Der Tudor-König gründete die "Kirche von England"

Wie Heinrich VIII. mit Rom brach – ohne Reformator zu sein

Veröffentlicht am 10.10.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

London ‐ Das New Yorker Metropolitan Museum widmet der englischen Tudor-Dynastie (1485-1603) eine umfassende Ausstellung. An deren Beginn stand eine Kirchenspaltung: nicht die Reformation, sondern ein großer Ego-Akt. Rückblick auf eine bewegte Geschichte.

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Die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten gehört zu den schmerzlichen Streitfragen in der katholischen Kirche. Und sie war es auch in gewisser Weise schon vor einem halben Jahrtausend. Die Exkommunikation des englischen Königs Heinrichs VIII. durch Papst Paul III. zementierte im Dezember 1538 eine noch junge Kirchenspaltung, die letztlich durch eine Scheidung entstand.

Was war geschehen? Von den mit seiner Ehefrau Katharina von Aragon gezeugten Kindern Heinrichs VIII. hatte nur ein Mädchen überlebt, Maria. Noch einen männlichen Thronfolger zu bekommen und so die Dynastie zu sichern, schien ihm seit Mitte der 1520er Jahre wenig Erfolg zu versprechen. Eine neue, attraktive – und übrigens der Reformation zuneigende – Ehefrau stand mit der Hofdame Anne Boleyn bereits bereit.

Doch obwohl sich die führenden englischen Bischöfe von York und Canterbury dafür verwandten, verweigerte der Papst eine Annullierung der zweifellos vollzogenen Ehe; sei es, weil er sich nach der Plünderung Roms 1527 nicht ausgerechnet wieder mit Katharinas Neffen, Kaiser Karl V., anlegen wollte – oder weil er Heinrichs verzögerte Unterstützung gegen die Türken nach der katastrophalen Niederlage von Mohacs 1526 verübelte.

Keineswegs ein Reformator

Heinrich VIII. war keineswegs ein Reformator. Im Gegenteil, er hasste Martin Luther von Herzen – was ihm in früheren Jahren jenen päpstlichen Ehrentitel "Defensor Fidei" (Verteidiger des Glaubens) eintrug, den die englischen Könige bis heute tragen. Doch es vollzog sich nun eine Art katholischer Abfall von Rom. Heinrichs Lordkanzler Thomas Cromwell hatte dem König ohnehin empfohlen, den hinderlichen Dualismus von Krone und Altar zu beseitigen.

Prinz Charles spricht bei einem Empfang im Park eines Londoner Schlosses.
Bild: ©picture alliance / Photoshot

Auch der heutige britische König Charles III. ist "Verteidiger des Glaubens".

Mit einer Abschüttelung Roms und einer Unterwerfung der Kirche ließ sich dreierlei erreichen: die Scheidung, ein Zugriff auf nahezu unbegrenzte Vermögenswerte – und mit beidem eine deutliche Festigung der eigenen Herrschaft, die endlich mit dem leichtfüßigen Renaissancefürstentum des Vetters Franz I. aus Frankreich konkurrieren könnte.

Mit dem sogenannten Suprematsakt von 1534 erklärte sich Heinrich VIII. selbst zum Oberhaupt der Kirche in England, die hier so reich wie kaum irgend sonst war. Sie wurde von der Gesamtkirche abgetrennt und fiel in die Hand eines einzelnen Monarchen. Zwischen 1532 und 1540 wurden mit bemerkenswerter Effizienz unermesslich reiche Klöster geplündert und zerstört, romtreue Bischöfe durch Männer des Königs (und der Königin) ersetzt. So wurde aus dem "Defensor Fidei" ein Apostat und despotischer Kirchenverfolger.

Verwerfungen und politische Unruhen

Das ging nicht ohne Verwerfungen und politische Unruhen vonstatten – denn die Engländer erwiesen sich als religiös konservativ. Es erschien dem zunehmend unberechenbaren König – er verschliss in seinen letzten Lebensjahren immer mehr Berater und Ehefrauen – opportun, in einem Coup papsttreue Adlige zu beseitigen. Im November 1538 wurde ein angebliches Komplott gegen die Krone aufgedeckt ("Exeter-Verschwörung"), die vermeintlichen Verschwörer hingerichtet. Im Gegenzug exkommunizierte der Papst Heinrich VIII. und verhängte über ganz England das Interdikt, also den Ausschluss aus der Kirchengemeinschaft.

Bis zu Heinrichs Tod 1547 gab es noch keine entscheidende Änderung der "anglikanischen" Kirchendisziplin weg von der katholischen Lehre. Danach allerdings ging mit dem "Book of Common Prayer" klassische Kirchensprache immer mehr eine Verbindung mit protestantischem Gedankengut ein. In den nun folgenden Jahrzehnten der Intrigen, Thronzwiste und Verschwörungen floss viel Blut im Namen der Religion (Stichwort "Bloody Mary"). An dessen Ende stand ein vergleichsweise behutsamer Mittelweg des Anglikanismus zwischen katholischer und protestantischer Lehre, Liturgie und Kirchendisziplin.

Die Katholiken freilich, nun "Papisten" genannt, waren fortan eine lange Zeit verfolgte und verachtete, erst später teils geduldete Minderheit. Zumeist handelte es sich um ärmliche irische Einwanderer. Erst im 19. und 20. Jahrhundert konnte der britische Katholizismus durch starkes soziales und schulisches Engagement an Boden gut machen.

Von Alexander Brüggemann (KNA)