Luther gehört allen

Veröffentlicht am 08.11.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Luther gehört allen
Bild: © KNA
EKD-Synode

Bonn/Timmendorfer Strand ‐ Der große Luthertag kann kommen. In fünf Jahren wird es ein halbes Jahrtausend her sein, seit Martin Luther mit seinen 95 Thesen von Wittenberg aus die Reformation auslöste. Die evangelische Kirche will ein Festjahr daraus machen. Und die katholische Kirche wird mitfeiern. Sie kann gar nicht anders. Es geht nur noch um das Wie.

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Denn Luther gehört allen. Luther ist Deutschland, Luther ist Bildung, Musik und Sprache, ist Gewissen und Selbstbewusstsein. Katholische Ministerpräsidenten werden die Errungenschaften der Reformation würdigen und Lutherwege und -ferienstraßen einweihen. Schauspieler werden die Lutherbibel auf Bühnen bringen, Ökonomen sich erinnern, dass Luther den Begriff des Berufs erfunden hat. Und Politiker werden die Wahlkampfwirkung des Reformators in den Blick nehmen.

Denn 2017 stehen, so Gott will und es bis dahin keine Regierungskrise gab, die übernächsten Bundestagswahlen an. Es wird Grußworte hageln. Kaum eine Veranstaltung im Rahmen des Reformationsjubiläums wird ohne wahlkämpfende Politiker auskommen. Einen Vorgeschmack dazu bot schon diese Woche: Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte die Synode der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Timmendorfer Strand. Einen Tag später trat dort Peer Steinbrück auf, ihr Herausforderer im kommenden Jahr. An- und abmoderiert wurden beide von Katrin Göring-Eckardt, der Möchtegern-Herausforderin, deren Chancen, in der Urwahl der Grünen den Posten der Kanzlerkandidatin zu erringen, freilich auch unter den Synodalen eher bescheiden eingeschätzt wurden.

Missionarische Komponente des Reformationsjubiläums

Steinbrück lieferte beim abendlichen Empfang des Arbeitskreises Christinnen und Christen in der SPD ein Referat auf Ortsvereinsniveau ab. Schon nach kurzer Zeit verschwand er in Richtung Bett. Merkel dagegen zog mit Choralgesang in das Synodenplenum ein, eskortiert vom EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider und Göring-Eckardt. Deutschlands prominenteste Protestantin plädierte für eine "missionarische Komponente" des Reformationsjubiläums. Das hörte man bisher eher von katholischen Bischöfen.

Sie wünschte sich eine Kirche, die sich auf die eigene Vergangenheit besinnt, Werteverlust und Traditionsabbruch in der Gesellschaft bemerkt und junge Menschen über die Reformation aufklärt. Dinge, die die EKD bei der Vorbereitung des Jubiläums bisher eher weniger im Blick hatte. Denn die Evangelische Kirche in Deutschland sieht das Reformationsjubiläum zunächst einmal als ein Fest der Freiheit. In einer Kundgebung sprachen sich die am Ostseestrand versammelten Kirchenparlamentarier für eine gerechte Gestaltung des Gemeinwesens aus. Und sie luden Christen aller Konfessionen dazu ein, sich am Jubiläum zu beteiligen.

Wolfgang Thielmann ist stellvertretender Redaktionsleiter von "Christ __amp__ Welt".
Bild: ©Christ __amp__ Welt

Wolfgang Thielmann ist stellvertretender Redaktionsleiter von "Christ __amp__ Welt".

Kardinal Koch: Reformation ist gescheitert

Dazu trug auch der Besuch des katholischen Kardinals Kurt Koch in Timmendorfer Strand bei. Der Präsident des Vatikanischen Rates zur Förderung der Einheit der Christen sprach von einem Scheitern der Reformation. Denn die Reformatoren hätten ja zu keinem Zeitpunkt die Gründung neuer Kirchen bezweckt, sondern die katholische erneuern wollen. Statt einer Feier trat er für ein Gedenken ein. Dass auch die katholische Kirche durch die Reformation eine andere geworden ist, will er nicht in den Blick nehmen. Noch nicht.

Doch die EKD kam ihm entgegen. In ihrer Kundgebung sprachen sich die 140 Kirchenparlamentarier für eine Auseinandersetzung mit den "Schatten" der Reformation aus. "Wo in unserer Geschichte falsche Entscheidungen getroffen wurden, oder Unheil angerichtet wurde, braucht es Erinnerung, Klarheit und Distanzierung", heißt es in ihrer Kundgebung zum Jubeljahr 2017. "Die Botschaft von der Versöhnung brauchen zunächst die, die sie verkündigen."

Christen bitten einander um Vergebung

Eine gemeinsame Kommission von EKD und katholischer Deutscher Bischofskonferenz soll deswegen nun herausfinden, ob es in der Passionszeit 2017 einen gemeinsamen Gottesdienst geben kann, bei dem Christen beider Konfessionen einander um Vergebung für das Unrecht in vergangenen Jahrhunderten bitten. Ein Vorschlag, den schon der neue katholische Ökumene-Bischof Gerhard Feige gemacht hatte. Und ein Modell, das der Lutherische Weltbund erfolgreich durchexerzierte: Bei seiner Vollversammlung in Stuttgart 2010 bat er die Mennoniten, die Nachfahren der blutig verfolgten Wiedertäufer der Reformationszeit, um Vergebung.

Wegsehen geht nicht

Das Verhältnis zwischen den beiden kirchlichen Traditionen hat sich seitdem entspannt: Dass Mennoniten beim Reformationsjubiläum mitwirken können, steht wohl außer Frage. Sogar das Abendmahl teilen sie mittlerweile mit den Protestanten. Auch deswegen wird die katholische Kirche kaum an den Vorschlag vorbeikommen, die Epoche der Trennung unter dem heutigen Blick der Versöhnung zu sehen. Denn tatsächlich werden 2017 in ganz Deutschland und darüber hinaus katholische Christen die Reformation mitfeiern, so wie schon jetzt evangelische Posaunenchöre Fronleichnamsprozessionen mitgestalten und Protestanten auf Pilgerwegen mitgehen. Kein katholischer Bischof kann ernsthaft die Beteiligung ablehnen, wenn tausende fröhlicher Menschen in fünf Jahren die Straßen von Wittenberg bevölkern und auf den Wiesen am Stadtrand eine auf dem Kopf stehende Kirche installiert ist. Wegsehen geht dann nicht mehr. Wenn Merkel kommt, schon gar nicht.

Von Wolfgang Thielmann

Zur Person

Wolfgang Thielmann ist stellvertretender Leiter der ZEIT-Extraseiten "Christ __amp__ Welt".