"Jammert alle, ihr Zecher!"

Die Kirche und der Alkohol – Ein Streifzug durch die Geschichte

Veröffentlicht am 31.12.2019 um 00:01 Uhr – Von Tobias Glenz – Lesedauer: 

Bonn ‐ Erst der Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, dann Sekt, Bier, Wein und Schnaps an den Feiertagen und zu Silvester: Die Wochen am Jahresende sind nicht unbedingt für Abstinenzler gemacht. Doch wie steht eigentlich die Kirche zum Thema Alkohol?

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"Wacht auf, ihr Betrunkenen, und weint! Jammert alle, ihr Zecher!" (Joël 1,5). Vordergründig warnt der alttestamentliche Prophet Joël an dieser Stelle vor den Folgen einer Heuschreckenplage – die Weinreben sind zerstört, es gibt künftig nichts mehr zu trinken. Doch lassen sich diese Worte auch leicht als göttliche Warnung vor (übermäßigem) Alkoholkonsum verstehen: Der "Zecher" hat bei Gott nichts zu lachen. Muss man sich als gläubiger Mensch also Sorgen machen, wenn man hin und wieder etwas tiefer ins Glas schaut?

Die Heilige Schrift scheint zum Thema Alkohol kein einheitliches Bild zu zeichnen. An manchen Stellen wird der Konsum in ein negatives Licht gerückt und nahezu verteufelt. Andere Passagen der Bibel wiederum sprechen durchaus positiv vom Alkohol.

"Gesell dich nicht zu den Weinsäufern", heißt es im Buch der Sprichwörter (Spr 23,20); "Berauscht euch nicht mit Wein – das macht zügellos", mahnt auch der Apostel Paulus (Eph 5,18). Solche Warnungen kommen nicht von ungefähr, denn Alkohol hatte zu biblischen Zeiten mehrfach Unheil angerichtet. So führte der Konsum beispielsweise zu Inzucht, als die Töchter Lots von ihrem betrunkenen Vater schwanger wurden (Gen 19,31-38). Oder zu göttlicher Strafe, als Israel trank und sich vergnügte, während es das goldene Kalb anbetete, und tausende Sünder starben (Ex 32). Der Prophet Jesaja prangert offenbar auch dezidiert den Alkoholismus an, wenn er schreibt: "Weh euch, die ihr schon früh am Morgen hinter dem Bier her seid und sitzen bleibt bis spät in die Nacht, wenn euch der Wein erhitzt" (Jes 5,11). Für Paulus sind Trinkgelage nichts weiter als ein verderbliches "Werk des Fleisches" (Gal 5,19). Und im 1. Korintherbrief werden Trinker gar auf eine Stufe mit Verbrechern wie Dieben und "Knabenschändern" gestellt; wie diese werden sie das Reich Gottes nicht erben (1 Kor 6,9f).

Wein erfreut das Herz

Doch die Bibel zeigt auch die vermeintlich guten Seiten des Alkohols auf. Laut dem Buch der Psalmen ist es Gott selbst, der den Wein wachsen lässt, damit dieser "das Herz des Menschen erfreut" (Ps 104,15). Im 1. Timotheusbrief wird dem Wein sogar ein medizinischer Nutzen bescheinigt (1 Tim 5,23). Und dann wäre da noch Jesus Christus. Dessen erstes – und vielleicht bekanntestes – Wunder galt der Wandlung von Wasser in Wein bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-10). Die Bibel erzählt darüber hinaus, dass der Gottessohn gerne auf Feste ging und dort trank und aß; das führte zu Vorwürfen seiner Gegner, die ihn einen "Fresser und Säufer" nannten (Luk 7,34). Außerdem nutzt Jesus in seinen Gleichnissen immer wieder Bilder aus der Weinkultur: Er bezeichnet sich selbst als Weinstock, die Gläubigen als die Reben (Joh 15,5), oder er vergleicht Gott mit einem Weinbergbesitzer (Mt 20,1-16). Nicht zu vergessen: das letzte Abendmahl und die dortige Einsetzung der Eucharistie durch Jesus. Davon berichten die Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas sowie der 1. Korintherbrief. Der Kelch mit Wein – das Blut Christi – wurde zum Zeichen für den neuen Bund mit Gott und zum unverzichtbaren Element der kirchlichen Liturgie.

Bild: ©wideonet/Fotolia.com

Der Kelch, in dem während einer Messe Wein zum Blut Christi gewandelt wird.

Angesichts des ambivalenten Bildes, das die Bibel zeichnet, galt die Frage nach dem Konsum von Alkohol in der Alten Kirche als nicht unumstritten. Alkoholgenuss war unter den frühen Christen zwar durchaus üblich, doch gab es auch Stimmen, die davor warnten. So ermahnte zum Beispiel der Kirchenvater Clemens von Alexandria (150 bis 219) zum Verzicht auf Alkohol, weil dieser verderbliche Auswirkungen auf Körper und Geist habe. Doch ungeachtet so mancher Warnung waren es vor allem die christlichen Klöster, die sich schon früh der Herstellung alkoholischer Getränke widmeten.

Den Grundstein zur Verbreitung der Weinkultur in Europa hatten die Römer gelegt. Ab dem frühen Mittelalter übernahmen dann Orden wie die Benediktiner das Zepter in der Weinproduktion und verfeinerten die Techniken bei Anbau, Lese und Keltern immer weiter. Missionsorden wie die Franziskaner und die Jesuiten brachten den Weinbau später in die Neue Welt. Und die Orden nutzten ihre Expertise im Laufe der Zeit auch zur Entwicklung neuer alkoholischer Getränke. So gilt ein französischer Benediktinermönch namens Pierre Pérignon (1638 bis 1715) als Pionier beim Verfahren der Flaschengärung zur Herstellung von Schaumwein. Nach ihm benannt ist die weltberühmte Champagnermarke "Dom Pérignon".

Bier und Hochprozentiges aus dem Kloster

Neben dem Wein lag zudem die Herstellung von Bier schon früh in den Händen von Ordensleuten. Mittelalterliche Klöster entwickelten jene Standards in der Braukunst, die noch heute gültig sind. Die ältesten erhaltenen Zeichnungen einer modernen Brauereianlage stammen aus der Schweizer Fürstabtei St. Gallen aus dem Jahr 820. Als Erfinder des Filtrationsvorgangs bei der Bierherstellung gilt der Benediktiner und Bischof Arnulf von Soissons (1040 bis 1087). Wohl auch deshalb ist der Heilige – zusammen mit seinem Namensvetter Arnulf von Metz (582 bis 640) – Schutzpatron der Bierbrauer. Noch heute stammt einer der weltweit am meisten geschätzten Bierstile aus dem Kloster: das ursprünglich aus Belgien stammende Trappistenbier, das von einem Zweig des Zisterzienserordens gebraut wird.

Schließlich machten sich Ordensleute auch bei der Herstellung von Hochprozentigem einen Namen. So gelten mittelalterliche irische Mönche als Erfinder des Whiskys. Und das Rezept eines der angesehensten Kräuterliköre der Welt stammt von Kartäusermönchen, die das Getränk bis in die Gegenwart herstellen: "Chartreuse".

Bild: ©Riflemann, CC BY-SA 3.0

Drei Varianten des Trappistenbieres aus dem belgischen Kloster Rochefort.

Für die Orden war die Alkoholherstellung nicht nur eine wichtige Einnahmequelle, sie produzierten auch für den Eigenbedarf. In der Fastenzeit etwa war (Stark-)Bier ein Hauptnahrungsmittel, denn es galt der Satz "Liquida non frangunt ieunum" – "Flüssiges bricht das Fasten nicht". Angesichts des häufig verunreinigten Trinkwassers griffen die Menschen früherer Jahrhunderte ohnehin öfter zu alkoholischen Getränken, um ihre Gesundheit nicht zu gefährden. Darüber hinaus sah man im Alkohol ein Heilmittel – was Mediziner heute bestätigen. Von der heiligen Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) ist der Spruch überliefert: "Wein ist Medizin. Bier ist ein Getränk. Wasser ist zum Waschen."

Im Himmel gibt's kein Bier?

Die Geschichte des Christentums ist also durchaus mit der Geschichte des Alkohols verknüpft. Doch heißt das, dass der Konsum in den Augen der Kirche als unproblematisch gilt? Nicht so ganz. Der Katechismus der katholischen Kirche formuliert zum Thema Folgendes: "Die Tugend der Mäßigung lässt Unmäßigkeit aller Art meiden: jedes Übermaß an Speisen, Alkohol, Tabak und Medikamenten. Wer in betrunkenem Zustand oder im Geschwindigkeitsrausch auf der Straße, auf dem Wasser oder in der Luft die Sicherheit anderer und die eigene gefährdet, versündigt sich schwer" (KKK 2290). Explizit wird zudem vor der Gefahr des Alkoholismus gewarnt (KKK 2211). Demnach verbietet zwar die Kirche den Konsum von Alkohol nicht – so wie es etwa der Islam tut –, doch sie mahnt deutlich, Maß zu halten, gerade mit Blick auf die eigene Gesundheit und die anderer Menschen.

Wer das beherzigt, wer "in Maßen" Alkohol trinkt, braucht sich nachträglich auch nicht über das eine oder andere Gläschen an den Weihnachtstagen oder Silvester den Kopf zerbrechen. Immerhin gehört Alkoholgenuss für viele Menschen zu echter Geselligkeit dazu – und das gilt natürlich auch für Christen. In einem bekannten Trinklied aus dem Jahr 1956 heißt es: "Im Himmel gibt's kein Bier, drum trinken wir es hier." Ob diese Vorstellung eines alkoholfreien Jenseits allerdings der Wahrheit entspricht, sei dahingestellt. Denn von Jesus selbst stammen die Worte: "Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von neuem davon trinke im Reich Gottes" (Mk 14,25).

Von Tobias Glenz

Aktualisiert am 1. Januar 2022.