Seelsorge an der Achterbahn

"Es ist schön zu sehen, was passiert, wenn die tollste Botschaft der Welt auf die schönste Verpackung trifft." So resümiert Diakon Martin Lampeitl sein kirchlich-religiöses Engagement im Europa-Park im badischen Rust. Seit einigen Jahren laden die Evangelische Kirche in Baden und die Erzdiözese Freiburg zum ökumenischen Projekt "Kirche im Europa-Park" ein, das Schule machen könnte.
Zusammen mit seinem katholischen Kollegen Andreas Wilhelm hält Lampeitl ein oft ungeahntes, aber vielfältiges Angebot für die Besucher parat. Es ist ein strahlender Tag. Um 9 Uhr, der Park öffnet gerade seine Tore, trifft sich in der Kapelle St. Jakob im Hotel "Santa Isabel" des Europa-Parks ein Diakonatskreis aus Freiburg zu einem geistlichen Impuls mit dem katholischen "Europa-Park"-Diakon Andreas Wilhelm.
Der ehemalige Klinikseelsorger erklärt seinen Mitbrüdern, was die Kirche im einem Freizeitpark will: "Proposer la foi" – den Glauben anbieten -, so lautet die Kernaussage. Der Tag geht für Andreas Wilhelm abwechslungsreich weiter. Nachmittags findet in der norwegischen Stabkirche eine kirchliche Trauung statt, die vom katholischen Diakon geleitet wird. Etwa 80 Hochzeitsanfragen ergehen jährlich an die beiden Diakone im Freizeitpark.

Die beiden Diakone Andreas Wilhelm (links) und Martin Lampeitl (rechts).
Sinnkultur im Freizeitpark
"Menschen begleiten zu dürfen, ist das Schönste", so Andreas Wilhelm, der im Freizeitpark ab und an mit der Frage konfrontiert wird: "Sind Sie Eventmanager oder ernstzunehmender Seelsorger?". Aber insgesamt wird die Präsenz der Diakone im Europa-Park sehr geschätzt. Kirche und Europa-Park bilden eine Dualität mit Tradition. Die katholische Unternehmerfamilie Mack kommt aus dem Schaustellergewerbe, wo die Seelsorge eine tragende Rolle spielt. Alle Gebäude und Fahrgestelle des Europa-Parks sind von einem Geistlichen gesegnet worden. Auch die drei Kapellen des Parks – Marienkapelle, St. Jakobskapelle und Stabkirche – sind geweihte Räume.
Die Familie Mack, die 1975 den Europa-Park eröffnete, vertritt christliche Werte. "Amüsement und christliche Werte schliessen sich nicht aus", so Martin Lampeitl, der die Firmenphilosophie als wichtigen Nährboden für das Engagement der Kirchen im größten deutschen Freizeitpark bezeichnet. Es habe stets gute Beziehungen zwischen Kirche und den Parkgründern gegeben. Der Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch zum Beispiel ist ein gern gesehener Gast.
„Hier kann man mit Kirche flirten“
Laut einer Gästebefragung wurde ein kirchliches Angebot von 80% der Park-Besucher als wünschenswert angesehen. Aus kirchlicher Sicht wollte man auch ein deutliches Zeichen setzen, um in einem außerkirchlichen Rahmen aktiv zu werden oder - um es in Worte von Martin Lampeitl zu hüllen – "weg von der ‚Kommt-zu-uns‘-Struktur zu kommen, denn wenn wir Volkskirche bleiben wollen, dann müssen wir in die Milieus reingehen".
"Das Leben ist kein Freizeitpark"
Die Frage "Wie kann man eine Nachhaltigkeit aus dem Europa-Park-Besuch bekommen?" ist für Andreas Wilhelm von zentraler Bedeutung. Neben einer Eventgesellschaft brauche es auch eine Sinngesellschaft. "Das Leben ist kein Freizeitpark", unterstreicht auch der 1954 in Reutlingen geborene Diakon Martin Lampeitl. Die Kirche im Europa-Park biete deshalb keine Shows oder Events – das könne der Park ohnehin besser -, sondern "bei allen tollen Unterhaltungen möchten wir der Tatsache Rechnung tragen, dass Menschen auch nach dem Sinn suchen". Für den evangelischen Diakon entsteht für alle eine "win-win"-Situation, denn "der Park lässt uns ganz Kirche sein".
Religionspädagogische Angebote erlauben den oft kirchenfernen Besuchern auf Tuchfühlung mit Glaubensfragen zu gehen. "Hier kann man mit Kirche flirten", so Martin Lampeitl. Die Diakone betonen allerdings, dass sie nicht missionieren wollen. Die Magie des Ortes lässt die Besucher oftmals empfänglicher für ihre "vertikale Linie" werden. "Manchmal sind die Menschen hier religiöser als in der Welt außerhalb des Parks", erzählt Andreas Wilhelm. Auch gebe es immer wieder Besucher, die in den Kapellen des Parks Kerzen und andere Votivgaben opfern.
Marienkapelle im Europapark Rust.
Rund 35 ehrenamtliche Helfer
Der Europa-Park ist ein Ort, wo unerwartete Begegnungen stattfinden. "Wie bringe ich Leute im Europa-Park ins Gespräch?", diese Aufgabe stellt sich Andreas Wilhelm, der mit seinem evangelischen Kollegen sehr eng zusammenarbeitet. Für beide ist die Ökumene im Europa-Park ein zentrales Thema. Viele ökumenische Hochzeiten feiern beide Diakone in den Kapellen des Parks, der jährlich 4,5 Millionen Besucher nach Rust lockt. "Nur ökumenisch hat man hier eine Chance", sagt Martin Lampeitl. Auch wählen die Geistlichen eine bildhafte Sprache, um Kirche und Glauben erfahrbar zu machen. Assistiert werden die beiden Diakone mittlerweile von rund 35 ehrenamtlichen Mitarbeitern, denn die Anfrage nach religiös-kirchlichen Auszeiten inmitten der 100 Parkattraktionen ist groß. Nicht nur zur Sommerzeit, sondern auch in der beschaulicheren Adventszeit hat "Kirche im Europa-Park" Hochkonjunktur. Außerdem zeichnen die beiden Diakone für die Seelsorge der 3.500 Mitarbeiter des Freizeitparks verantwortlich.
Von den verschiedenen Angeboten im Europa-Park empfehlen die Diakone insbesondere den "Spurenweg" – 11 Stationen im Freizeitpark, die die Besucher zur geistlichen Mitte führen. Ein Geheimtipp für Gespräche mit Jugendlichen ist die "Magellan Lounge" auf dem Schiff "Santa Marian" im portugiesischen Themenbereich, wo unter den zusammengerollten Karten der Weltmeere neue Tiefen im Glauben entdeckt werden können. Und eine anschließende Fahrt auf der Holzachterbahn, die dem germanischen Gott "Wodan" gewidmet ist, steht keineswegs im Widerspruch zu den gemachten "Glaubenserfahrungen" und lässt den Adrenalin-Spiegel wieder steigen – und die Diakone fahren gerne mit!