Nach dem Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe im Vatikan

Warum hat die deutsche Kirche ein römisches Akzeptanzproblem?

Veröffentlicht am 23.11.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Salzburg ‐ Der Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe hat Differenzen vergrößert und Kontroversen sichtbarer gemacht, analysiert Dogmatiker Hans-Joachim Sander. Und doch geht es seiner Ansicht nach um viel mehr als bloße Unstimmigkeiten zwischen dem deutschen Synodalen Weg und dem päpstlich-weltkirchlichen synodalen Prozess.

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Der Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe beim Papst hat Differenzen vergrößert, Kontraste verstärkt und Kontroversen sichtbarer gemacht. Ich halte das für einen Vorteil, weil man jetzt dem nicht mehr ausweichen kann, was tatsächlich im Raum steht. Es geht um viel mehr als bloße Unstimmigkeiten zwischen einem regionalen deutschen Synodalen Weg und dem päpstlich-weltkirchlichen synodalen Prozess. Es geht um die Einsicht in die Komplexität der verfahrenen Lage der Kirche und um die Defizite im laufenden Pontifikatsprogramm, dieser Lage zu begegnen.

Die römische Kirchenzentrale will, dass sich die Regionen einfach in den weltweiten synodalen Prozess einpassen, dessen Vollversammlungen nicht zufällig in Rom tagen werden. Aus dieser Sicht liegen die Themen des Synodalen Wegs in Deutschland methodisch und inhaltlich quer, wie die Kardinäle Ladaria und Ouellet beim Ad-limina-Besuch argumentierten. Das ist nicht ganz aus der Luft gegriffen, weil die deutschen Themen und Methoden komplexer angegangen werden als die des päpstlichen synodalen Prozesses. Sie werden von außen her betrachtet, was eine katholische Synodalität nicht nötig hat, die sich lediglich zur Synodalität von Kirche überhaupt verhält.

Die römischen Dikasterien präferieren den leichteren Weg

Die Komplexität wird dann aber unvermeidlich, wenn der sexuelle Missbrauch die Bedingung der Notwendigkeit jener Themen und Methoden ist wie beim deutschen Synodalen Weg. Dagegen wird im Arbeitsdokument zur kontinentalen Phase der Weltsynode die episkopale Vertuschung des Missbrauchs gar nicht erwähnt. Mit dem Widerstreit zu den anderen Themen und Methoden präferieren die römischen Dikasterien den leichteren Weg, was den Missbrauch zu einem Problem unter ferner liefen macht. Wie man damit Evangelisierung betreiben will, die ja nicht den leichteren Weg gehen kann, bleibt schleierhaft.

„Den offenen Schlagabtausch der drei Dikasterienleiter mit den deutschen Bischöfen sollte man jedenfalls nicht so deuten, als wäre er nicht im Sinne des Papstes gewesen.“

—  Zitat: Hans-Joachim Sander

Um das aufzulösen, war auch das neue Format des interdikasteriellen Gesprächs nicht so hilfreich, wie es sich die Mehrheit der deutschen Bischöfe wohl wünschte. Vielmehr sind gerade dort die Gegensätze offenbar geworden. Wer von ihnen das anders erwartet hatte, wartete auf einen Godot, von dem nicht nur Bischöfe längst wissen, dass er nicht kommen wird. Aus dem binären Modus, sich gegeneinander zu positionieren, findet man so nicht heraus. Speziell die letzten beiden Tage mit dem Papst und dann überraschenderweise ohne ihn legen die Annahme nahe, dass die Auseinandersetzungen langwierig sind und der Streit noch diverser werden wird.

Den offenen Schlagabtausch der drei Dikasterienleiter mit den deutschen Bischöfen sollte man jedenfalls nicht so deuten, als wäre er nicht im Sinne des Papstes gewesen. Auch wenn der Eklat vermieden wurde, den deutschen Synodalen Weg auf ein Moratorium zu setzen, tritt das ziemlich unverhohlen als Drohung im gemeinsamen Kommuniqué des Heiligen Stuhls und der Deutschen Bischofskonferenz auf. Gäbe es dieses Moratorium, kämen die deutschen Amtsgerichte kaum ohne Zusatzstellen aus, um die Kirchenaustritte ordentlich bewältigen zu können. Das war offenbar auch den römischen Interessensvertretern klar, weshalb sie wohl einlenkten.

Der Elefant im Raum

Im Raum steht also nicht einfach ein fehlender Wille zur Einigung; der ist bei allen gegeben, wie immer wieder und sicher auch zu Recht betont wird. Aber dieser Wille genügt längst nicht mehr, weil es bloß ein binnenkatholisches Kriterium ist. Mit ihm kommt man nicht über ein römisches Belauern der gefürchteten regionalen Eigenständigkeit hinaus. Es resultiert daraus, wie gravierend das Programm des gegenwärtigen Pontifikats selbst in der eigenen Kirche ins Stocken geraten ist. Das ist der Elefant im Raum. Dieses Programm setzt auf die strategische Verknüpfung von Marginalität mit der päpstlichen Zentralität, aber auf Kosten von Regionalität und Eigenständigkeit. So kann man Herausforderungen nicht begegnen, die eben nicht marginal sind.

Dogmatiker Hans-Joachim Sander
Bild: ©Privat

Hans-Joachim Sander ist seit 2002 Professor für Dogmatik an der Universität Salzburg.

Die deutschen Bischöfe wollten bei diesem Besuch keine marginalen Figuren sein und auch von Rom so nicht (länger?) behandelt werden. Ihr Synodaler Weg müht sich schließlich inhaltlich und methodisch um das alle anderen Themen überragende kirchliche Problem, den sexuellen Missbrauch durch Kleriker und seine episkopale Vertuschung. Wie sehr die Konfrontation mit Vertuschungen weltweit gerade wächst, macht sichtbar, wie wenig regional und marginal das Problem ist. Jede Evangelisierung wird davon beschnitten und überall ausgebremst. Zwischen ihr und den weiterhin ausstehenden strukturellen Reformen einen binären Code entweder-oder aufzumachen, ist erheblich unterkomplex. Gebremste Evangelisierung und ausgebremste Reformen sind längst gleichsam poststrukturell ineinander verkettet, so dass das eine das andere hinunterzieht.

Das Pontifikatsprogramm ist kein evangelisatorisches Schmiermittel

In dieser Lage erweist sich ein Pontifikatsprogramm, die Marginalisierten zu ermutigen, aber die regionale Eigenständigkeit nicht frei zu geben, nicht als evangelisatorisches Schmiermittel. So wird man synodal dann nicht zusammenführen können, was weder inhaltlich noch methodisch für die katholische Kirche mehr passt. Weder ist der sexuelle Missbrauch eine marginale Angelegenheit, noch können die kirchlichen Opfer sexualisierter Gewalt weltweit ausgerechnet auf die katholische Kirche vertrauen, nicht länger marginalisiert zu werden. Und die neuen Kardinäle aus den marginalen Zonen auf dem Planeten können gar nicht so auftreten, dass sich daran etwas ändert; sie könnten bestenfalls bestätigen, wie wenig marginal das Problem ist. Damit würden sie zwar die Enge des Programms belegen, aber ausgerechnet von ihnen daraus eine Kritik am Zentrum zu erwarten, wäre die Angst der anderen vor der eigenen Courage.

Das müssen schon die nicht-marginalen Teile der Kirche selbst tun und die deutsche Kirche erwischt das eben mit ihrem Synodalen Weg. Das müsste den Bischöfen spätestens bei diesem Ad-limina-Besuch klar geworden sein. Die Anliegen dieses Weges können nicht marginal genug werden, um den entsprechenden Respekt in Rom zu erhalten. Sie werden als Zumutung erfahren, während die Marginalien auf dem Planeten kaum die Kraft haben, der Zentrale gefährlich zu werden. Methoden und Inhalte für das Nicht-Marginale des sexuellen Missbrauchs und seiner kirchlichen Vertuschung werden bei diesem Programm unweigerlich in der Zentrale verdächtigt werden, hier demonstriere eine regionale und auch noch reiche Kirche ihre nicht-marginale Bedeutung und so wollten ihre Funktionäre eine zentrale Eigenständigkeit durchsetzen. Der gerade wiederholte Sager des Papstes vom Kopierschutz über der exzellenten deutschen protestantischen Kirche ist deutlich davon geprägt.

„Die deutsche katholische Kirche mit ihren Bischöfen wird über ihren Synodalen Weg hinaus das Pontifikatsprogramm, dessen Inhalte und Methoden problematisieren müssen, wenn sie nicht auf eine marginale Bedeutung in ihrem eigenen Kontext schrumpfen will.“

—  Zitat: Hans-Joachim Sander

Die deutsche katholische Kirche mit ihren Bischöfen wird daher über ihren Synodalen Weg hinaus das Pontifikatsprogramm, dessen Inhalte und Methoden problematisieren müssen, wenn sie nicht auf eine marginale Bedeutung in ihrem eigenen Kontext schrumpfen will. So weit ist es noch nicht, aber mit dem Synodalen Weg allein ist das nicht zu verhindern. Die deutschen Bischöfe stehen vor einer noch größeren Herausforderung, die sie sich zumuten müssen. Sie ist ihr weltkirchlicher Auftrag. Gehen auch sie den leichteren Weg, werden sich immer mehr Gläubige den für sie dann steinigeren zumuten und mit ihrem Glauben ins Jenseits von Kirche austreten.

Selbstmarginalisierung und affektierte Bescheidenheit helfen nicht weiter

Der Ad-limina-Besuch machte klar, dass Selbstmarginalisierung und affektierte Bescheidenheit nicht weiterhelfen, also sich klaglos wieder in die geschlossene Reihe einzubringen. Gerade die deutsche Kirche kann nun authentisch belegen, wie sehr stattdessen eine Selbstrelativierung für die katholische Kirche in Gestalt der Zumutung nötig geworden ist, die Stärken von anderen zu respektieren. Das legt unweigerlich die eigenen strukturellen Schwächen frei, womit man sich dann aber dem stellen kann, was wahrlich nicht marginal für diese Kirche ist.

So lange dieses positive Zumuten zwischen dem päpstlichen Rom und den deutschen Katholik:innen nicht wechselseitig geteilt wird, werden die Anliegen der deutschen katholischen Kirche nicht marginal genug sein, um die Zustimmung der römischen Zentrale zu erfahren. Aber so wie die kirchlichen Dinge liegen, muss man wohl hinzufügen "noch".

Von Hans-Joachim Sander

Der Autor

Hans-Joachim Sander war von 1997 bis 2002 als Privatdozent an der Universität von Würzburg und von 1998 bis 2002 sowohl in Eichstätt als auch in Salzburg tätig. Seit 2002 ist er Professor für Dogmatik in Salzburg.