Ministerpräsident mit Bibelarbeit beim Katholikentag dabei

Kretschmann: Kirchen können Zukunftsfragen beantworten

Veröffentlicht am 23.05.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Grünen-Politiker Winfried Kretschmann ist Mitglied im Diözesanrat der Erzdiözese Freiburg und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.
Bild: © KNA

Stuttgart ‐ In dieser Woche findet der Katholikentag in Stuttgart statt. Winfried Kretschmann führt von dort aus seine Amtsgeschäfte als Ministerpräsident. Im Interview erzählt der gläubige Katholik, warum er sich auf das Christentreffen in Stuttgart freut.

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Winfried Kretschmann ist Ministerpräsident von Baden-Württemberg und früheres Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Im Interview verrät der Grünen-Politiker, was er vom Katholikentag kommende Woche in Stuttgart erwartet.

Frage: Herr Ministerpräsident Kretschmann, freuen Sie sich auf den Katholikentag in Stuttgart?

Kretschmann: Ja, natürlich! Solche Treffen sind einfach wichtig. Hier wird gemeinsam und vielfältig über Glaube, Kirche und Gesellschaft nachgedacht. Katholikentage verwandeln eine Stadt, es entsteht eine großartige Atmosphäre. Schließlich sind Gesellschaft und Verfassungsordnung christlich imprägniert, das wird bei Kirchen- und Katholikentagen besonders spürbar - und darauf freue ich mich.

Frage: Sie wollen auch eine Bibelstelle auslegen. Wie gehen Sie diese für einen Regierungschef ungewöhnliche Aufgabe an?

Kretschmann: Indem ich mich sorgfältig vorbereite. Ich lese den Text im Zusammenhang und schaue mir bei den Schlüsselwörtern auch den griechischen Urtext an. Und dann mache ich mir meine Gedanken dazu. Das kostet mich zwar viele Stunden, aber ich mache das gerne. Die Menschen spüren dann, dass ich mich da persönlich engagiere.

Frage: Gut vorbereit kommen Sie vermutlich auch beim Podium über Künstliche Intelligenz, schließlich machen Sie sich in Tübingen seit langem für ein großes Forschungskonsortium zu dem Thema stark.

Kretschmann: Das Cyber Valley in Tübingen ist ein europäischer Hotspot der KI-Forschung. Diese Technologie rückt dem Menschen so nah auf die Pelle wie zuvor noch keine andere. Damit sind fundamentale ethischen Fragen berührt: Was passiert eigentlich, wenn Maschinen auf einmal schlauer sind als wir?

Frage: Aber geht es denn im Cyber Valley nicht mehr um den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg als um Ethik?

Kretschmann: Im Vordergrund steht die Forschung, die Entwicklung dieser Technik. Aber selbstverständlich beschäftigen sich die Forscher auch mit Ethik. Es geht am Ende um die Frage: Wird diese Technologie so angewendet, dass die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen geschützt bleiben und dass es um das Gemeinwohl geht - oder ist alles nur von Kommerz getrieben wie in den großen IT-Konzernen der USA? Beispiele in China zeigen, dass Technik auch genutzt werden kann, Menschen zu überwachen und zu beherrschen. Mir dagegen geht es um eine europäische Antwort auf der Grundlage unserer Werte und Überzeugungen.

Frage: Nicht nur bei diesem Thema, sondern auch bei Klima, Krieg und Corona stellt sich die Frage, was die beiden großen Kirchen heute zu sagen haben. Erwarten Sie von den Kirchen noch Antworten auf die Zukunftsfragen?

Kretschmann: Aber sicher. Das haben die Kirchen immer gemacht, und ich wüsste nicht, warum sie es nicht mehr machen könnten und sollten. Die Kirchen sind eine wichtige Stimme. Ich kenne zum Beispiel keinen Ethikrat ohne kirchliche Beteiligung. Die Frage nach dem Menschen und seiner Würde ist doch ein kirchlicher Markenkern.

Bild: ©stock.adobe.com/Manuel Schönfeld

Stuttgart ist nicht nur die Landeshauptstadt Baden-Württembergs, sondern auch der Ort des anstehenden Katholikentags.

Frage: Der Katholikentag hat ein Problem, er steht zwischen dem Anspruch, die innerkirchliche Krise besprechen und Antworten auf gesamtgesellschaftliche Probleme geben zu wollen. Wie sollte eine Balance aussehen?

Kretschmann: Das müssen Sie die Veranstalter fragen. Ich nehme nur als Katholik und Ministerpräsident teil.

Frage: Aber Sie haben sicher eine Meinung zu der Frage, wo der Schwerpunkt liegen sollte.

Kretschmann: Der kann nur lauten, den christlichen Glauben in die Gesellschaft zu tragen.

Frage: Wird das nicht durch den sexuellen Missbrauch und andere Probleme überlagert?

Kretschmann: Der Missbrauchsskandal hat die Kirche in eine tiefe Krise gestürzt und offengelegt, was sie alles an Ballast mit sich schleppt. Durch die hohen moralischen Ansprüche ist der Fall entsprechend tief. Die Kirche hat ihre eigene Moral konterkariert. Das ist, um eine Formulierung des verstorbenen Wiener Kardinals Franz König zu zitieren, Verrat am Evangelium. Aber Krisen sind zugleich Chancen. Im Messias von Händel gibt es einen Chorus: Er wird die Kinder Levis reinigen. Die Kinder Levis sind die Priester! Auch die Kirche muss sich reinigen - und dazu leisten Katholikentage einen Beitrag.

Frage: Welche gesellschaftliche oder kirchliche Botschaft erhoffen Sie sich aus Stuttgart?

Kretschmann: Das Christentum ist eine politische Religion. Deshalb wird auch von diesem Katholikentag sicherlich eine Botschaft ausgehen. Wenn es jetzt um Krieg und Frieden geht, wird eine fundamentale Frage gestellt: Denn viele Christen treibt das Thema um, ob Waffenlieferungen unterstützt werden dürfen. Jesus war Pazifist und hat es abgelehnt, dass seine Diener mit dem Schwert für ihn kämpfen. Ergebnis war, dass er gekreuzigt wurde. Jesus hat seine Haltung vor Pilatus damit begründet, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist. Ich bin Ministerpräsident und stehe deshalb für ein 'Reich' in dieser Welt. Ich bin für Waffenlieferungen, weil der Staat seine Bürger schützen muss. Der Einzelne kann Pazifist sein, aber ich habe als christlicher Politiker kein moralisches Problem mit Waffenlieferungen. Ich bin von dieser Welt. Es gibt die Ultima Ratio der Notwehr.

Frage: Was der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill anders sieht.

Kretschmann: Wenn der Moskauer Patriarch diesen Terrorkrieg rechtfertigt und daraus einen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen machen will - das ist verhängnisvoll. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus hat Kyrills Haltung sogar als Gotteslästerung gebrandmarkt. Das ist ein sehr hartes Urteil, aber kein ungerechtes.

Von Volker Hasenauer und Michael Jacquemain (KNA)