Andreas Holzem fordert mehr Spielräume für Ortskirchen

Kirchenhistoriker: Synodalität war immer Ausdruck von Krisen

Veröffentlicht am 19.09.2023 um 00:01 Uhr – Von Michael Jacquemain (KNA) – Lesedauer: 

Tübingen ‐ In wenigen Tagen beginnt die Weltsynode in Rom. Im Interview beantwortet der Kirchenhistoriker Andreas Holzem, ob er optimistisch oder skeptisch auf die Versammlung blickt. Und er erklärt, warum es längst eine Kirchenspaltung gibt.

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Im Oktober steht in Rom die Weltbischofssynode an. Aber was bedeutet die Zusammenkunft und was kann sie bewirken? Antworten gibt der Tübinger Kirchenhistoriker Andreas Holzem im Interview.

Frage: Herr Professor Holzem, wofür stehen Synoden und Konzilien in der katholischen Kirche?

Holzem: Synodalität und Konziliarität sind Ausdruck klassischer und typischer Krisenphänomene. Die Veranstaltung belegen geschichtlich betrachtet vor allem das Wissen um eine solche Krise.

Frage: Zum Beispiel ...

Holzem: ... der Konziliarismus im späten Mittelalter. Das Konzil von Konstanz 1414 bis 1418 gab es nur, weil die oberste Leitungsebene nicht funktionierte. Drei Männer sahen sich gleichzeitig als Päpste und beharrten auf ihrer Rolle. Nur das Zusammenkommen von vielen konnte dieses Problem lösen.

Frage: Aber nur, weil sich das Konzil selbst ermächtigte, die Frage zu lösen.

Holzem: Ja. Das Konzil erklärte unter Berufung auf den Heiligen Geist seine eigene Zuständigkeit – ohne die päpstliche Autorität als solche zu bestreiten. Konziliarismus bedeutet also nicht, dass der Papst abgeschafft wird.

Frage: Der nächste große Knackpunkt war das Konzil von Trient zwischen 1545 und 1563 – als Versuch einer Antwort auf die Reformation.

Holzem: Theologisch wäre damals wahrscheinlich eine Einigung möglich gewesen, aber nicht institutionell, wenn der Papst als Instrument des Teufels gilt. Als antireformatorische Antwort darauf befestigte die katholische Kirche die zentrale Rolle des Papstes.

Frage: Die Aufklärung und die Französische Revolution beförderten diesen Prozess weiter – bis zum Konzil 1869/70, das heute als Erstes Vatikanisches Konzil bekannt ist und im Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren gipfelte.

Holzem: Niemand kann Papst Pius IX. ohne diese Schockerfahrung verstehen. Da werden der König geköpft, alle kirchlichen Strukturen beseitigt und anschließend der Papst in Frankreich gefangengesetzt. Für die päpstlich gesinnten Chefideologen ging es um die Frage, wie nicht nur religiöse, sondern auch politische Autorität neu begründet werden kann: der Papst als Überleiter des göttlichen Willens in die Welt.

Gegner dieser Entscheidung haben damals resigniert gesagt: Das Dogma hat die Geschichte besiegt. Denn fast 1.900 Jahre hat der Papst nicht als unfehlbar gegolten. Jenseits der Kirchenmauern aber, in der Gesamtgesellschaft, hat die Geschichte das Dogma besiegt. Wir leben in einer historischen Situation, in der das Festhalten an diesem hierarchischen Denken und diesen Machtpraktiken unglaubwürdig geworden ist. Selbst die meisten überzeugten Katholiken halten heute diese Strukturen für falsch.

Kirchenhistoriker Andreas Holzem an seinem Schreibtisch
Bild: ©KNA/Annette Cardinale

"Meine Hoffnung ist, dass die Dinge da besprochen werden, wo sie hingehören: auf einem Konzil", sagt Andreas Holzem. Er ist Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen.

Frage: Weil auch das Zweite Vatikanische Konzil 1962 bis 1965 keine wirkliche Änderung gebracht hat?

Holzem: Zwar wurden die Ortskirchen und die Gemeinschaft der Bischöfe als Maßstäbe neu entdeckt, aber dieser Erfolg wurde später erheblich eingeschränkt: Insbesondere die lange Amtszeit von Papst Johannes Paul II. und das Wirken von Benedikt XVI. haben wieder den Zentralismus gestärkt und den Einfluss der Bischöfe zurückgedrängt. Mit dem menschenzugewandten Papst Franziskus kommt dieser Zentralismus zwar in einem freundlichen Gesicht daher, aber die römischen Behörden praktizieren ihre Rolle in aller Konsequenz. Das halte ich für eine schwierige Aufgabenteilung.

Frage: Welche Chancen bietet die anstehende Weltbischofssynode?

Holzem: Optimisten haben die Hoffnung, dass diese Weltbischofssynode einem Dritten Vatikanischen Konzil den Weg bahnen könnte. Dabei müsste die Verfassung geändert werden, weil ansonsten alles weiter vom Wohlwollen der Zentrale abhängt. Ohne eine im Kirchenrecht verankerte Selbstbeschneidung kann es nicht gehen – sonst bleibt Synodalität nur eine vom Herrscher gewährte Gnadengabe. Echte Synodalität sieht anders aus. Es braucht mehr Beteiligung aller – die Laien eingeschlossen

Frage: Schauen Sie optimistisch oder skeptisch nach Rom?

Holzem: Schwer zu sagen. Als Historiker sehe ich: Beim Zweiten Vatikanischen Konzil hat es zunächst eine Vor-Vorbereitungsphase gegeben und anschließend die eigentliche Vorbereitung. Zunächst durften alle vor Ort sagen, was ihnen unter den Nägeln brennt. Das war jetzt auch so: Aber schon bei der kontinentalen Phase der Synode wurden Dinge weichgespült: Aus der konkreten Forderung einer Zulassung von Frauen zu Weiheämtern wurde der vage Wunsch nach mehr Chancen der Beteiligung und Teilhabe an Leitungsaufgaben. Das klingt ähnlich, verwässert aber die Idee. Das macht mich eher skeptisch.

Meine Hoffnung ist, dass die Dinge da besprochen werden, wo sie hingehören: auf einem Konzil.

Frage: Konservative führen immer wieder gerne die Kircheneinheit als Argument gegen Reformen an.

Holzem: Ihnen muss man entgegenhalten, dass es längst eine schleichende Spaltung gibt. Wenn immer mehr Menschen die Kirche frustriert verlassen, ist das de facto die viel größere Verletzung der kirchlichen Einheit.

Die Ortskirchen brauchen Spielraum für die Gestaltung ihrer Verhältnisse. Während sich einige Ortskirchen Frauen am Altar nicht vorstellen können, ist genau das in anderen Ortskirchen das Gebot der Stunde.

Von Michael Jacquemain (KNA)