Erzbischof Gössl zu Richterinnen-Debatte: Ging mir nie um Diffamierung
Der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl hat auf Kritik an seiner Stellungnahme zur Nominierung der von der SPD unterstützten Juristin Frauke Brosius-Gersdorf als Richterin für das Bundesverfassungsgericht geantwortet. "Es geht mir und den anderen sicher auch nicht darum, in irgendeiner Weise zu hetzen – schon gar nicht gegen eine Person", sagte Gössl in einem Interview mit "WELT TV" (Dienstag). In seiner Predigt habe er betonen wollen, dass die Verantwortung vor Gott auch in Alltagsentscheidungen wichtig sei. Die Kirche vertrete hier eine andere Position als andere Institutionen. "Über diese Positionen müssen wir reden, müssen wir streiten", so Gössl. Das habe man getan und werde es auch weiterhin tun. "Aber um eine Diffamierung von Frau Brosius-Gersdorf ist es mir jedenfalls nie gegangen." Die Kirche habe in Fragen des Lebensschutzes eine klare Position, die sie auch äußern werde. "Es gibt keine Abstufung des Lebensrechts", betonte der Erzbischof.
Am Sonntag hatte Gössl den Vorgang um die Berufung von Brosius-Gersdorf zur Richterin für das Bundesverfassungsgericht als "innenpolitischen Skandal" bezeichnet. Er wolle sich nicht vorstellen, "in welchen Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung wir gleiten, wenn die Verantwortung vor Gott immer mehr aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet", sagte Gössl. Der SPD-Fraktionschef Matthias Miersch hatte die kirchlichen Wortmeldungen in der Sache am Montag scharf kritisiert: "Überhaupt bin ich sehr empört, wie sich prominente Bischöfe und Kardinäle in diese Sache eingeschaltet haben. Kirche kann durchaus politisch sein. Sich aber an dieser Hetze zu beteiligen, ist unchristlich."
Sie als "ultralinks" oder "linksradikal" zu bezeichnen sei diffamierend
Unterdessen hat die Juristin Brosius-Gersdorf erstmal selbst Stellung zu den Medienberichten genommen. Die Berichterstattung sei "in Teilen der Medien unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent" gewesen, schrieb Brosius-Gersdorf am Dienstag in einer Stellungnahme. Sie als "ultralinks" oder "linksradikal" zu bezeichnen sei diffamierend und realitätsfern.
Was öffentlich über ihre Position zur Reform des Schwangerschaftsabbruchs geäußert wurde, sei falsch, so Brosius-Gersdorf. Der Vorwurf, sie spräche ungeborenem Leben die Menschenwürdegarantie ab und sei für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt, stimme ebenfalls nicht. Unter anderem im verfassungsrechtlichen Teil aus einem Kommissionsbericht aus dem vergangenen Jahr, für den Brosius-Gersdorf verantwortlich war, hieß es, es gebe gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gelte. An dieser Äußerung hatten sich unter anderen viele Abgeordnete von CDU und CSU gestört.
In der Debatte um ihre Berufung zum Bundesverfassungsgericht hat die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf sich nun zum ersten Mal selbst zu Wort gemeldet.
Die Juristin wies in der Stellungnahme dabei auf ein verfassungsrechtliches Dilemma hin. Wenn dem menschlichen Leben ab der Befruchtung der Eizelle die volle Menschenwürde zugesprochen würde, wären Schwangerschaftsabbrüche in jedem Fall rechtswidrig, auch wegen medizinischer Indikation bei Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Frau. Denn eine Abwägung von Menschenwürde mit Grundrechten anderer sei nicht möglich. Daraus resultiere jedoch nicht, dass sie selbst die Position vertreten habe, das ungeborene Leben sei schutzlos.
Am Freitag war die Wahl dreier neuer Verfassungsrichter für Karlsruhe, darunter Brosius-Gersdorf, im Bundestag gescheitert. Sie soll nun vermutlich nach der Sommerpause nachgeholt werden. Aus der Union gibt es Forderungen an ihren Koalitionspartner, eine andere Person ins Rennen zu schicken. Doch die SPD will offenbar an Brosius-Gersdorf festhalten.
Mehr als 300 Wissenschaftler kritisieren Umgang mit Brosius-Gersdorf
Mehr als 300 Wissenschaftler kritisierten in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung den Umgang mit Brosius-Gersdorf. Das Verhalten in Politik und Öffentlichkeit schade den beteiligten Institutionen und der demokratischen Ordnung. Kritik an einzelnen Positionen der Juristin seien legitim. Äußerungen, diese Positionen wären abseitig oder radikal, seien allerdings von Unkenntnis der rechtswissenschaftlichen Debatte geprägt. Forderungen von Bundestagsabgeordneten, Brosius-Gersdorfs Universität möge Maßnahmen gegen sie ergreifen, seien ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit.
Die Wissenschaftler kritisierten auch das Vorgehen der Unionsfraktion im Bundestag: "Im Richterwahlausschuss eine Kandidatin zunächst zu bestätigen, um dann gegenüber ideologisierten Lobbygruppen und mit Unwahrheiten und Diffamierungen gespickten Kampagnen zurückzurudern, zeugt zumindest von fehlendem politischem Rückgrat und mangelnder interner Vorbereitung." (cbr/KNA)
