"Hellfeld" von mindestens 81 Beschuldigten und 200 Betroffenen in Amtszeit

Neue Missbrauchsstudie belastet früheren Trierer Bischof Stein schwer

Veröffentlicht am 16.12.2022 um 11:21 Uhr – Lesedauer: 

Trier ‐ Er behandelte beschuldigte Priester in der Regel nachsichtig, sah von kirchenrechtlichen Strafen ab, versetzte Täter und kooperierte nicht mit der Staatsanwaltschaft: Eine neue Missbrauchsstudie attestiert dem früheren Trierer Bischof Bernhard Stein klares Fehlverhalten.

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Frühere Verantwortungsträger im Bistum Trier haben sich laut einer Studie im Umgang mit Missbrauchsfällen falsch verhalten. Im Mittelpunkt der am Freitag vorgestellten Untersuchung steht der ehemalige Trierer Bischof Bernhard Stein (1903-1993) und dessen Amtszeit von 1967 bis 1981. Daraus geht hervor, dass Stein beschuldigte Priester in der Regel nachsichtig behandelte, von kirchenrechtlichen Strafen absah, Täter versetzte und nicht mit der Staatsanwaltschaft kooperierte. In keinem Fall habe Stein mit Betroffenen gesprochen. Bischof Stephan Ackermann würdigte die Studie und sprach sein Bedauern aus, der Betroffenenverein Missbit forderte Konsequenzen.

Erstellt wurde die Studie von den Historikern Lutz Raphael und Lena Haase von der Universität Trier im Auftrag der Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Bistum. Es geht um ein "Hellfeld" von mindestens 81 Beschuldigten für Steins Amtszeit. Bekannt sind mindestens 305 Betroffene, von denen 200 in Steins Amtszeit missbraucht wurden, wie Haase erläuterte. Zu 17 der Beschuldigten belegen die Akten, dass die Anschuldigungen den damals Verantwortlichen im Bistum bekannt waren. Die anderen wurden erst nach 2010 gemeldet. Für den Zeitraum von 1946 bis 2021 sind den Forschern 202 Beschuldigte und 544 Betroffene im Bistum bekannt – noch einmal mehr als in dem zuletzt veröffentlichten Zwischenbericht der Kommission. Davon fallen überdurchschnittlich viele in die Ära Stein.

Die Aufarbeitungskommission teilte mit, die Analyse offenbare "ein dem Grunde nach systematisches und planmäßiges, den mutmaßlichen Täter schützendes Vorgehen durch den Führungskreis des Bistums". Kommissions-Sprecher Gerhard Robbers betonte, selbst die damaligen Normen zum Schutz von Betroffenen seien von Verantwortlichen nicht wirklich genutzt worden. "Über allem stand das Primat des Schutzes der Kirche", so die Kommission. Sie sieht bei den damaligen Verantwortlichen daher zumindest eine moralische und systemische Mitverantwortung. Die Ergebnisse basieren demnach auf 494 Akten aus verschiedenen Archiven im Bistum und auf Berichten von Zeitzeugen. Stein war laut Bericht mit mindestens 11 Missbrauchstätern befasst. Der frühere Generalvikar Linus Hofmann (1911-1990) mit 14, die Personalchefs Reinhold Schaefer (1901-1988) und Hermann Josef Leininger (91) mit jedem der 17 bekannten Fälle.

Bischof Ackermann: Ergebnisse bedrückend

Ackermann nannte die Ergebnisse bedrückend. Es schmerze, dass die frühere Bistumsspitze Menschen schwer geschadet habe. Auch distanzierte er sich von dem in der Studie beschriebenen Umgang mit Fällen sexueller Gewalt. Das Bistum arbeite weiter daran, Unrecht aufzuarbeiten, Fälle aufzuklären und Missbrauch zu verhindern. Ex-Personalchef Leininger ließ mitteilen, dass ihm sein damaliges Handeln Leid tue. Er bat Betroffene um Verzeihung.

Der Verein "Missbrauchsopfer und Betroffene im Bistum Trier" (Missbit) sieht seine ab 2020 veröffentlichten Vorwürfe gegen Stein durch die Studie bestätigt und erklärte: "Durch sein Verhalten konnten Täter sich eingeladen und sicher fühlen." Der nach Stein benannte Platz in der Innenstadt müsse endlich umbenannt werden. Gegenstimmen im Stadtrad wären "eine Diffamierung von Betroffenen". Nach Angaben der Kommission soll der Bischof-Stein-Platz im Februar erneut Thema im Stadtrat sein.

Neben Fallzahlen und dem Umgang von Verantwortlichen mit Betroffenen und Tätern geht der Bericht auch auf den historischen Kontext und damals geltendes kirchliches und staatliches Recht ein. Exemplarisch zum Umgang der Verantwortlichen mit Beschuldigten und Betroffenen werden drei Fälle beschrieben. Nach Ansicht der Studienautoren sind weitere Forschungen notwendig, unter anderem zu informellen Netzwerken im Bistum und unter Priestern, zur Zusammenarbeit von Bistumsakteuren mit staatlichen Strafverfolgungsbehörden, zu Entsendungen von Priestern ins Ausland und zu Heimen und Internaten im Bistum. Als nächstes wollen die Forscher in den Blick nehmen, wie das Bistum seit 2010 die Aufarbeitung angeht und welche konkreten Hilfen es für Betroffene gibt. (KNA)

16.12., 14 Uhr: Ergänzt um weitere Details. 14:20 Uhr: Ergänzt um Reaktionen.