Erstmals seit Heinrich VIII. wieder Kirchenstrukturen

Seit 175 Jahren gibt es in Großbritannien wieder katholische Bischöfe

Veröffentlicht am 28.09.2025 um 12:15 Uhr – Von Alexander Brüggemann (KNA) – Lesedauer: 

London ‐ Über Jahrhunderte führten Katholiken im Vereinigten Königreich hinter der allgegenwärtigen anglikanischen Kirche ein Schattendasein als verachtete Minderheit. Doch dann begann sich das Blatt allmählich zum Guten zu wenden. Ein Rückblick.

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Die einstige Kolonial- und Weltmacht Großbritannien vereint diverse Weltanschauungen. Unter den 68 Millionen Bewohnern stehen neben rund 25 Millionen anglikanischen, 10 Millionen anderen protestantischen auch 6 Millionen katholische Christen zu Buche. Jeder vierte (25 Prozent) bezeichnet sich als konfessions- und religionslos. Zudem gibt es geschätzt drei Millionen Muslime sowie mehr als 800.000 Hindus, 420.000 Sikhs und je 300.000 Juden und Buddhisten.

In England katholisch zu sein – das war über Jahrhunderte eine schwierige Existenz – die sich letztlich erst unter der 70-jährigen Regentschaft von Königin Elizabeth II. entscheidend zum Besseren wendete. Der Grundstein dafür wurde freilich vor genau 175 Jahren gelegt: Am 29. September 1850 stellte Papst Pius IX. (1846-1878) wieder eine reguläre katholische Kirchenhierarchie in England her.

Reich und mächtig war die Kirche im englischen Mittelalter gewesen – wie man bis heute an ihren monumentalen gotischen Kathedralbauten sehen kann. Doch als noch mächtiger erwies sich König Heinrich VIII. Er brach 1533 mit dem Papst in Rom, weil dieser sich weigerte, die Ehe des Königs zu annullieren. Als Oberhaupt einer neuen Staatskirche setzte sich Heinrich VIII. 1534 selbst ein. Kirche – das hieß in England fortan anglikanisch.

Alle Klöster aufgehoben

In Glaubensfragen blieben die Anglikaner zunächst bei der katholischen Lehre; später setzten sich protestantische Einflüsse durch. Doch auf der Grundlage zweier königlicher Gesetze von 1536 und 1539 wurden bis 1540 sämtliche katholische Klöster Englands aufgehoben und deren gesamter Landbesitz und Vermögenswerte der Krone überschrieben: eine der großen Vermögensumschichtungen in der Geschichte Westeuropas.

Schon seit der Reformation also waren die "Papisten" auf der Insel nicht mehr gelitten. Zudem versuchte 1605 Guy Fawkes, ein katholischer Fanatiker aus York, das britische Parlament und die Herrschaft von König Jakob I. mit zwei Tonnen Schwarzpulver in die Luft zu jagen, um die Unterdrückung der Katholiken zu beenden. Doch das Attentat des 5. November, die sogenannte Pulverfass-Verschwörung ("Gunpowder Plot"), misslang – und hatte doch schwerwiegende Folgen: Englands größte Minderheit stand fortan unter dem Kollektivverdacht des Landesverrats.

Ein Gesetz von 1701, der sogenannte Act of Settlement, schloss über drei Jahrhunderte jeden von der Thronfolge aus, der "die päpstliche Religion bekennt oder einen Papisten heiratet". Erst seit dem sogenannten Perth Agreement von 2015 führt die Heirat mit einem Katholiken nun nicht mehr zu einem Ausschluss. Der Herrscher selbst (als weltliches Kirchenoberhaupt) muss aber weiter der anglikanischen Kirche angehören.

Kardinal John Herny Newman
Bild: ©KNA

John Henry Newman war ursprünglich ein anglikanischer Geistlicher. Er wird von katholischer und anglikanischer Kirche verehrt.

Die Katholiken führten über die Jahrhunderte ein Schattendasein als verachtete Minderheit. Zumeist waren es irische Einwanderer, in mehreren Wellen als arme Hungerleider eingetroffen. Katholiken, das waren Ausländer, Unterprivilegierte aus der Arbeiterklasse. Erst mit dem sogenannten Catholic Relief Act von 1791 durften sie im gesamten Vereinigten Königreich überhaupt wieder Gottesdienst feiern, Religionsunterricht abhalten und unauffällige Kirchen bauen.

Zwar setzte 1850, vor 175 Jahren, Papst Pius IX. wieder Bischöfe für England ein und schuf damit neue katholische Kirchenstrukturen. Doch intellektuell spielte der britische Katholizismus bis in die 1950er Jahre kaum eine Rolle – bis auf einige wenige Ausnahmen wie die anglikanischen Konvertiten John Henry Newman (1801-1890), Kardinal und neuerdings Kirchenlehrer, oder Gilbert Keith Chesterton (1874-1936), Autor der "Father Brown"-Krimis.

Es waren vor allem das große karitative und schulische Engagement und eine moralische Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche, die seither eine gewisse Verbürgerlichung ermöglichten. Irgendwann gab es in England katholische Ärzte, Rechtsanwälte, Parlamentsabgeordnete. Das Bild des Katholizismus begann sich zu ändern hin zu einer lebendigen, akzeptierten und integrierten Konfession. Der Schriftsteller Arthur Evelyn Waugh (1903-1966) setzte dem sehr eigenen englischen Katholizismus mit seinem Roman "Wiedersehen mit Brideshead" 1945 ein Denkmal.

Nach den Klischees

Auch die klischeebeladenen Warnungen vor papistischer Unterwanderung sind Vergangenheit. Indizien für eine wachsende Hoffähigkeit des Katholizismus gab es in den vergangenen Jahren viele. Da war 2002 die Einladung an den Kardinal von Westminster, vor Königin Elizabeth II. zu predigen. Da war der Übertritt von Ex-Premier Tony Blair in die katholische Kirche 2007. Auch die deutlichen Warnungen der katholischen Kirche vor einem ungerechtfertigten Krieg im Irak und andere öffentliche Stellungnahmen sorgten für mehr moralisches Gewicht.

Und schließlich Charles: Der geschiedene, dann verwitwete, inzwischen wieder verheiratete Thronfolger, seit 2022 weltliches Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche von England, verschob 2005 sogar seine Hochzeit mit Camilla Parker Bowles – aus Rücksicht ausgerechnet auf die Beisetzung von Papst Johannes Paul II., vor dessen Sarg sich im römischen April auch die britischen Spitzen von Kirche und Staat versammelten.

Bild: ©Punto Studio Foto/Fotolia.com

Mittlerweile gibt es auch katholische Parlamentsabgeordnete.

Auch dank italienischer, polnischer und afrikanischer Immigranten gibt es lokale Hochburgen des Katholizismus vor allem im Großraum London. Experten bescheinigen Englands Katholiken zwar großen Einsatz im praktischen sozialen Leben, aber einen eher defensiven, wenig missionarischen Geist – typisch für eine lange diskriminierte Minderheitenkirche.

Gleichwohl, so der Jesuit Oliver Rafferty, habe es in den 1950er Jahren noch rund 10.000 Konvertiten pro Jahr gegeben. Zuletzt sei die Zahl vernachlässigbar geworden – wohl auch eine Folge von allgemeiner Säkularisierung und Missbrauchsskandalen. Rafferty: "Bei allem, was der Katholizismus in den vergangenen Jahrzehnten gewonnen hat, hat er doch viel von seinem Selbstvertrauen verloren. Er wird zwar gesellschaftlich voll akzeptiert, hat aber manche Züge aufgegeben, die einst seine besondere Präsenz ausmachten."

Von Alexander Brüggemann (KNA)