Bericht: Vorwürfe gegen Marx wegen Pflichtverletzung in Trier
Laut einem Bericht der Zeit-Beilage "Christ & Welt" (C&W) hat Kardinal Reinhard Marx in seiner Zeit als Trierer Diözesanbischof im Umgang mit Missbrauchsfällen Pflichtverletzungen begangen. In der Ausgabe vom kommenden Donnerstag veröffentlicht die Wochenzeitung eine Recherche zum Umgang des heutigen Münchner Erzbischofs mit dem Fall des saarländischen Pfarrers M., dem mehrfach sexueller Missbrauch von Minderjährigen vorgeworfen wurde. Marx habe 2006 "starke Hinweise" erhalten, dass M. ein Missbrauchstäter sei, aber nicht gehandelt. Als Beleg werden umfangreiche interne Dokumente angeführt, die der Zeitung vorlägen.
Bereits 2016 habe das Bistum angesichts erster Medienberichte bestätigt, dass Informationen über die Einstellung eines Verfahrens wegen Verjährung gegen M. nach einem Geständnis nicht zu weiteren Schritten führten: "Es trifft zu, dass aufgrund dieser Unterrichtung der Bischof und der Generalvikar weitere Untersuchungen nicht für erforderlich hielten", zitiert C&W eine Auskunft des Bistums Trier. Auch Marx hatte eingeräumt, dass er intensiver hätte nachfragen müssen.
Nach Marx waren auch der jetzige Bischof Stephan Ackermann sowie der heutige Bischof von Limburg, Georg Bätzing, in seiner Zeit als Trierer Generalvikar (2012–2016) mit dem Fall befasst. Ein Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz teilte laut C&W mit: "Heute würde Bischof Bätzing sagen: Ja, wir hätten früher eingreifen müssen." Laut einer Sprecherin des Bistums Trier hätten "heutige und frühere Bistumsverantwortliche" mehrfach eingeräumt, "dass sie sich schon 2006 mehr für M. und die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft hätten interessieren sollen".
Marx für genauere Untersuchung des Falls
Marx äußerte zu dem Fall nun, dass für ihn klar sei, dass auch "Unwissenheit bei falschem Handeln bzw. Unterlassen" nicht verhindere, "dass Verantwortung und auch Schuld vorliegen und übernommen werden müssen. Eine genauere Untersuchung des gesamten Falls sollte das meines Erachtens klären." Dabei zeigt sich der Kardinal selbstkritisch: "Aus heutiger Sicht hätte ich veranlassen müssen, dass wir – auch um zu prüfen, ob der Vorwurf auch kirchenrechtlich verjährt ist – als Bistum die Akte der Staatsanwaltschaft anfordern und die Vorwürfe in einer eigenen kirchenrechtlichen Voruntersuchung verfolgen." Er bedauere sein damaliges Verhalten und stelle sich die Frage, ob er weitere Taten hätte verhindern können. "Die Frage geht auch mir nach. Aber ich habe keine genaue Kenntnis über die folgenden Jahre und Ereignisse", so Marx weiter.
C&W führt für ihre Bewertung des Falls die im Kölner Missbrauchsgutachten der Kanzlei Gercke und Wollschläger entwickelten Kriterien an. Eine Pflichtverletzung liege demnach vor, wenn Aufklärungspflichten, Anzeige- und Informationspflichten, die Pflicht zur Sanktionierung, Verhinderungspflichten und die Pflicht zur Opferfürsorge vernachlässigt wird. Der Tübinger Kirchenrechtsprofessor Bernhard Anuth und sein Münsteraner Kollege Thomas Schüller sehen auf Grundlage der Recherche entsprechende Pflichtverletzungen als gegeben an. Demnach seien Bischof und Generalvikar damals ihrer Aufklärungspflicht, ihrer Melde- und Informationspflicht sowie ihrer Verhinderungspflicht nicht nachgekommen.
Umfassende Studie im Erzbistum München und Freising
Am Dienstag hatte Marx nach Protesten von Betroffenenvertretern Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gebeten, von der eigentlich geplanten Verleihung des Bundesverdienstkreuzes abzusehen. "Die Kritik, die nun von Menschen geäußert wird, die von sexuellem Missbrauch im Raum der Kirche betroffen sind, nehme ich sehr ernst, unabhängig von der Richtigkeit der einzelnen Aussagen in Offenen Briefen und in der medialen Öffentlichkeit", schrieb Marx nach Angaben seiner Pressestelle. Er fühle sich persönlich und auch als Amtsträger der Kirche der Aufarbeitung verpflichtet und hoffe, mit diesem Schritt ein Zeichen setzen zu können, "dass mir die weitere Aufarbeitung und nach Möglichkeit Heilung im Bereich von sexuellem Missbrauch in Kirche und Gesellschaft ein wichtiges Anliegen bleibt".
Im Erzbistum München und Freising wird derzeit eine zweite Studie zu Missbrauch erarbeitet, die den Zeitraum von 1945 bis 2019 erfasst, also auch die Amtszeiten von Joseph Ratzinger (1977–1982) und Marx selbst, der das Bistum seit 2008 leitet. Die Studie wird von der Kanzlei Westpfahl, Spilker, Wastl (WSW) angefertigt, die bereits 2010 eine bisher nur teilweise veröffentlichte Untersuchung im Erzbistum vorgelegt hatte. Sie soll noch in diesem Jahr erscheinen. Dabei sollen auch Namen von Verantwortlichen genannt werden. "Wir wollen größtmögliche Transparenz im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten", so Marx in einem Interview mit Publik Forum, das am Freitag erscheint. Mit Blick auf die äußerungsrechtlichen Mängel, die das Erzbistum Köln der Kanzlei WSW bei dem nicht veröffentlichten Kölner Gutachten vorwirft, sagte Marx, er gehe davon aus, dass die Kanzlei ein "in jederlei Hinsicht rechtssicheres Gutachten" vorlegen werde. (fxn)