"Wir haben es hier mit einer lebenden Person zu tun"

Wenige Tage nach der Urteilsverkündung hatten Lebensschützer im Internet ein Video veröffentlicht, in dem zu sehen ist, wie ein Handy an Lamberts Ohr gehalten wird und seine Mutter vom Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs berichtet. "Wir sind alle an deiner Seite, wir unterstützen dich, wir werden weitermachen", sagt sie.
Nun äußerte sich auch Erzbischof Pierre D'Ornellas von Rennes, in der Französischen Bischofskonferenz zuständig für Fragen der Bioethik, in einem Interview der katholischen Tageszeitung "La Croix" (Freitag) zum Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs.
D'Ornellas: Leben ist niemals wertlos
Erzbischof D'Ornellas fordert in der Debatte um den Koma-Patienten alle Parteien dazu auf, sich nicht allein mit dem Dilemma um Leben und Tod für den Koma-Patienten zu beschäftigen, sondern den Kranken als ganzen Menschen wahrzunehmen. Das "Mensch sein" beinhalte auch, das Leben unabhängig von seinen Schwachstellen als ein kostbares Leben zu sehen. Auch während eines Komas sei das Leben nicht wertlos, wie überhaupt jedes menschliche Leben wertvoll sei, so der Erzbischof. Allein die Möglichkeit, dass Leben in einem solchen Zustand möglich sei, sei ein Zeichen der Transzendenz: "Es stellt uns vor ein Rätsel", so D'Ornellas. "Wir haben es hier mit einer lebenden Person zu tun."
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Je verwundbarer eine Person sei, desto mehr hätten die anderen Menschen die Aufgabe, sie zu unterstützen und zu schützen. Es sei selbstverständlich, einen Menschen mit Nahrung und Flüssigkeit zu versorgen, auch wenn dies künstliche geschehe, so der Erzbischof. Pfleger, Ärzte und Familie sollten deshalb besonders aufmerksam für Reaktionen und Hinweise sein, die der Patient in seinem Zustand gebe.
Auch wenn die Situation für die Angehörigen schmerzhaft und schwierig sei, dürfe ein Stopp der Nahrungszufuhr erst dann in Erwägung gezogen werden, wenn diese Grundversorgung Leiden beim Patienten verursache oder wenn sich seine Gesundheit dadurch verschlechtere.
Eltern des Patienten gegen Entscheidung des Gerichts
Zwölf Richter des Menschenrechtsgerichtshofs hatten sich in dem Urteil der Meinung der Ehefrau und einem Großteil der Geschwister Lamberts angeschlossen und für den Sterbewunsch des Patienten plädiert. Fünf Richter und die Eltern des Patienten sprachen sich dagegen aus, da der Wille des Patienten nicht schlussendlich ermittelt werden könne.
Auch wenn der Patient nicht in diesem Zustand habe leben wollen und darum gebeten habe, keine unverhältnismäßige medizinische Behandlung zu erhalten, so der Erzbischof, "hat er aber nicht den Selbstmord gewählt". Das Argument über Wert oder Wertlosigkeit des menschlichen Lebens sei unzulässig, ebenso wie man nicht sagen könne, dass das Leben ab einem gewissen Punkt an Qualität verliere, sagte D'Ornellas. "Wenn wir uns nicht über das Bewusstsein ausdrücken können, heißt es nicht, dass wir kein Bewusstsein haben."
Kirche will Angehörigen zur Seite stehen
Das Urteil des Menschenrechtsgerichts in Straßburg ist für den Erzbischof kein Präzedenzfall, da sich die Entscheidung ebenso wie die des Verwaltungsgerichts in Frankreich ausschließlich auf den Fall Lamberts beziehe. "Ich bin jedoch besorgt, dass der Gerichtshof sich nicht mehr für den Schutz der Verwundbaren ausgesprochen hat". Dies sei eine ethische Pflicht und müsse Grundlage für alle Entscheidungen sein.
Es sei nicht Aufgabe der Kirche, in solchen Fällen eine eigene Entscheidung zu treffen. Die Kirche stehe jedoch den Angehörigen zur Seite und werde gemeinsam mit ihnen über den weiteren Verlauf nachdenken. Damit es zu einer Entscheidung komme, sei nun ein guter Dialog und Kollegialität zwischen den Ärzten und der Familie notwendig, sagte D'Ornellas.