vielen Bischöfen.

Frage: Wäre es ein Problem, wenn solche Reformen auf dem Synodalen Weg oder im Nachhinein nicht umgesetzt würden?

Kreidler-Kos: Im Moment entsteht schon vieles auf dem Synodalen Weg selbst, was ich für sehr kostbar halte. Es werden Fragen besprechbar, über die wir – zumindest vor diesem Pontifikat – nicht gesprochen haben oder die ausgespart wurden. Das ist schon ein Riesenschritt und ein Dienst, den wir gerade leisten. Das alles ist natürlich mühsam und langsam und es ist kein Geheimnis, dass viele Menschen – übrigens weltweit – ihr Katholisch-Sein von der Art und Weise abspalten, wie sie Beziehungen leben und wie Familienplanung geschieht. Wir unterstützen den Versuch, das wieder zusammenzudenken. Es ist gut, wenn die Kirche einen Orientierungsrahmen für Beziehungen zur Verfügung stellt. Wenn wir diesen Orientierungsrahmen aber in einer Weise idealisieren und formalisieren, dass Menschen nichts mehr damit anfangen können, dann nehmen wir unsere Verantwortung nicht wahr. Ich setze mich dafür ein, den Erfahrungen der Liebe zu trauen. Und ich sehe mich da in bester Gesellschaft, denn nichts anderes macht der Papst in seinem Familienpapier "Amoris laetita". Die Liebenden sind die Expertinnen und Experten in Sachen Liebe und die Kirche kann und darf eine ganze Menge von ihnen lernen – auch und gerade dort, wo sie über einen liebenden Gott nachdenkt.

Von Christoph Brüwer