Hilft nur noch beten?

Frage: Herr Sommeregger, nachdem vorgestern noch alles so aussah, als wollen die USA und Großbritannien in Syrien intervenieren, scheint heute wieder die Stunde der Diplomaten gekommen zu sein. Und Sie sagen, der Vatikan mischt fleißig mit. Ist der Vatikan überhaupt ein Faktor in der internationalen Politik?
Sommeregger: Wenn wir Macht alleine militärisch definieren, dann hat der Heilige Stuhl als Leitungsgremium der katholischen Kirche und des Vatikan keine Macht. Doch auch wer Werte vorweisen kann, dessen Meinung gehört wird und der geachtet ist, hat Macht. Der Vatikan steht beispielsweise nicht in dem Verdacht, Öl zu wollen oder Territorien zu beanspruchen – das macht ihn vertrauenswürdig. Außerdem kann er unabhängiger agieren als beispielsweise die UN, deren Mitglieder sich im Sicherheitsrat immer wieder gegenseitig blockieren. Er hat sich in den letzten Jahrzehnten den Ruf erarbeitet, ein diskreter, verlässlicher und glaubwürdiger Kooperationspartner zu sein. Das ist eine Stärke, die er anderen voraushat.
Andreas Sommeregger ist Politikwissenschaftler und Autor des Buches "Soft Power und Religion - Der Heilige Stuhl in den internationalen Beziehungen".
Der Heilige Stuhl kann zum Beispiel vor allem in katholisch dominierten Ländern das politische oder moralische Klima beeinflussen – etwa durch Ansprachen oder Predigten. Und der Heilige Stuhl kann als moralische Autorität Prestige verleihen. Wenn wir an den Irakkrieg 2003 denken: Da wollte jeder den Papst auf seiner Seite haben.
Der Vatikan kann zudem finanzielle Hilfe leisten. Es war jetzt vor einigen Tagen die Vatikanbank groß in den Medien. Die kann man natürlich kritisieren. Auf der anderen Seite stellt sie Geld für humanitäre Hilfe zur Verfügung, mit dem der Heilige Stuhl diskret und unbürokratisch eingreifen kann. Er kann Dinge gestalten, ohne zum Beispiel Angst vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss haben zu müssen, vor dem er Rechenschaft abzulegen hätte.
Und eines muss man immer berücksichtigen: Der Heilige Stuhl bricht seine diplomatischen Beziehungen niemals ab. Und er ist auch dann noch vor Ort, wenn das Militär und die UN ein Krisengebiet längst verlassen haben. Während des Ost-West-Konflikts haben wir das ganz gut zu sehen bekommen: Je schwächer die direkten Beziehung zwischen den USA und der Sowjetunion waren, umso wichtiger waren die Gespräche, die über katholische Institutionen liefen. Die Infrastruktur, die der Heilige Stuhl da auffährt, ist beeindruckend: Nuntiaturen in fast allen Hauptstädten der Welt, Diplomaten, die beim Heiligen Stuhl akkreditiert sind, Bischöfe, die in engem Kontakt mit Rom stehen, und die Pfarreien vor Ort. Von den Geheimverhandlungen bekommt die Öffentlichkeit dagegen nichts mit – es sei denn, wenn irgendwann in 40 oder 50 Jahren die Archive geöffnet werden.
Frage: Aber Amnesty international oder Human Rights Watch können auch mit moralischer Autorität aufwarten. Was hat der Heilige Stuhl, was Amnesty nicht hat?
Sommeregger: Der Heilige Stuhl leitet ein Konglomerat aus Staat und NGO. Als Staat hat der Vatikan privilegierten Zugang zur UN, zur EU oder anderen Staaten. Diesen Zugang haben Amnesty oder Human Rights Watch nicht – andere Religionsgemeinschaften übrigens auch nicht.
Hinzu kommt, dass die katholische Kirche ihren Sitz zwar in Rom hat und von dort aus gelenkt wird, aber in fast allen Ländern der Welt durch die Gläubigen vertreten ist. Das heißt, dieses Konglomerat wird nicht zwangsläufig als "ausländischer Stachel im Fleisch" wahrgenommen. Eine Organisation aus den USA, die Beobachter in dieses oder jenes Land schickt, kann viel leichter als Eindringling diffamiert werden. Aber die katholische Kirche ist in fast allen Ländern der Welt jeweils Teil der dortigen Gesellschaft.
Frage: Und warum wird diese Form der Einmischung selbst in islamischen Ländern akzeptiert?
Sommeregger: Die Vorstellung, dass alle Araber Christen hassen, die ist falsch. In islamischen Ländern hat man bisweilen eher ein Problem mit "gottlosen" Menschen – grob vereinfacht gesagt. Auch hier gibt es großen Respekt vor religiösen Führern. Außerdem widerspricht der Papst unbekümmert den Präsidenten der USA, wettert gegen den Kapitalismus US-amerikanischer Prägung und setzt sich für die Rechte der Palästinenser ein. Das macht ihn dort sympathisch. Und die Idee, dass jemand in religiösen Dingen was zu sagen hat, aber politisch keine Rolle spielt, ist vielen Menschen im Nahen Osten sowieso völlig fremd.
Das Interview führte Michael Richmann