Der Gefechtshelm liegt im Klosterschrank

Wenn der Benediktiner von seiner Zeit als Soldat erzählt, lächelt er, und der rote Vollbart hebt sich. Mit 26 entschied er sich, in den Orden einzutreten - doch auch zehn Jahre danach ist er immer noch Reservist der Bundeswehr.
Auf einem Bauernhof tief im Schwarzwald wächst Longinus als Frank Beha auf. Er war und ist gern allein. Die Stunden nach der Schule verbringt er in der Natur. Seine Familie beschreibt er als katholisch verwurzelt: Am Sonntag fährt sie in den Nachbarort zum Gottesdienst. Erstkommunion und Firmung sind für Beha "schöne Familienfeste", mehr nicht. Später, als Jugendlicher, interessieren ihn Religion und Glaube gar nicht mehr: "Ich bin nur noch an Weihnachten in die Kirche - wenn überhaupt."
Kurz nach der Ausbildung zum Elektriker kommt die Einberufung. Für Beha ist klar, dass er den Wehrdienst leisten will. Sein Vater war bei der Bundeswehr, sein Onkel auch. Deren Erzählungen klingen nach Abenteuer und Spaß. Anders als manche seiner Kameraden sieht er die Phase bei der Truppe nicht als vertane Zeit; ihm gefällt es dort so gut, dass er sich für fünf Jahre verpflichtet. Er schwärmt vom "Halt unter Gleichgesinnten".
Frank Beha im Januar 2005 als Bundeswehrsoldat in Kabul in Afghanistan. Beha ist 2006 bei der Bundeswehr ausgeschieden und wurde im gleichen Jahr Ordensbruder im Benediktinerorden. Er lebt unter dem Namen Bruder Longinus als Benediktinermönch im Kloster Beuron.
Nach einem sechsmonatigen Auslandseinsatz in Mazedonien Anfang der 2000er empfindet Beha Leere. Ihm fehlen die Anspannung, das Adrenalin, der gewohnte Tagesablauf. Da kommt das Angebot eines jungen Militärpfarrers gerade richtig: "Er lockte mich mit Sonderurlaub für die Soldatenwallfahrt nach Lourdes", gesteht Beha. Die wird für ihn zum Schlüsselerlebnis.
Als er von der Wallfahrt wieder zurück in die Kaserne kommt, hat sich etwas radikal verändert: "Ich dachte fast ununterbrochen an das Gemeinschaftsgefühl unter den Soldaten aus aller Welt, die sich in dem Wallfahrtsort treffen", erinnert sich Beha. Die nächste Pilgerfahrt nach Lourdes macht er jetzt aus innerem Antrieb. Weil er "spirituelle Sehnsucht" hat und merkt, dass ihm Beten gut tut.
Die Benediktinerabtei Beuron als neues Zuhause
Drei Jahre später fällt seine Lebensentscheidung für das Kloster - nach etlichen Wallfahrten, Ordensbesuchen und Einkehrtagen. "Ich wollte meinen Glauben leben. Doch draußen in der offenen Gesellschaft funktionierte das für mich nicht." Er wählt die Benediktinerabtei Beuron im Landkreis Sigmaringen als neues Zuhause. Freunde und der Großteil der Familie unterstützen ihn. Nur die Mutter versteht damals die Entscheidung des einzigen Sohnes nicht, der auf Frau und Kinder verzichten und sich Gott verschreiben will. Heute zeige sie sich glücklich, dass er etwas Erfüllendes gefunden habe.
Im Kloster kümmert sich Beha nun um die Elektrik: Er tauscht Glühbirnen, repariert Waschmaschinen, wechselt Sicherungen. Sein Lieblingsplatz ist die Werkstatt. Dort repariert er alte Radios und Küchengeräte, haufenweise liegen Kabel und andere Ersatzteile herum. Bei der Arbeit trägt er einen Blaumann, und sein kahler Kopf wird von einem Bundeswehr-Capi bedeckt. Als Mönch ist er so nicht zu erkennen.
„Der Alltag hinter den Klostermauern ist dem bei der Bundeswehr sehr ähnlich.“
Rückblende: Bevor der junge Mann 2006 ins Kloster eintritt, kommt der Befehl zu einem zweiten Auslandseinsatz, diesmal nach Afghanistan. Als er die Nachricht erhält, zuckt er zusammen. Und doch: "Ich war Soldat, ich hatte zu gehorchen."
Auch am Hindukusch setzt sich Beha mit Glaube und Religion auseinander. Er betet jeden Tag und spricht fasziniert über die Spiritualität der Muslime: "Sie leben ihren Glauben - ohne Wenn und Aber. Das wollte ich auch, aber als Christ." Damals sei es im Land noch ruhig gewesen. Er und seine Kameraden konnten über die Märkte Kabuls schlendern, ohne beschossen zu werden, berichtet er nüchtern. Dennoch nennen die Soldaten den Afghanistaneinsatz "Krieg". Bevor er dorthin aufbrach, hatte er sein Testament gemacht.
Beha: "Nicht alle Konflikte sind ohne Waffen zu lösen"
Bei seinen Einsätzen musste Beha nach eigenen Angaben nie auf einen Menschen schießen. "Wenn es aber dazu gekommen wäre, hätte ich es getan", spekuliert der 36-Jährige. "Nicht alle Konflikte sind ohne Waffen zu lösen."
Stolz präsentiert er in der Werkstatt die Bilder aus Afghanistan, die ihn in brauner Wüsten-Uniform und mit G36-Maschinengewehr zeigen. Auf einem Foto grinst er vom Geschützturm eines Panzers. Unter der Uniform zeichnen sich trainierte Armmuskeln ab. Heute ist er weniger sportlich, der rote Bart ist länger und er braucht inzwischen eine Brille. Das Leben im Kloster hat ihn ruhiger werden lassen. Beim Mittagsgottesdienst ist nichts mehr vom einstigen Soldaten zu erkennen; dann trägt er die schwarze Kutte der Benediktiner, die Arme verschränkt, der Kopf leicht geneigt.
Die Erzabtei St. Martin zu Beuron ist ein Benediktinerkloster in Beuron im Oberen Donautal und Stammkloster der Beuroner Kongregation.
Der Wechsel von der Kaserne ins Kloster ist ihm leichter gefallen als gedacht, bilanziert er heute. "Der Alltag hinter den Klostermauern ist dem bei der Bundeswehr sehr ähnlich: feste Tagesstruktur, Uniform, Gehorsam, Männergesellschaft." Zudem hätten ihn Kameradschaft und feste Regeln schon immer angezogen. Vielleicht liege das an der Trennung seiner Eltern, als er acht Jahre alt war, mutmaßt Frank Beha.
Als er am 1. November 2006 in den Benediktinerorden eintritt, bekommt er den Namen Longinus. Benannt wird er nach dem römischen Soldaten, der der Legende nach Jesu am Kreuz eine Lanze in die Seite stach. Der Abt legt Wert darauf, dass der Name des neuen Mitbruders einen Bezug zum Soldatenleben hat.
Schießübung mit "besonders guter Leistung" bestanden
Der Bezug taucht bis heute nicht nur im Namen auf: Beha ist nach wie vor Reservist der Bundeswehr. Vor zwei Jahren besteht er eine Schießübung mit "besonders guter Leistung". Die Urkunde hängt eingerahmt in der Werkstatt. Alle paar Jahre muss er eine solche Prüfung machen, um freiwilliger Reservist bleiben zu können.
Die meisten im Kloster akzeptieren sein Reservisten-Dasein, aber wohl nicht alle der rund 50 Mitbrüder. So habe einer der Patres in seinem früheren Leben gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr demonstriert. Auch heute sei er noch davon überzeugt, dass die Welt ohne Militär friedlicher wäre. "Wir gehen uns aus dem Weg", sagt Longinus.
Denn trotz seines friedlichen Alltags im Kloster hält Longinus die Bundeswehr immer noch für wichtig. Im Kriegsfall muss auch er als Reservist bereitstehen. "Da ich jetzt Mönch bin, aber nicht mehr an der Waffe, sondern als Sanitäter oder Seelsorger."