Münchner Erzbischof schreibt Bundespräsidenten

Nach Kritik: Kardinal Marx verzichtet auf Bundesverdienstkreuz

Veröffentlicht am 27.04.2021 um 16:53 Uhr – Lesedauer: 

München ‐ Nach Kritik von Missbrauchsbetroffenen will der Münchner Kardinal Reinhard Marx auf das Bundesverdienstkreuz verzichten. In einem Schreiben wendet er sich persönlich an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und begründet seinen Schritt.

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Der Münchner Kardinal Reinhard Marx (67) will das Bundesverdienstkreuz nicht in Empfang nehmen. In einem Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bat Marx am Dienstag, auf die für Freitag in Schloss Bellevue geplante Auszeichnung zu verzichten. Dies sei mit Rücksicht auf diejenigen, die daran Anstoß nähmen, der richtige Schritt. Missbrauchsbetroffene aus Köln und aus Trier hatten die Ehrung mit Blick auf die nicht aufgearbeitete Rolle von Marx in mehreren Missbrauchsfällen kritisiert.

"Die Kritik, die nun von Menschen geäußert wird, die von sexuellem Missbrauch im Raum der Kirche betroffen sind, nehme ich sehr ernst, unabhängig von der Richtigkeit der einzelnen Aussagen in Offenen Briefen und in der medialen Öffentlichkeit", schreibt Marx nach Angaben seiner Pressestelle. Er fühle sich persönlich und auch als Amtsträger der Kirche der Aufarbeitung verpflichtet und hoffe, mit diesem Schritt ein Zeichen setzen zu können, "dass mir die weitere Aufarbeitung und nach Möglichkeit Heilung im Bereich von sexuellem Missbrauch in Kirche und Gesellschaft ein wichtiges Anliegen bleibt".

Zudem wolle der Kardinal negative Interpretationen mit Blick auf andere Menschen, die diese Auszeichnung zuteilwurde, vermeiden. "Selbstverständlich möchte ich auch dem Amt des Bundespräsidenten keinen Schaden zufügen." Marx dankte Steinmeier zugleich für die "hohe Ehre der Verleihung", an der das Staatsoberhaupt "auch in Reaktion auf die öffentliche Kritik wertschätzend und wohlwollend" festgehalten habe.

Steinmeier: Respektiere Verzicht von Kardinal Marx

Der Bundespräsident erklärte indes, er respektiere die Entscheidung des Münchner Erzbischofs, wie eine Sprecherin auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) mitteilte. "In einem Telefonat mit Kardinal Marx bekräftigte der Bundespräsident dessen große Verdienste um Solidarität und Gerechtigkeit, wie sie nicht zuletzt im Werben um die Aufnahme von Geflüchteten, aber auch im beständigen Dialog von Kirche und Gesellschaft zum Ausdruck gekommen sind." Zuvor hatte Steinmeier auch nach Kritik an der Verleihung festgehalten. Marx habe sich als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz von 2014 bis 2020 besonders für Gerechtigkeit und Solidarität in der Gesellschaft engagiert.

Bild: ©KNA/Michael Jungblut (Archivbild)

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier respektiert den Verzicht von Kardinal Marx. Zuvor hatte er auch nach Kritik an der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes festgehalten.

Beide seien sich einig, dass die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche "von überragend wichtiger Bedeutung" sei und fortgesetzt werden müsse. Rücksicht auf Betroffene zu nehmen, die an der Ordensverleihung Anstoß genommen hatten, verdiene Anerkennung, ergänzte der Bundespräsident nach Angaben seiner Sprecherin.

Missbrauchsbetroffene begrüßen Entscheidung

Missbrauchsbetroffene begrüßten unterdessen die Ankündigung des Münchner Kardinals, auf die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes verzichten zu wollen. Der Verein Missbit aus dem Bistum Trier nannte Marx' Entschluss die "einzig richtige Möglichkeit". Das zeige, dass Marx die Kritik sehr ernst nehme, sagte Missbit-Sprecher Hermann Schell. Zugleich störe ihn, dass der Münchner Erzbischof und frühere Bischof von Trier (2002-2008) inhaltlich nicht weiter Position zu den von Betroffenen geäußerten Kritikpunkten beziehe.

Zuvor hatte Missbit die geplante Verleihung kritisiert und Marx zum Verzicht der Auszeichnung aufgefordert. "Diese Auszeichnung ist eine herausgehobene Ehre, für die das gesamte Wirken des zu Ehrenden in den Blick genommen werden sollte", sagte Sprecher Schell. Aus Sicht des Vereins entspricht das Verhalten des früheren Trierer Bischofs im Umgang mit sexuellem Missbrauch nicht dem mit der Ehrung verbundenen Vorbildcharakter.

Missbit: Vielleicht hätte man Ehrung in wenigen Jahren aberkennen müssen

Problematisch sei, dass die Ehrung verliehen werde, obwohl der Prozess der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch noch nicht abgeschlossen sei, betonte Missbit. Wäre das Bundesverdienstkreuz am Freitag verliehen worden, hätte man damit rechnen müssen, "es in wenigen Jahren nach den Ergebnissen der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und ihrer strukturellen Begünstigung durch Amtsträger wieder aberkennen zu müssen", so der Verein.

Im Bistum Trier wurde die institutionelle Aufarbeitung von Missbrauch mit Experten und Betroffenen 2020 angestoßen, die geplante Kommission hat ihre Arbeit aber noch nicht begonnen. Experten rechnen damit, dass es auch in Trier Fehler im Umgang mit Missbrauch gab. So sprach der Strafrechtler Björn Gercke, der für das Erzbistum Köln ein Gutachten erstellte, davon, in den Akten auch Bezüge zum Bistum Trier gefunden zu haben, die auf Pflichtverletzungen hindeuteten.

Kritik auch aus Köln

Ähnliche Kritik an der nun abgesagten Ehrung hatte am Wochenende der Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln geäußert. In einem Offenen Brief an den Bundespräsidenten forderte der Betroffenenbeirat ihn auf, die Ehrung des Kardinals nicht vorzunehmen. Die angekündigte Ehrung stelle "alles in Frage, wofür wir kämpfen und arbeiten", hieß es in dem Schreiben.

Die nun von Kardinal Marx getätigte Entscheidung begrüßte auch der Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch. "Respekt!", kommentierte Katsch auf Twitter. Er selbst war im April gemeinsam mit dem Jesuitenpater Klaus Mertes mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt worden. (mpl/KNA)